Power-to-Gas und die Herausforderungen nach dem Hype

Gastautor Portrait

Christoph Brunner

EnBW

Christoph Brunner ist Wirtschaftsingenieur für Energie und Umweltmanagement und arbeitet seit 2009 bei der EnBW. Zu seinen derzeitigen Aufgaben im Bereich Handel zählen Recherchen und modellbasierte Analysen zur kurz- bis mittelfristigen Entwicklung der Termin- und Spotmärkte für Strom. Zuvor befasste er sich mit energiewirtschaftlichen Projektbewertungen von konventionellen und erneuerbaren Erzeugungsanlagen sowie Speichertechnologien im In- und Ausland. Expertise zum Thema Power-to-Gas erlangte er im Bereich Forschung und Entwicklung der EnBW im Rahmen eines Verbundforschungsprojekts zum Wirtschaftlichkeitsvergleich von unterschiedlichen Einsatzkonzepten für Power-to-Gas-Anwendungen.

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01. September 2015

Seit einigen Jahren häufen sich Studien und Veröffentlichungen, in denen die Notwendigkeit von Power-to-Gas (PtG) für das zukünftige Energiesystem hervorgehoben wird. Anfänglich wurde das PtG-Konzept noch als Schlüsseltechnologie für das Gelingen der Energiewende gesehen. Inzwischen scheint jedoch eine gewisse Ernüchterung einzukehren, die von einer zunehmend sachlicheren Diskussion zur Rolle von PtG in der Energiewende begleitet wird.

Mutmaßung für den Hype
Bisher galt die These, dass die schwankende Stromerzeugung aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen in einem überwiegend auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem zukünftig durch zusätzliche Speicher ausgeglichen werden muss. Ein wesentlicher Grund für den Hype um PtG war sicherlich, dass durch zahlreiche Forschungs- und Pilotanlagen die generelle technische Eignung diese Technologie zur langfristigen Speicherbarkeit größer Strommengen demonstriert werden konnte. In Politik, Wissenschaft und Wirtschaft wurde PtG daher häufig als Lösung genannt, wenn Kritiker der Energiewende die Herausforderungen der Integration von wetterabhängiger Erzeugung hervorhoben.

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Flexibilität statt Speicher
Der Hype um PtG hat gleichzeitig aber auch zu einer Diskussion über mögliche Alternativen geführt, die ebenfalls zum Ausgleich von Wind- und Solarstrom genutzt werden können. Neben weiteren Speichertechnologien, wie Pumpspeicherkraftwerke oder Batterien, sind auch eine Flexibilisierung der Erzeugungs- und Nachfrageseite sowie Maßnahmen innerhalb des Stromnetzes denkbar. Insbesondere die Ertüchtigung des Stromnetzt hat gegenüber der verlustbehafteten Speicherung den Vorteil, dass der Strom dort genutzt werden kann, wo er gebraucht wird und somit weniger erneuerbarer Strom durch die Wandlung und Speicherung verloren geht. Ein wesentlicher Schritt zur besseren Ausnutzung der erneuerbaren Energien ist daher der weitere Ausbau des liberalisierten, europäischen Binnenmarkts für Strom, der an zahlreichen Stellen auch im Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie verankert ist.

In der Einsatzreihenfolge dieser Vielzahl an Flexibilitätsoptionen scheint PtG nach derzeitiger Einschätzung an letzter Stelle zu stehen (siehe Abb. 1). Demnach ist PtG erst notwendig, wenn ein Anteil erneuerbarer Energien von über 80% erreicht wird, was die aktuellen Ziele der Energiewende für 2050 sogar noch übersteigt. Und auch in diesen Szenarien wird PtG nur dann zum Einsatz kommen, wenn alle anderen Flexibilitätsoptionen ausgeschöpft sind, da diese nach heutigem Stand kostengünstiger sind. Folglich werden die Betriebsstunden von PtG als Langfristspeicher auf wenige Wochen im Jahr begrenzt sein, an denen weder der Wind weht noch die Sonne scheint.

