Schwankungen in der Windenergieleistung
Je größer der Beitrag der Offshore-Windenergie an der Gesamtstromerzeugung, desto wichtiger werden kurzfristige Prognosen, die verlässlich Windgeschwindigkeit und -richtung und damit die zu erwartende Leistung vorhersagen. Plötzliche Schwankungen der Windgeschwindigkeit und auch der Windrichtung bewirken große Veränderungen in der resultierenden Leistung eines Windparks. Die ständige Anpassung des fluktuierenden Angebots aus Wind- und Solarenergieanlagen an die schwankende Stromnachfrage und die damit verbundene Regelung von konventionellen Kraftwerken ist die Aufgabe der Stromnetzbetreiber, die einen stabilen Betrieb und Versorgungssicherheit garantieren müssen. Um die Einspeisung des Windstroms zu erleichtern, werden Leistungsprognosen genutzt.
Bessere Leistungsvorhersagen für Windparks
Je größer der Beitrag der Offshore-Windenergie an der Gesamtstromerzeugung, desto wichtiger werden kurzfristige Prognosen
Vorhersagen zur Abschätzung der Leistung von Windparks werden auf verschiedenen Zeithorizonten mit Hilfe unterschiedlicher Methoden erstellt. In einem Vorhersagebereich von mehreren Stunden bis Tagen werden Prognosen mit Hilfe von physikalischen Modellen wie numerischen Wettervorhersagemodellen erstellt. Im Bereich von nur wenigen Minuten bis zu einer Stunde spricht man von Kürzestfrist-Leistungsprognosen. Diese werden für den Stromhandel und die Übertragungsnetzbetreiber immer interessanter, können bisher jedoch nicht mit physikalischen Modellen erstellt werden. Solche kurzfristigen Vorhersagen basieren in der Regel auf statistischen Modellen, die allerdings plötzlich auftretende Schwankungen innerhalb sehr kurzer Zeiträume häufig nicht gut oder gar nicht darstellen können. Daher sieht ein neuer Ansatz vor, Kürzestfrist-Leistungsprognosen auf Grundlage von Echtzeit-Messdaten zu erstellen. Diese werden mit Hilfe von Fernerkundungsmesssystemen, dem Lidar (Abkürzung für „Light detection and ranging“) oder dem Radar (Abkürzung für „Radio detection and ranging“), erhoben. Beide Messverfahren funktionieren ähnlich wie die Radarfalle bei der Verkehrskontrolle, nur dass hier nicht die Geschwindigkeit des Verkehrsteilnehmers gemessen wird, sondern die Geschwindigkeit winziger Partikel und Tröpfchen, die sich in der Luft befinden und vom Wind transportiert werden.
Kürzestfrist-Leistungsprognosen für Offshore-Windparks mit Lidar-Messgeräten
Installiert auf einer Windenergieanlage innerhalb eines Offshore-Windparks kann ein Lidar- bzw. Radar-Gerät mehrere Kilometer weit scannen. So kann es flächig die Windgeschwindigkeit und -richtung des Windfeldes erfassen, das in Kürze auf den Windpark treffen wird (siehe Grafik). Auf Grundlage dieser räumlich und zeitlich hochaufgelösten Windfeldinformationen wird berechnet, wie viel Leistung der Windpark erbringen wird, wenn dieses Windfeld ihn durchläuft. Der Zeithorizont der Vorhersage ist dabei abhängig von der Reichweite des Lidars und der Größenordnung der Windgeschwindigkeit. Angenommen, ein Lidar erfasst 10 Kilometer stromaufwärts ein Windfeld mit einer Windgeschwindigkeit von 11 Metern pro Sekunde. Die daraus berechnete Leistungsprognose würde etwa 15 Minuten im Voraus vorliegen, bevor dieses Windfeld auf die ersten Anlagen im Windpark trifft. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zeigen, dass Lidar- und Radar-Messsysteme die Genauigkeit bei der Leistungsvorhersage der Offshore-Windenergie verbessern können. Insbesondere extreme und schnelle Änderungen der Windleistung durch abrupte Änderungen der Windgeschwindigkeit, z. B. beim Durchzug von Wetterfronten, können mit dieser Methode besser vorhergesagt werden als mit statistischen Verfahren.
