Mobilität in meiner Stadt

Gastautor Portrait

Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
30. November 2018
Podium der Kooperationsveranstaltung Mobilität in der Stadt

Her mit den Mobilitätskonzepten für unsere Mittelstädte

Breitere Straßen zu bauen, um Stau zu verhindern, ist wie den Hosengürtel zu öffnen, um Übergewicht los zu werden

Stadtforscher Lewis Mumford, 1955

Straßen und auch der ÖPNV sind am Rande ihrer Kapazität. Aber wie bekommen wir den gewachsenen Bestand von Gebäuden und Infrastruktur in Einklang mit den Mobilitätsbedürfnissen von Bürgern, Industrie und Handwerk und den Verkehrsflüssen zwischen Stadt und Umland? Welche Lösungen sind sinnvoll und auch realistisch für die mittelgroßen Städte unserer Region?

Schon die Eingangsfragen sorgten für engagierte Beiträge aus dem Publikum zu der Diskussion, zu der die Stadt Backnang, der Solarverein Rems-Murr und die Stiftung Energie & Klimaschutz am 29. November 2018 ins Technikforum Backnang eingeladen hatten.

Wie es 2025 auf unseren Straßen aussehen wird, steht schon jetzt fest: Die kommenden Automodelle sind bereits konstruiert, die ÖPNV-Tarife vorauskalkuliert, die Straßenplanung läuft.

Doch obwohl infrastrukturelle Entscheidungen eine Bestandswirkung über Jahrzehnte hinaus entfalten, verlieren wir uns im Klein-klein von Geschwindigkeitsbegrenzungen, Parkplätz-Problemen und dem Flicken von Frostschäden.

„Veränderung by design oder by desaster“ (Martin Randelhoff)

Wenn die Römer so langsam gebaut hätten, wären sie heute noch nicht im Welzheimer Wald

Thomas Kiwitt

Das Werbeversprechen für das Auto als Inbegriff der Freiheit und Individualität hält der Verkehrswissenschaftler und Mobilitätsblogger Martin Randelhoff angesichts der täglichen Staus für gnadenlos überschätzt. Aber die Konzepte von Ballungsgebieten wie Berlin oder Stuttgart gegen verkehrsbedingte Luftverschmutzung und unzureichenden ÖPNV sind nicht auf mittelgroße Städte wie z.B. Backnang (rund 40.000 Einwohner) übertragbar. Randelhoff fordert deshalb eine radikale Änderung des  gesamten Systems. Er ist sich sicher: „Wir haben keine Ideenproblematik, sondern eine Umsetzungsproblematik.“

Amadeus Regerbis, Leiter Ladeinfrastruktur & Vertrieb Elektromobilität bei der EnBW, ist überzeugter Elektronaut. Er weiß: Es geht immer um die Verlässlichkeit. Aber: „Sie tanken Ihr Auto ja auch nicht jeden Abend, und ich bin noch nie mit leerer Batterie liegen geblieben.“ Einen Großteil des gutinformierten Publikums muss er davon nicht erst überzeugen.

Johannes Schmidt, beim Startup Emm! solutions für Projekte und IT zuständig ist, nutzt kein Carsharing. Auch wenn er sich damit Parkgebühren und die Suche nach dem Parkplatz sparen könnte. Er gibt zu: „Wenn ich dazu erst zwei Kilometer zum Bahnhof laufen muss, ist mir das einfach nicht komfortabel genug.“ Zur Verringerung der Pendlerstaus regt er an, den Schichtbeginn großer Unternehmen zu verschieben und das Breitband auszubauen, um mehr Heimarbeit zu ermöglichen. Außerdem stellt er ein Modell vor, bei dem Liefer-Lkws ihre Ladung an außerstädtischen Hubs auf kleine Elektro-Sprinter verteilen.

Prognosen und Konzepte

„Wir wollen die Menschen dort ansiedeln, wo eine ÖPNV-Anbindung besteht. Gleichzeitig verdrängen wir sie von dort durch hohe Wohnungspreise. Damit machen wir effiziente Strukturen kaputt“, kritisiert Thomas Kiwitt, Leitender Technischer Direktor des Verbands Region Stuttgart. Er bemängelt zudem  die „grotesk langen Realisierungszeiten“. Selbst um den Radwegeausbau zu verhindern, werde mittlerweile der Rechtsweg ausgeschöpft. Aber wo sollen Abstriche gemacht werden: bei der Umweltprüfung, bei der Bürgerbeteiligung?

Gerade mittlere Städte wie Backnang im Stuttgarter Umland bieten ihren Einwohnern mehr Lebensqualität, als man von ihrer Größe eigentlich erwarten würde. Das liegt mit daran, dass die Einwohner Backnangs die Möglichkeit haben, nach Stuttgart zu pendeln, um zu arbeiten. Und auch am attraktiven Umland. Dorthin werden die Verkehrsflüsse ebenfalls zunehmen: „Wir werden in den nächsten Jahren viele Rentner bekommen mit eigenem Auto, vorhandener Kaufkraft und viel Freizeit“, davon geht Kiwitt aus. Natürlich hat er die Abhängigkeit gerade der Region Stuttgart vom Verbrennungsmotor im Blick: „50.000 Menschen hier produzieren Teile, die ein Elektroauto nicht benötigt.“ Er weiß deshalb: Den großen Wurf gibt es nicht; nötig ist ein massentaugliches Mobilitätskonzept aus einem Guss.

 

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