Einsatz der Flexibilitätsoptionen auf der Zeitschiene nach den Kriterien Bedarf und Kosteneffizienz (ohne Berücksichtigung von Netzrestriktionen). Quelle: BEE, 2013, S. 10.
Abb. 1: Einsatz der Flexibilitätsoptionen auf der Zeitschiene nach den Kriterien Bedarf und Kosteneffizienz (ohne Berücksichtigung von Netzrestriktionen). Quelle: BEE, 2013, S. 10.

Herausforderung liegt in der Wirtschaftlichkeit
Aufgrund der Konkurrenz mit anderen Flexibilitätsalternativen stehen neben technischen Fragen, wie der Effizienzsteigerung, Dynamisierung der chemischen Prozessschritte und der Berücksichtigung von Standortgegebenheiten (Verfügbarkeit von Strom- und Gasnetzanschluss sowie geeignete CO2-Quellen und Wärmesenken), vor allem die folgenden wirtschaftlichen Herausforderungen im Vordergrund:

  • Marktreife, d.h. Kostendegression des Gesamtsystems
  • Stromkosten als Hauptbestandteil der variablen Kosten von PtG
  • Auslastung der PtG-Anlage
  • Marktwert des durch PtG erzeugten, erneuerbaren Gases

Heutzutage ist der Betrieb von PtG aufgrund hoher spezifischer Investitionen und zu geringer Effizienz unwirtschaftlich. Da sich die PtG-Technologie noch in der Pilot- und Demonstrationsphase befindet, handelt es sich meist um Einzelanfertigungen, bei denen Standardkomponenten nur selten zum Einsatz kommen. Eine entsprechende Kostendegression der Anlagekomponenten ist daher unerlässlich, um den Fixkostenanteil von erneuerbarem Gas aus PtG zur reduzieren.

Darüber hinaus fallen für den Betrieb von PtG-Anlagen weitere Kosten an. Wesentlicher Bestandteil dieser variablen Kosten ist der Strombezug. Bei zahlreichen Studien zur Wirtschaftlichkeit von PtG wird unterstellt, dass der benötigte Strom als „Überschuss“ umsonst zur Verfügung steht. Bei rationalem Verhalten aller Marktteilnehmer ist die Annahme, dass Strom dauerhaft über längere Zeiträume zum Nulltarif bezogen werden kann jedoch höchst fragwürdig. Zum einen ist bei der weiteren Marktintegration der erneuerbaren Energien, wie sie mit der verpflichtenden Direktvermarktung  nach dem Erneuerbaren Energien Gesetz bereits begonnen wurde, davon auszugehen, dass es zukünftig keinen „Überschussstrom“ im System geben wird. Zum anderen ist bei zunehmender Flexibilisierung des Energiesystems, die auch im Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie skizziert wird, zu erwarten, dass Verbraucher um den günstigen erneuerbaren Strom konkurrieren und ihre Stromnachfrage entsprechend anpassen werden. Dass die Zahlungsbereitschaft der flexiblen Nachfrage zu Strompreisen größer Null führen wird, ist beispielhaft in Brunner und Möst (2015) beschrieben.

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Als Verbindungselement zwischen den Sektoren Strom und Gas kann der Einsatz von PtG sowohl von der Stromseite als auch von der Gasseite aus betrachtet werden. Während beim stromseitigen Ansatz PtG als eine Art Speicher zum Ausgleich von schwankender Nachfrage und fluktuierender, erneuerbarer Erzeugung verstanden werden kann, basiert der gasseitige Ansatz auf dem Zubau zusätzlicher erneuerbarer Energien, um den Strom dieser Anlagen zur Erzeugung regenerativer Brennstoffe zu nutzen. In der allgemeinen Diskussion werden diese beiden Ansätze häufig vermischt. Es ist oft die Rede von günstigem „Überschussstrom“ aus Erneuerbaren, der in Gas umgewandelt wird, um eine Reduzierung der CO2-Emissionen im Wärme oder Verkehrssektor zu erreichen. Dieses Szenario ist jedoch in sich inkonsistent. Wenn erneuerbarer Strom, der für die Erreichung der Energiewendeziele im Stromsektor vorgesehen war, in anderen Sektoren genutzt wird, muss das entstehende Defizit an erneuerbaren Strom entsprechend kompensiert werden. Das heißt, um eine CO2-Reduktion im Wärme- und Transportsektor mittels PtG zu erreichen, muss zusätzlicher erneuerbarer Strom erzeugt werden. Damit Windkraft- oder Photovoltaikanlagen kostendeckend betrieben werden können, müssen PtG-Betreiber die Vollkosten für diesen erneuerbaren Strom zahlen. Mit mindestens 0,07 €/kWhel für Onshore Wind kostet dieser Strom ein Vielfaches des meist unterstellten, günstigen Börsenstrom von 0 bis 0,03 €/kWhel.

