Vom dänischen Nachbarn lernen: Wärmewende braucht regulatorische Orientierung, lokale Verantwortung und transparente Kollaboration

Gastautor Portrait

Susanne Schmelcher

Leiterin des Arbeitsgebiets Quartier und Stadt, Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena)

Susanne Schmelcher ist Leiterin des Arbeitsgebiets Quartier und Stadt bei der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena). Bevor sie 2012 zur dena kam, arbeitete sie in verschiedenen Planungs- und Ingenieurbüros in England und China. Gegenwärtig arbeitet sie zu den Themen klimaneutrale Quartiere und urbane Energiewende mit dem Schwerpunkt auf Transformationsstrategien für den Wärmesektor. Foto: Goetz Schleser

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01. Februar 2024
Foto: Kenneth Bagge Jorgensen/Shutterstock.com

Im Gegensatz zur Stromwende vollzieht sich die Wärmewende dabei hauptsächlich auf lokaler Ebene und innerhalb eines komplexen Netzwerks von Akteuren, welches sowohl von unternehmerischen als auch private Interessen geprägt ist. Dies macht die konkrete Umsetzung sehr oft kompliziert.

Susanne Schmelcher

Eine erfolgreiche Wärmwende ist unabdingbar für die Erreichung der Klimaziele bis hin zu Klimaneutralität 2050 in Europa. So dominieren aktuell fossile Energien weiterhin die Wärmeerzeugung, und der Gebäudebereich ist mit rund 40 Prozent der Bereich, in dem die meisten CO2-Emissionen in Deutschland verursacht werden. Im Gebäudebestand entfallen immer noch fast 80 Prozent der Wärmeerzeugung auf fossile Energieträger wie Gas und Öl, was ein sehr großes Hemmnis zur Erreichung der Klimaneutralitätsziele bedeutet. Der kleine Nachbar Deutschlands im Norden Dänemark hat dagegen bereits große Fortschritte bei der Wärmwende erzielt und kann wichtige Impulse für Deutschland dabei geben. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Wärmeversorgung in Dänemark betrug 2022 bereits beeindruckende 76 Prozent.

Im Gegensatz zur Stromwende vollzieht sich die Wärmewende dabei hauptsächlich auf lokaler Ebene und innerhalb eines komplexen Netzwerks von Akteuren, welches sowohl von unternehmerischen als auch private Interessen geprägt ist. Dies macht die konkrete Umsetzung sehr oft kompliziert. Die Wärmewende betrifft direkt die Gebäudeeigentümer, die Maßnahmen zur Reduzierung des Wärmebedarfs verantworten, aber auch die Bereitstellung von Infrastrukturen und Energieträgern, welche die Energiewirtschaft adressiert. Diesbezüglich werden zukünftig in Deutschland massive Investitionen benötigt werden. Hinzu kommt, dass es eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten zur Deckung des Wärmebedarfs gibt. Neben gebäudeintegrierten Versorgungsoptionen gewinnen wärmnetzbasierte Lösungen zunehmend an Bedeutung. Für letztere ist ein koordinierter Ansatz erforderlich, wobei ein gemeinschaftliches Vorgehen in den Fokus rückt. Dies stellt eine neue Perspektive für Deutschland dar, da hier die Verantwortung im Kontext Wärmeversorgung in der Vergangenheit oft auf den eigenen Heizungskeller beziehungsweise auf das eigene Gebäude beschränkt war. Die Entscheidungsfindung bezüglich der Wärmeversorgung im räumlichen Kontext, also in Nachbarschaften zum Wohle der Gemeinschaft, ist wenig verbreitet.

Auch wenn die Bedingungen in Deutschland grundlegend anders sind und aus verschiedenen Gründen eine direkte Übertragung der dänischen Erfahrungen oder des dänischen Systems unmöglich ist, lässt sich dennoch konstatieren: Für die erfolgreiche Umsetzung der lokalen Wärmewenden sind drei Faktoren entscheidend:

1. Regulatorische Orientierung

Interessant ist, dass Dänemark, ähnlich wie bereits in den 1970er Jahren auch in jüngster Vergangenheit während der Energiekrise aufgrund des Ukrainekriegs, gezielte Maßnahmen ergriffen hat, um die Resilienz des Landes weiter voranzubringen.