Messkampagne in der Nordsee
Seit August 2018 ist eines der Lidar-Messgeräte des Zentrums für Windenergieforschung (ForWind) auf der Zugangsplattform einer Windenergieanlage im Offshore-Windpark Global Tech I in der Nordsee installiert. Es misst in 25 Metern Höhe und bei einer maximalen Reichweite von 12 Kilometern den einströmenden Wind (siehe Grafik). Die flächige Messung deckt hierbei einen Bereich von bis zu 150° ab. Mit Hilfe der gewonnenen Daten wird ein neu entwickeltes Kürzestfrist-Vorhersagemodell erweitert und verbessert. Hierbei handelt es sich um probabilistische Vorhersagen, das heißt, zu jedem vorhergesagten Leistungswert wird zusätzlich ein Wahrscheinlichkeitsintervall geliefert. Diese zusätzlich angegebenen Unsicherheiten sind nützlich für den Stromhandel und sollen den Netzbetreibern Entscheidungen erleichtern. Bis zur Nutzung der Vorhersagemodelle für den Windparkbetrieb ist weitere Forschung nötig. Ziel ist es, auch die Nachlaufströmungen innerhalb eines Windparks in das Modell mit einzubeziehen. So ließe sich das Vorhersagemodell auf den gesamten Windpark anwenden.
Vorteile der Kürzestfrist-Leistungsprognosen
Die Annahmezeiträume für Gebote an der Strombörse sind in den letzten Jahren auf wenige Minuten gesunken. Mit dem weiter steigenden Anteil erneuerbarer Energien am Netz, werden sich diese Zeiträume auch in Zukunft weiter verkürzen. So gewinnen verlässliche Kürzestfrist-Leistungsprognosen im Handel immer mehr an Bedeutung. Der Einsatz von Vorhersagemodellen basierend auf Lidar- und Radarmessungen kann die derzeitigen Unsicherheiten in den Kürzestfrist-Leistungsprognosen von Offshore-Windparks reduzieren und somit auch die Stabilität des Gesamtstromnetzes verbessern. Angebot und Nachfrage ließen sich einfacher angleichen, wodurch Ausgleichsreserven aus konventionellen Kraftwerken gezielter eingesetzt werden können. Im gegenteiligen Fall, wenn mehr Energie produziert und eingespeist wird, als zu der Zeit verbraucht wird, werden für einen schnellen und einfachen Ausgleich meist Windenergieanlagen statt konventioneller Kraftwerke vom Netz genommen. Solch ein Einspeisemanagement ist weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll und wäre mit Hilfe der genaueren Vorhersagen seltener nötig.
Über die Autoren
Prof. Dr. Martin Kühn
Stiftungsprofessor für Windenergiesysteme an der Universität Oldenburg
Prof. Dr. Martin Kühn, seit April 2010 Stiftungsprofessor für Windenergiesysteme an der Universität Oldenburg, studierte Maschinenbau an der Universität Hannover und Physikalische Ingenieurswissenschaft an der TU Berlin und TU Delft (Niederlande), wo er auch promovierte. Kühn arbeitete von 1999 bis 2003 bei GE Wind Energy als technischer Projektleiter für Offshore-Windparks. 2004 wurde er auf den Stiftungslehrstuhl Windenergie an der Universität Stuttgart berufen. Seit 2010 forscht und lehrt er in Oldenburg bei ForWind, dem Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen. Er ist Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Energie & Klimaschutz.
Frauke Theuer
Doktorandin am Zentrum für Windenergieforschung ForWind
Frauke Theuer hat Engineering Physics (M.Sc.) mit dem Schwerpunkt erneuerbare Energien an der Universität Oldenburg studiert. Im Rahmen eines Stipendiums der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) promoviert sie seit Dezember 2018 am Zentrum für Windenergieforschung ForWind in der Arbeitsgruppe Windenergiesysteme (Prof. Dr. Martin Kühn). Sie befasst sich dabei mit der Weiter-entwicklung von Kürzestfrist-Leistungsprognosen in Offshore-Windparks basierend auf Fernerkundungsverfahren.
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