Neben den Kosten für den Strombezug ist die Wirtschaftlichkeit von PtG aber auch vom Auslastungsgrad der Anlage, d.h. den erzielbaren jährlichen Volllaststunden, und dem Marktwert des erneuerbaren Gases, also dem Vergleich mit günstigem, konventionellem Erdgas oder höherpreisigem Biogas, abhängig. Wie die Untersuchungen von Brunner, Michaelis und Möst (2015) zeigen (siehe Abb. 2), ist die Erzeugung von regenerativem Gas mittels PtG im gasseitigen Ansatz selbst unter sehr optimistischen Annahmen zukünftig immer noch etwa doppelt so teuer wie die Herstellung von Biogas (vgl. hellgraue Fläche und graue horizontale Linie). Auch im stromseitigen Ansatz wäre ein unrealistisch niedriger Strompreis von 0 €/kWhel an mindestens 1.800 Stunden pro Jahr, das heißt an ca. 20 % der Zeit, notwendig, damit PtG mit Biogas konkurrieren könnte (Schnittpunkt der schwarz gestrichelten und grauen horizontalen Linien). Darüber hinaus ermitteln die Autoren für den Einsatz von PtG als Alternative für den Stromnetzausbau (Power side oriented approach decentralised), der häufig als potentielles Anwendungsgebiet für PtG genannt wird, die geringsten Einsatzstunden pro Jahr. Von allen untersuchten Einsatzkonzepten weist dieses daher die mit Abstand höchsten Gasgestehungskosten auf.

Bandbreite der durchschnittlichen Einsatzstunden und Gestehungskosten von erneuerbaren Methan für verschiedene Einsatzkonzepte von Power-to-Gas Anlagen. Quelle: Brunner, Michaelis, Möst, 2015.
Abb. 2: Bandbreite der durchschnittlichen Einsatzstunden und Gestehungskosten von erneuerbaren Methan für verschiedene Einsatzkonzepte von Power-to-Gas Anlagen. Quelle: Brunner, Michaelis, Möst, 2015.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass PtG-Anlagen im starken Wettbewerb stehen, sowohl zu anderen Möglichkeiten der Flexibilisierung auf der Stromseite als auch zur Reduzierung der CO2-Emissionen im Wärme und Verkehrssektor, wie etwas Power-to-Heat oder Elektromobilität. Damit PtG mit diesen Alternativen konkurrieren kann, sind eine deutliche Reduzierung der spezifischen Investitionen, eine Erhöhung des Gesamtwirkungsgrads, eine hohe Einsatzdauer sowie der Bezug von günstigem Strom notwendig. Bleibt dies aus, sind für den Betrieb von PtG-Anlagen sowohl als Stromspeicher als auch zur Erzeugung von erneuerbarem Gas für den Wärme und Verkehrssektor entweder Subventionen oder eine Zahlungsbereitschaft der Verbraucher, die über der von Biogas liegt, notwendig. Chancen für PtG im Rahmen der Energiewende ergeben sich daher vor allem, wenn die soziale Akzeptanz für den notwendigen Ausbau der Stromnetze ausbleibt, Verbraucher bereit sind, die zusätzlichen Kosten für eine höhere Energieautarkie zu zahlen oder Alternativen zur Dekarbonisierung des Transport- und Wärmesektors unzureichend sind.