Susanne Schmelcher

Dänemark erkannte bereits in den 1970er Jahren die Bedeutung dieser Herausforderung und leitete entscheidende Maßnahmen ein, um Koordinierung und Resilienz zu stärken und die deutliche Abhängigkeit von Ölimporten zu reduzieren. Die Gründung der dänischen Energie-Agentur (DEA) fällt nicht zufällig in diese Zeit. Die DEA ist die zentrale Instanz für die Umsetzung der Wärmegesetzgebung, indem ihr regulatorische Aufgaben übertragen wurden. Sie regelt Verfahren und gibt Richtlinien für die Umsetzung der Wärmewende vor. Auf diese Weise wurden grundlegende Leitlinien, die klare Orientierungspunkte für die Umsetzung ermöglichen geschaffen.

Ein bedeutendes Instrument war das 1979 verabschiedete ‚Gesetz zur Wärmeversorgung‘, welches neben einer spürbaren Erhöhung der Steuersätze für fossile Energieträger, auch die Kommunen in die Pflicht nahm. Diese wurden aufgefordert, auf sozioökonomischer Grundlage die geeigneten Wärmeversorgungstypen für ihre kommunalen Gebiete festzulegen. Die Kommunale Wärmeplanung war geboren und damit eines der Schlüsselinstrumente für eine koordinierte Umsetzung der lokalen Wärmewende geschaffen. Um eine einheitliche Herangehensweise und Standards zu gewährleisten, erhielten die Kommunen einen Technologiekatalog mit Anlagekennzahlen sowie Methoden zur Berechnung des Wärmebedarfs und Prognosen zur Entwicklung der Energiepreise. Ziel war die Ermittlung der kostengünstigsten Wärmeversorgungslösung. Künftige Versorgungsunternehmen waren verpflichtet, eine „positive“ sozioökonomische Berechnung der zukünftigen Wärmepreise vorzulegen, bevor die Versorgungskonzepte von den Gemeinden genehmigt wurden. Die Rentabilität von Planung und Betrieb steht dabei in direktem Zusammenhang mit der Wärmedichte. Sehr dicht besiedelte Gebiete sind ideal für Fernwärme, weniger dichte Gebiete und gering besiedelte Regionen für dezentrale Heizlösungen. Diese nationalen politischen Vereinbarungen haben zu erheblichen Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Wärmeversorgung geführt und ermöglichten gleichzeitig einen bedeutenden Ausbau der Wärmenetze in den Gemeinden.

Interessant ist, dass Dänemark, ähnlich wie bereits in den 1970er Jahren auch in jüngster Vergangenheit während der Energiekrise aufgrund des Ukrainekriegs, gezielte Maßnahmen ergriffen hat, um die Resilienz des Landes weiter voranzubringen. Ein maßgebliches Gesetz in diesem Kontext ist das „Klimaabkommen über Ökostrom und Wärme“, das im Jahr 2022 verabschiedet wurde. Dieses Gesetz verpflichtete Kommunen mit gasversorgten Gebieten bis Ende 2022 dazu, neue Wärmepläne zu erstellen und genehmigen zu lassen. Diese Pläne sollten sich auf die Umstellung der gasversorgten Gebiete auf Fernwärme konzentrieren, mit dem Ziel einen raschen Ausstieg aus der Nutzung von Erdgas zur Beheizung von Gebäuden zu gewährleisten. Derzeit nutzen noch 310.000 dänische Haushalte Gasheizungen. Im Kontext der Neuerstellung der Wärmepläne erhielten betroffene gasversorgte Haushalte von ihrer Kommune einen Brief mit Informationen zukünftiger Wärmeversorgungsoption. Die wichtigste Neuerung des „Klimaabkommen 2022“ besteht darin, dass Fernwärmeversorgungsunternehmen für die Umwandlung von Erdgasversorgungsgebieten zu kollektiven Wärmeversorgungslösungen Subventionen erhalten können. Zusätzlich wurde für Strom, welcher zur Wärmeversorgung genutzt wird, die Stromsteuer auf das EU-Minimum gesenkt. Dadurch verbessert sich die Wirtschaftlichkeit des Ausbaus der Wärmenetze in mehreren Bereichen erheblich im Vergleich zu früheren Bedingungen. Die nun in diesen Gebieten erzielte „positive“ sozioökonomische Bewertung ist wie bereits beschreiben eine wesentliche Voraussetzung für die Genehmigung zur Implementierung von Wärmenetzen.

2. Lokale Verantwortung

Heute zählt Dänemark neben Finnland, Schweden, Estland und Litauen zu den fünf Nationen weltweit mit der höchsten Fernwärmenutzung. Aktuell werden rund zwei Drittel der Haushalte mit Fernwärme versorgt.

