Scheitert die Energiewende an fehlenden Fachkräften? Einführung ins Schwerpunktthema

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Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
14. Dezember 2022
Max kegfire/Shutterstock.com

215 lautet das Ziel. So viel Gigawatt solare Leistung soll 2030 installiert sein. Aktuell beträgt die Leistungskraft aller deutschen Solaranlagen, die in den letzten 20 Jahren ans Netz gingen, 60 GW. Fehlen also „nur noch“ 155 GW. Auch bei der Windkraft an Land und auf See sind die Ziele mit einer Verdopplung bzw. einer Vervierfachung (Offshore) sehr ambitioniert. Zusammen sollen die Erneuerbaren um 240 GW – der Leistungskraft von 240 Großkraftwerken – wachsen. Dieser Umbau der Erzeugung erfordert sehr viel Personal. Personal, das es zurzeit nicht gibt. Scheitert die Fortsetzung der Energiewende und damit die Einhaltung der Klimaziele an fehlenden Fachkräften?

Ausbauziele der Leistung von Solar- und Windkraftanlagen.

Quelle: Bundesnetzagentur

Viele Aufgaben, zu wenig Menschen

Ein rasant ansteigender Ausbau der Erneuerbaren Energien ist die Grundlage, um unser Wirtschaftssystem in Richtung Klimaneutralität zu überführen und die CO2-Emissionen im Sinne des Pariser Klimaabkommens zu senken. Die Vervielfachung der Leistungskapazitäten bei Solar und Wind allein reicht aber nicht aus. Zusätzlich bedarf es:

  • des Aufbaus von Werken für die Zell- und Modulproduktion für die Solarwirtschaft.
  • der Diversifikation der Lieferketten für die kommende Energieindustrie.
  • des Umbaus der Industrie durch neue, auf die erneuerbaren Energien gestützte Prozesse
  • des Ausbaus der Netze sowohl auf der Übertragungs- als auch auf der Verteilnetzebene inklusive deren Digitalisierung.
  • des Ausbaus der Ladeinfrastruktur für die E-Mobility.
  • des parallelen Aufbaus einer Wasserstoffinfrastruktur für die Industrie.
  • des Aufbaus von Produktionsstätten für die Herstellung von Elektrolyseuren.
  • der deutlichen Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudebestand.
  • einer Steigerung von Produktion und Installation von Wärmepumpen in Neubau und Bestandsgebäude.
  • des Austausches von Gas- und Ölheilkesseln.
  • des Aufbaus von Nahwärmenetzen.
  • der vermehrten Produktion von Batterien…..

Diese Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit verdeutlicht, wie viel reale Arbeit die Transformation in den nächsten Jahren erfordert.  Meist sind Tätigkeiten gefragt, für deren Ausführung eine mehrjährige Ausbildung erforderlich ist.

Aktuell sind auf der EE-Jobbörse 785 Stellenangebote gelistet, gesucht werden aber viel mehr: 200.000 Fachkräfte fehlen bereits heute. Das betrifft viele Gewerke und Berufe wie Dachdecker, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker*innen oder auch Elektriker*innen.

Fehlende Fachkräfte – nicht nur für die Energiewende

Ursächlich für den Mangel, der alle Branchen trifft, ist der demografische Wandel, dessen Auswirkungen sich nun Jahr für Jahr verstärken werden.

Nicht nur vereinzelt kommt es in Deutschland vor, dass Unternehmen aufgeben oder zumindest ihre Geschäfte einschränken müssen, weil Fachkräfte fehlen. Dazu beigetragen hat in manchen Geschäftszweigen, wie der Gastronomie oder der Kulturwirtschaft, die Coronakrise. Ursächlich für den Mangel, der alle Branchen trifft, ist der demografische Wandel, dessen Auswirkungen sich nun Jahr für Jahr verstärken werden. Die geburtenstarken Jahrgänge scheiden aus dem Arbeitsleben aus und die geburtenschwachen Jahrgänge rücken nach. Umso dramatischer die Herausforderung für die Energiewende und die Einhaltung der Klimaziele: Woher sollen die fehlenden Fachkräfte kommen?

„Die sogenannte Fachkräftelücke liegt laut Institut der deutschen Wirtschaft im Zwölf-Monats-Durchschnitt von Juli 2021 bis Juli 2022 für qualifizierte Arbeitskräfte über alle Berufe hinweg bei 537.923 Stellen. Die Zahl beinhaltet die offenen Stellen, die rein rechnerisch nicht besetzt werden konnten, da es keine passend qualifizierten Arbeitslosen für sie gab.“

Diese heute schon bestehende Lücke kann – soweit sei der Diskussion schon vorgegriffen – eine Maßnahme allein nicht schließen. Und alle Maßnahmen, die innerhalb von Deutschland oder den EU-Ländern zur Anwendung kommen könnten, werden sich an der Frage messen lassen müssen, ob das Schließen einer Lücke nicht an anderer Stelle eine neue Lücke entstehen lässt. So ist die häufig gehörte Klage, dass immer mehr Schulabsolventen an die Unis streben und immer weniger ein Handwerk erlernen wollen. Ein Rückgang der Studierendenzahlen hätte allerdings zur Folge, dass künftig noch mehr Ingenieur*innen fehlen. Der Transformation in eine CO2-freie Wirtschaft wäre folglich nicht gedient.

Kann Zuwanderung die Probleme lösen?

Studie des Kompetenzzentrums für Fachkräftesicherung

Große Hoffnungen liegen auf der Zuwanderung. Fertig ausgebildete Fachkräfte lassen sich auf diesem Wege nicht finden, denn eine vergleichbare Berufsausbildung wie in Deutschland gibt es kaum auf der Welt. Gesucht werden folglich Menschen, die Erfahrungen in der Tätigkeit mitbringen, die sich gerne weiterbilden und die Deutsch lernen wollen. Um die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu befriedigen, müssen, so die Schätzung, 400.000 Menschen jährlich (!) zuwandern. Das Bundeskabinett hat eine Fachkräftestrategie verabschiedet. Diese sieht unter anderem eine Reform des Einwanderungsrechtes sowie eine Beschleunigung der Verfahren vor.

Eine Studie des Kompetenzzentrums für Fachkräftesicherung am IW in Köln für die Wind- und Solarwirtschaft konstatiert ebenfalls dringenden Handlungsbedarf. (Wir werden diese Studie im Rahmen des Schwerpunktes ausführlich vorstellen.) Auch wenn die dort aufgelisteten Empfehlungen, die sich an Unternehmen und Politik richten, morgen umgesetzt würden, wären die Herausforderungen übermorgen nicht gelöst. Bei einigen Maßnahmen wird es Jahre brauchen, bis die Änderungen für Entspannung auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Bis dahin, so ist zu befürchten, wird der Fachkräftemangel den Ausbau der Energiewende auf allen Ebenen behindern. Wir sind gespannt, welche Vorschläge in unserem neuen Schwerpunkt auf den Tisch kommen und diskutiert werden.

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