Warum auch auf kommunaler Ebene die Energiewende sektorübergreifend gedacht werden sollte

Gastautor Portrait

Dr. Jessica Thomsen

Teamleiterin „Dezentrale Energieversorgung und Märkte“, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE

Dr. Jessica Thomsen leitet am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE das Team „Dezentrale Energieversorgung und Märkte“. In zahlreichen Projekten befassen sie und ihr Team sich mit den vielfältigen Aspekten der dezentralen Energieversorgung, von der integrierten Transformation kommunaler Energiesysteme, der Dekarbonisierung von Industrieunternehmen und -Liegenschaften bis hin zur Analyse von Energiegemeinschaften, Energie-Sharing-Konzepten und lokalen Märkten. Sie studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Internationales Projektmanagement an der Universität Siegen und der Universidad de Talca (Chile) und promovierte an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. http://s.fhg.de/profile-j-thomsen

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29. Januar 2024
Bild: servickuz/Shutterstock.com

Wie findet die Energie- und Wärmewende in unseren Städten in den kommenden 20 Jahren statt? Welche Technologien setzen wir sinnvollerweise ein? Welche Rolle wird Wasserstoff in der zukünftigen Energieversorgung spielen? Werden wir mit Wasserstoff heizen? Und welche Rolle spielt die kommunale Wärmeplanung in der erfolgreichen Dekarbonisierung des Wärmesektors?

Diese und damit verbundene Fragen haben Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer ISE und Fraunhofer IEE im Auftrag des Nationalen Wasserstoffrates beantwortet. Dabei haben sie erstmals einen Bottom-Up Ansatz gewählt, in dem vier Versorgungsgebiete detailliert modelliert wurden.

Die vier Gebiete sind die Städte Burg bei Magdeburg, Fellbach, Mainz und Westerstede. Für jede der vier Fallstudien wurden die aktuellen Ausgangsvoraussetzungen wie der Gebäudebestand, vorhandene Stromnetze, Erdgasleitungen und Fernwärmenetze sowie Versorgungstechnologien wie Heizungssysteme oder Photovoltaikanlagen berücksichtigt. Auch die weitere Potentiale von Erneuerbare Energien wie Wärmequellen für Wärmepumpen werden in der Analyse abgebildet. Um Transformationspfade abzubilden, wurden die Daten in das regionale, intersektorale Energiesystemmodell DISTRICT eingespielt und Szenarien für die zukünftige Entwicklung berechnet. Jedes Szenario zielt auf die Erreichung der Klimaziele ab und ist u.a. durch unterschiedliche Preispfade, Verfügbarkeiten von Technologien und Infrastruktur gekennzeichnet. In einem zweiten Schritt wurden für die Gas- und Stromnetze detaillierte Simulationen mit den beiden Netzmodellen pandapipes und pandapower durchgeführt. Damit wurde der Ausbaubedarf in den Stromverteilnetzen ermittelt. Die Studie wurde im Dezember 2022 veröffentlicht und hat aufgrund ihres integrierten Bottom-Up Ansatzes, der deutlich über eine kommunale Wärmeplanung hinausgeht, weiterhin Gültigkeit in vielen ihrer Erkenntnisse.

Bis 2030 sind der Ausbau der Wärmepumpen und Photovoltaik die wichtigsten Maßnahmen in allen Szenarien

Auch über 2030 hinaus ist die Wärmepumpe in jedem der Szenarien die präferierte Lösung in der dezentralen Raumwärmeerzeugung.