Susanne Schmelcher

In den 1970er Jahren lag der Fokus in Dänemark neben sozioökonomischen Faktoren somit zunächst auf Energieunabhängigkeit im Kontext Wärmeversorgung. Der Auf- und Ausbau der Fernwärme erfolgte zuerst aus wirtschaftlichen Gründen und hatte anfänglich keine ökologischen Motive. Diese kamen erst später hinzu. Die Verantwortung für die Entwicklung der Fernwärme wurde bewusst auf lokale Ebene verlagert, wodurch die lokalen Nachbarschaften vor Ort die entscheidende Rolle bei der Umsetzung dieser neuen Aufgabe übernahmen. Die nationalen Referenzen und Basisszenarien dienten nicht professionellen Akteuren als Leitlinien für sozioökonomische Berechnungen und gaben einen Rahmen vor. Gleichzeitig ließen sie Spielraum für lokale Parameter, um den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort Rechnung zu tragen. Dieses Vorgehen schuf Sicherheit für die umsetzenden öffentlichen Unternehmen, die mit zahlreichen Unsicherheiten konfrontiert waren. Im Laufe der Zeit führte dieses Vorgehen auch dazu, dass ein starkes Bewusstsein für die Verantwortung gegenüber dem Wohl der lokalen Gesellschaft entstand. Die öffentlichen Unternehmen erkannten ihre Rolle in einer durch lokale Konzepte und Wertschöpfung getriebenen Wärmeversorgung und leisteten so einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der sozioökonomischen Ziele. Somit ist nicht verwunderlich, dass die rund 400 Fernwärme Versorgungunternehmen in Dänemark fast alle genossenschaftlich sind oder sich im besetzt der kommunalen Hand befinden. Dies zeugt von einem tiefen Verständnis für die Bedeutung der lokalen Ebene und als ein weiteres Schlüsselelement für den Erfolg der heutigen Wärmeversorgung in Dänemark.

Heute zählt Dänemark neben Finnland, Schweden, Estland und Litauen zu den fünf Nationen weltweit mit der höchsten Fernwärmenutzung. Aktuell werden rund zwei Drittel der Haushalte mit Fernwärme versorgt. Die hohe Anschlussrate erweist sich angesichts der bevorstehenden Herausforderungen als günstig. Im Jahr 2020 verabschiedete das dänische Parlament das Klimagesetz, das sicherstellen soll, dass Dänemark bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 70 Prozent gegenüber 1990 reduziert und bis spätestens 2050 klimaneutral wird. Vor allem der weitere Ausbau, aber auch die Strategien zur vollständigen Dekarbonisierung der Fernwärme haben somit einen maßgeblichen Einfluss auf die Erreichung dieser Ziele.

Neben der Senkung des Energiebedarfs durch Sanierungen, beinhalten die aktuellen Entwicklungen eine Diversifizierung der Wärmequellen (vornehmlich die Reduzierung von Biomasse und Abwärmenutzung aus Müllverbrennungsprozessen), die Elektrifizierung der Versorgung durch die Integration von Sektorkopplungstechnologien wie Großwärmepumpen, Power-to-Heat und saisonale Speicher, einschließlich eines intelligenten Managements im Zusammenspiel mit dem Strommarkt. Darüber hinaus setzt Dänemark auf einen Energieträgerwechsel zu klimaneutraleren Quellen wie Geothermie und Solarthermie und die damit verbundene Absenkung der Vorlauftemperaturen. Die Nutzung unvermeidbarer Abwärme aus der Wasserstofferzeugung spielt ebenfalls eine Rolle in diesem Transformationsprozess.

Im Kern basiert die Transformation generell auf einem systemischen Ansatz, der fest in der lokalen Wertschöpfung verankert ist und eine langfristige Perspektive einnimmt. Dies erhöht die Chance, klimaneutrale Quellen und darauf aufbauende Technologien in Versorgungskonzepte zu integrieren, da sich ihre Wirtschaftlichkeit oft erst über längere Nutzungszeiträume zeigt. Für diese Art von langfristigen Investitionen gibt die Bank ‚Kommune Kredit‘ Fernwärmeversorgungsunternehmen Kredite zu günstigen Konditionen aus.

3. Transparente Kollaboration

Verwurzelt im lokalen Verantwortungsbewusstsein findet sich in Dänemark das sogenannte "hvile-i-sig-selv"-Prinzip, welches festlegt, dass aus der Erzeugung und dem Vertrieb von Wärme keine Gewinne erzielt werden dürfen.