Literatur
Brunner, Ch.; Möst, D.; 2015, The Impact of Different Flexibility Options on Future Electricity Spot Prices in Germany, EEM 15 – 12th International Conference on the European Energy Market, 19-22 May 2015, Lisbon
Brunner, Ch.; Michaelis, J; Möst, D.; 2015, Competitiveness of Different Operational Concepts for Power-to-Gas in Future Energy Systems (eingereicht bei der Zeitschrift für Energiewirtschaft).
Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE), 2013, Möglichkeiten zum Ausgleich fluktuierender Einspeisungen aus Erneuerbaren Energien. ISBN-13: 978-3-920328-64-5

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  1. Christoph Brunner

    vor 9 Jahren

    Hallo Schwarzs,
    ich teile die Meinung, dass PtG einen Platz in der Energiewende haben kann, wenn wir darunter mehr als nur eine Stromwende verstehen. Dazu sollten wir aber aufhören, PtG nur von der Stromseite her zu denken.
    Meine These: Wenn wir erneuerbares Gas im Wärme- u. Verkehrsbereich aus PtG bereitstellen wollen, sollten wir bereit sein, die Vollkosten für den EE-Strom zu zahlen. Damit PtG hier auch nur annährend mit anderen Dekarbonisierungsmöglichkeiten konkurrieren kann, braucht es Einsatzkonzepte mit einer hohen Anlagenauslastung. Wie Abb. 2 zeigt, sinken die Gasgestehungskosten ab einer Auslastung von über ~ 3.000 Volllaststd. pro Jahr weniger stark als für die ersten ~3.000 Std., da die Fixkosten immer weniger ins Gewicht fallen.
    Wenn PtG von der Gasseite her gedacht u. ausgelegt wird, kann ich mir vorstellen, dass PtG für wenige Zeiten im Jahr auch einen Zusatznutzen für den Stromsektor haben kann. Denn der Verzicht auf wenige Einsatzstd. bei hoher Auslastung führt zu einem recht moderaten Anstieg der Gasgestehungskosten. Vergleicht man z.B. die Differenz dieser Kosten für 3.000 u. 4.000 Einsatzstd. pro Jahr in Abb. 2, beträgt diese ca. 10 €/MWh(th). In diesem vereinfachten Bsp. müsste also die Stromseite 10 €/MWh zahlen, um die Gasseite für die höheren Gestehungskosten durch eine geringere Anlagenauslastung zu kompensieren. Zu diesen Kosten würde sich eine höhere Einordung von PtG in die Flexibilitäts-Merit-Order ergeben, als wenn PtG nur als Flexibilitätsoption für die Stromseite gebaut würde u. damit die vollen Fixkosten zu tragen hätte.
    Meine Schlussfolgerung: Wenn die Erzeugung von erneuerbarem Gas für den Wärme- u. Verkehrsbereich durch PtG wirtschaftlich darstellbar ist, können sich zusätzliche Erlösmöglichkeiten für PtG als Flexibilitätsoption im Stromsektor ergeben. Daher sind aus meiner Sicht die Chancen für PtG in der Energiewende eher gegeben, wenn wir PtG Einsatzkonzepte von der Gasseite u. nicht wie bisher von der Stromseite her denken.

  2. Schwarzs

    vor 9 Jahren

    Sehr geehrter Herr Brunner,
    vielen Dank für diesen sachlichen Artikel. Ihr Fazit bringt es auf den Punkt, wenn wir einen hohen Grad an Autarkie (EE Anteil im Stromsektor > 60-80% und dies nicht aus Sicht des einzelnen, sondern aus Sicht der Allgemeinheit) wollen, wird Power to Gas im Stromsektor seinen Platz finden. Zudem stehen wir vor einer großen Herausforderung im Mobilitätsbereich um Langstreckenmobilität und Schwerlastverkehr klimaneutral zu gestalten, bzw chemischer Grundstoffe für die Industrie bereitzustellen. Power to Gas ist sicher nicht die Lösung aller Herausforderungen, wird aber in vielfältiger Weise einen Beitrag leisten. Wie sie es beschrieben haben, gilt es die Energiewende nicht als Stromwende zu begreifen, sondern als ganzheitliche Transformation des Energiesystems.

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