Versorgungssicherheit: Der Markt und eine Strategische Reserve reichen aus

Gastautor Portrait

Dr. habil. Jörg Jasper

Konzernexperte Energiewirtschaft und Energiepolitik, EnBW Energie Baden-Württemberg AG

Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaft an der Universität Hannover arbeitete Jasper ab 1994 dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ab 1996 erhielt er ein Stipendium der Friedrich-Naumann-Stiftung. 1998 vollendete Jasper seine Promotion und schloss einen Forschungsaufenthalt in Russland an als Stipendiat der Fritz-Thyssen-Stiftung. Jasper habilitierte sich 2004 und erhielt die Venia Legendi für das Fach Volkswirtschaftslehre. Seit 2006 arbeitet Jasper für die EnBW Energie Baden-Württemberg AG, zunächst als Senior Economist und seit 2010 als Konzernexperte Energiewirtschaft und Energiepolitik.

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03. Juni 2014
Dr. habil. Jörg Jasper, Konzernexperte Energiewirtschaft und Energiepolitik der EnBW Energie Baden-Württemberg AG

In Deutschland wächst die Sorge um die Versorgungssicherheit. Begründet werden die aktuellen Befürchtungen dadurch, dass die Erneuerbaren Energien Auslastung und Preise der vorhandenen Erzeugungskapazitäten unter Druck setzten und dass der Markt in Zukunft „versagen“ würde, weil er angesichts der niedrigen Preise keine neuen Erzeugungskapazitäten anreizen würde. Bei der Diskussion fällt auf, dass ein bemerkenswert geringes Vertrauen in den Strommarkt vorherrscht. Wahrscheinlich wird er unterschätzt.

Tatsache ist, dass aktuell die Preise (und auch die Preiserwartungen für die kommenden Jahre) keinen zusätzlichen Neubau anreizen. Die Frage ist, ob dies ein zuverlässiger Anhaltspunkt dafür ist, dass der Markt versagt. Da habe ich meine Zweifel. Seit Einführung der Liberalisierung hat der Markt immer dafür gesorgt, dass ausreichend Strom im Angebot war. Auch Zubauentscheidungen für Kraftwerke wurden unter Marktbedingungen in großem Umfang getroffen. Aktuell sind die Preise niedrig, weil das Angebot an Kapazität mehr als ausreicht und sich der Markt bereinigen muss. Dass man in einer solchen Phase keine Preise sieht, die Neubau anreizen, ist nicht verwunderlich, denn zusätzlichen Neubau benötigt der Markt derzeit nicht.

Kein akuter Handlungsbedarf
Wird es der Markt aber auch später immer schaffen, Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen? Die Wahrheit ist: dies kann im Moment niemand seriös sagen. Die Wahrheit ist auch: es besteht kein akuter Handlungsbedarf, denn die Kapazitäten reichen auch in den kommenden Jahren mehr als aus. Zwar beobachten wir im Moment eine deutliche Stilllegungswelle, aber gleichzeitig sind zahlreiche neue Kraftwerke im Bau. Mit einem knapperen Kapazitätshaushalt ist also nicht vor Anfang des kommenden Jahrzehnts zu rechnen. Was wird dann geschehen? Der Markt wird – wie jeder andere Markt auch – entsprechend reagieren und Preise werden ansteigen. Nun wird argumentiert, dass der Strommarkt seine Investitionsanreize quasi erst in Krisen hervorbringe. Es müsse (beinahe) „dunkel“  und sehr teuer werden, bevor Kraftwerksinvestoren reagieren. Ob es „dunkel“ wird, kann bezweifelt werden, denn die Marktakteure haben inzwischen vielfältige Möglichkeiten, auf ein knapperes Angebot zu reagieren. Die Kreativität, die ein Markt bei steigenden Preisen freisetzt, wird in der öffentlichen Debatte gern unterschätzt. Man neigt stattdessen dazu, den heutigen Zustand fortzuschreiben oder sich in eine „Klötzchenwelt“ zu begeben, in der man Großkraftwerkskapazitäten addiert und mit der Jahreshöchstlast vergleicht. Der Markt ist inzwischen aber wesentlich komplexer und seine Reaktionsmöglichkeiten auf knappe Kapazitäten sind vielfältiger geworden. Der Bau von neuen Großkraftwerken  ist nur eine Lösungsvariante. Ein solcher Kraftwerksneubau würde in der Tat einen mehrjährigen Vorlauf erfordern und – wenn er die einzige Lösung wäre – tatsächlich einen entsprechenden Vorlauf beim Marktdesign erforderlich machen. Die Realität sieht aber inzwischen etwas anders aus: In Berlin bspw. konstituiert sich derzeit eine ganze Startup-Szene, die sich prominent mit Lastflexibilisierungs- und Verlagerungsoptionen befasst. Wenn derartige Optionen bei steigenden Preisen „ins Geld kommen“, reagiert auch der Markt und Angebot und Nachfrage treffen sich.