Susanne Schmelcher

Verwurzelt im lokalen Verantwortungsbewusstsein findet sich in Dänemark das sogenannte „hvile-i-sig-selv“-Prinzip, welches festlegt, dass aus der Erzeugung und dem Vertrieb von Wärme keine Gewinne erzielt werden dürfen. Als weiteres Schlüsselelement der dänischen Wärmeversorgung stellt es die Basis für das Vertrauensverhältnis zwischen den Kunden und ihren Wärmeversorgern dar. Auch sorgt es dafür, dass sich über verschiedene Versorgungsunternehmen hinweg eine Kultur der Kollaboration etabliert hat, die von vertrauensvoller Zusammenarbeit geprägt ist. Erfahrungen werden offen geteilt und gemachte Fehler werden transparent kommuniziert. Dänischen Experten zufolge führt dies dazu, dass Risiken bei der Planung und Umsetzung innovativer technischer Konzepte eher in Kauf genommen werden. Daher sind Versorgungsunternehmen stärker bereit, sich leichter an Pilotprojekten in der Forschung zu beteiligen, was wiederum zu mehr Innovation in den Versorgungskonzepten führt.

Die Transparenz erstreckt sich nicht nur auf das Teilen technischer Lösungen, Umsetzungsprozesse und Investitionsplanungen, sondern bezieht sich auch explizit auf die Wärmepreisbildung. Die abrechenbaren Preisbestandteile der Heizkosten, die mit den Kunden vereinbart werden können, sind gesetzlich festgelegt und unterliegen einer genauen Überwachung durch die Aufsichtsbehörde Forsyningstilsynet (Danish Utility Regulator). Diese veröffentlicht zweimal im Jahr die Wärmepreise auf ihrer Webseite, wodurch Kunden leicht Vergleiche mit anderen Anbietern ziehen können. Dadurch wird die Transparenz erhöht und der Wettbewerb um die niedrigsten Wärmepreise verbessert. Das trägt wiederum zu einem effizienten Betrieb und niedrigen Kosten bei. Etwaige Gewinne werden an die Kunden auszuschütten bzw. reinvestiert. Bei Verlusten müssen die Preise angepasst werden. Im Schnitt liegen die Kosten für eine Standard-Haus bei ca. 2000 Euro bei einem Jahresverbrauch von 18,1 Megawattstunden.

Die Kollaborationsbereitschaft in punkto Wärmewende macht für die Dänen nicht an den eigenen Landesgrenzen halt. Das Land übernimmt aktiv eine Vorreiterrolle und betrachtet es als Verpflichtung, gewonnene Erkenntnisse großzügig weiterzugeben. Diesbezüglich gibt es zahlreiche konkrete Austauschformate und Projekte. Ein Beispiel ist die seit2014 zwischen Dänemark und Baden-Württemberg bestehende Kooperation im Rahmen des deutsch-dänischen Dialogs, der sich auf Energiepolitik konzentriert. Auch bestehen bilaterale Beziehungen zwischen der dänischen Botschaft, der dänischen Energieagentur sowie den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Hessen. Seit 2017 liegt der Schwerpunkt dieser Beziehungen auf dem Bereich der Wärmeversorgung.

Im Co-Lab KWP vernetzt die Deutsche Energie-Agentur (dena) zudem gemeinsam mit dem Danish Board for District Heating (DBDH), der dänischen Botschaft und dem Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende (KWW) deutsche Kommunen, die sich gerade im Prozess der Wärmeplanerstellung befinden mit dänischen Fachexperten und kommunalen Umsetzern. Dieser Austausch ist für die teilnehmenden Kommunen sehr wertvoll, da er Beispiele aufzeigt, wie die lokale Wärmewende, wenn auch unter anderen Vorzeichen, funktionieren kann. Das Thema kommunale Wärmeplanung ist auch für die dena zu einem Arbeitsschwerpunkt geworden. Ihr Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende (KWW) arbeitet seit 2022 intensiv daran Kommunen verlässliche Informationen zur Kommunalen Wärmeplanung (KWP), Know-how aus der Praxis und Beratungsmaterialien für die Akteure der Kommunalen Wärmewende zur Verfügung zu stellen. Mit der Verabschiedung des Wärmeplanungsgesetzes in Deutschland Ende 2023 ist für diese Wärmeplanung auch der regulatorische Rahmen geschaffen wurden – wenn auch deutlich später als beim dänischen Vorreiter. Die erfolgreiche Entwicklung in Dänemark zeigt dabei, dass es möglich ist bei den richtigen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen große Erfolge zu erzielen und kann für ganz Europa von Bedeutung sein.

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