Dr. Jessica Thomsen

Die Ergebnisse zeigen über alle Szenarien hinweg den Ausbau von Wärmepumpen als primäre Strategie zur Dekarbonisierung der Raumwärme. Der Weg bis 2030 ist in allen Szenarien sehr ähnlich und durch einen starken Hochlauf der Photovoltaik- und Wärmepumpenleistungen zur Erreichung der Klimaziele geprägt. Der Energieträger- und Heizungstechnologiewechsel in Richtung Strom und Wärmepumpen erfolgt in jedem Szenario in allen Bereichen, also Einfamilienhäusern, Mehrfamilienhäusern und auch GHD- sowie Fernwärmeanwendungen. Auch über 2030 hinaus ist die Wärmepumpe in jedem der Szenarien die präferierte Lösung in der dezentralen Raumwärmeerzeugung. Eine Ergänzung durch Wasserstoffkessel erfolgt nur in Gebäuden mit höheren Vorlauftemperaturen in den Szenarien, in denen der Wasserstoffpreis sehr niedrig angesetzt wurde. Der Einsatz von Wasserstoff zeigt sich in allen Szenarien vor allem in der Fern- und industriellen Prozesswärme. Die Versorgung von Industriekunden mit Strom und Prozesswärme hat aufgrund ihrer Anforderungen in Form höherer Temperaturen und Drücke, sowie der mengenmäßig größeren Energienachfrage der Industrie eine wichtige Rolle im Systemkontext. Um die Transformation der Industrie im Allgemeinen und der Prozesswärme im Besonderen erfolgreich in die Gesamttransformation einzubinden, ist eine gute Kommunikation zwischen Energieversorgern, Netzbetreibern und wichtigen Industriekunden grundlegend.

Fernwärme wird in Zukunft auf natürliche Wärmequellen und Großwärmepumpen angewiesen sein

In der Fern- und Prozesswärme zeigt sich ein Mix aus Großwärmepumpen, die unterschiedliche Wärmequellen (bspw. Gewässer) nutzen, mit Wasserstoff betriebene Kraft-Wärme-Kopplung und weitere erneuerbare Technologien wie Solarthermie, Geothermie und Biomasse. Die Technologieauswahl ist dabei stark von den lokal verfügbaren Wärmequellen abhängig. Die Entfernung der natürlichen Wärmequellen von den Gebieten hoher Wärmedichten sind dabei entscheidend für die Frage, ob ein neues Fernwärmenetz effizienter ist als dezentrale Lösungen mit Wärmepumpen ist.

Der Einsatz von Wasserstoff in der Wärme ersetzt nicht den Ausbau der Stromverteilnetze

Die Analyse der Stromnetze zeigt, dass in allen betrachteten Szenarien und Gebieten die Stromnachfrage erheblich ansteigt und ein Netzausbau notwendig ist, ungeachtet des Anteils der Wasserstoffnutzung im Gebäudesektor. Ein großflächiger Einsatz von Wasserstoff im Gebäudesektor könnte den Stromnetzausbau zwar bis zu einem Drittel reduzieren, dies gilt aber nur bei einem vollständigen Ersatz von Erdgas durch Wasserstoff und einem Wasserstoffpreis, der maximal die Hälfte des Endkundenstrompreises beträgt. Die Gesamtkosten der Szenarien zeigen in jedem Gebiet geringe Differenzen zwischen den Transformationspfaden und sind geprägt durch die Verbrauchskosten, nicht die Ausbaukosten der Verteilnetze.

Eine sektorübergreifende Betrachtung ist langfristig notwendig

Die integrierte Betrachtung der verschiedenen Energiesektoren zeigt, dass erhebliche Wechselwirkungen zwischen den Sektoren bestehen und die Lösungen lokal sehr unterschiedlich sind.

Dr. Jessica Thomsen

Die integrierte Betrachtung der verschiedenen Energiesektoren zeigt, dass erhebliche Wechselwirkungen zwischen den Sektoren bestehen und die Lösungen lokal sehr unterschiedlich sind. Die kommunale Wärmeplanung ist ein guter Startpunkt, der mittel- bis langfristig um eine spartenübergreifende Betrachtung über alle Stromverbräuche, den Verkehr, die Industrie und die Gebäudewärme ergänzt werden sollte. Nur so können die Energie- und damit Infrastrukturbedarfe und deren Wechselwirkungen korrekt abgeschätzt werden.

Skaliert man die Ergebnisse der Studie auf Deutschland hoch, zeigt sich, dass die Ergebnisse mit denen der großen Systemstudien vergleichbar sind. Die Erreichung der Klimaziele geht mit einer Reduktion der Energiemenge im Erdgasnetz einher, während die Stromnachfrage ansteigt. Ein direkter Ersatz von Erdgas durch Wasserstoff erscheint aufgrund der in den nächsten Jahren begrenzten Verfügbarkeit nicht realistisch bzw. würde mit einer Verfehlung der Klimaziele einher gehen.

Die Langfassung der Studie finden Sie unter diesem Link.

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