Vor diesem Hintergrund ist die Dringlichkeit, mit der aktuell verschiedentlich Kapazitätsmärkte gefordert werden, kaum verständlich. Ein echtes Kapazitätsproblem existiert derzeit nur in Süddeutschland, aber aus ganz anderen Gründen: hier muss Kapazität vorgehalten werden, um das Netz zu stützen. Der gesamtdeutsche Kapazitätshaushalt ist bis auf weiteres nicht gefährdet.Konventionell1959[1]

Strategische Reserve – ein erprobtes Modell
Für den Fall, dass man dennoch das Risiko eines gesamtdeutschen Kapazitätsengpasses politisch oder gesellschaftlich nicht akzeptieren möchte, empfiehlt die EnBW seit Jahren die Einrichtung einer Strategischen Reserve. Dabei handelt es sich um Kapazitäten (meist ansonsten stillzulegende ältere Anlagen), die außerhalb des Marktes vorgehalten werden und insofern den Markt kaum beeinträchtigen. Diese Anlagen erhalten ein Entgelt für die Vorhaltung von Kapazität, das in einer Ausschreibung ermittelt wird. Der Übertragungsnetzbetreiber hält sie in der Hinterhand für den Fall, dass der day-ahead Markt tatsächlich einmal nicht geräumt werden kann, weil das Angebot nicht ausreicht. In diesem Fall bietet der Übertragungsnetzbetreiber die Reserveanlagen zum technischen Höchstpreis (z.B. 3000 €) in den Markt – also zu einem Preis, der sich ähnlich auch bei Markträumung unter Knappheitsbedingungen eingestellt hätte. Die Strategische Reserve hat damit den großen Vorteil, dass nur minimal in den Markt eingegriffen werden muss und der Markt Knappheitspreise (und damit Investitionssignale) zeigen kann, ohne dass es zu Versorgungsengpässen kommt. Eine Strategische Reserve wird seit einer Dekade in Schweden und Finnland angewendet. Hier hat sich das Modell als günstig und verlässlich bewährt. Es soll zudem in den kommenden Jahren in Schweden vollständig auf nachfrageseitige Ressourcen umgestellt werden. Ob eine Strategische Reserve überhaupt „gezogen“ werden muss, ist offen. Noch lange bevor Preise von 3000 € auftreten, werden Marktteilnehmer (auch und gerade auf der Nachfrageseite), die die Fundamentaldaten genau beobachten, steigende Preise erwarten und alles tun, um ihre Chancen zu nutzen. Die Strategische Reserve bietet aber die beruhigende Sicherheit, dass es nicht „dunkel“ werden kann.

Nach unserer Überzeugung kann man die Strategische Reserve für Gesamtdeutschland mit einem „Kernanteil“ für Süddeutschland versehen. Die Anlagen, die im Süden (hierzu zählt nicht nur Deutschland, sondern auch Österreich) zur Netzstützung vorzuhalten sind, könnten im Rahmen der Strategischen Reserve in einem Ausschreibungsverfahren vorrangig beschafft werden. Sie könnten dann den Übertragungsnetzbetreibern  sowohl zur Stützung des Netzes  („Redispatchreserve“) als auch zur Stabilisierung des gesamtdeutschen Leistungshaushaltes (im ursprünglichen Sinne einer Strategischen Reserve) eingesetzt werden. Beide Einsatzlogiken – dies wurde bereits geprüft – passen gut zueinander. Damit wäre es auch möglich, das aktuelle „Notstandsregime“ der Reservekraftwerksverordnung abzulösen, das sehr marktfern ist: die betroffenen deutschen Anlagen unterliegen Stilllegungsverboten und müssen sich in ein System der regulatorischen Kostenerstattung begeben. Die Bundesnetzagentur hat kürzlich mit der „Systemreserve“, faktisch eine vierte Regelleistungsart, einen Vorschlag in die Diskussion eingebracht, der ähnlich leistungsfähig und marktfreundlich ist.

Alle weitergehenden Schritte in Richtung Kapazitätsmechanismen müssen sehr sorgfältig erwogen werden. Internationale Erfahrungen zeigen, dass derartige weiterreichende Kapazitätsmechanismen immer mit Markteingriffen verbunden sind. Diese unterscheiden sich natürlich von Modell zu Modell, können aber mit erheblichen Verlusten an Effizienz verbunden sein. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Kunde für ein gegebenes Niveau an Versorgungssicherheit mehr bezahlen muss, als eigentlich notwendig.

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