Meta-Studie sorgt für Durchblick im Sektorenkopplungs-Wirrwarr

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André Deichsel

Gastautor

André Deichsel vertritt die politischen Interessen der VNG AG mit Fokus auf die Bundesebene und die ostdeutschen Länder. Dabei konzentriert er sich auf die Weiterentwicklung der Gaswirtschaft mit einem Fokus auf erneuerbare Gase, die Akzeptanz der Energiewende in der Gesellschaft und die Strategien zur erfolgreichen Bewältigung des Strukturwandels in Ostdeutschland. Er hat Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Geschichte in Leipzig und Halle studiert. Nach verschiedenen Einsätzen bei politischen Institutionen und in einer Kommunikationsagentur ist er seit 2013 bei der VNG AG tätig. VNG ist ein europaweit aktiver Unternehmensverbund mit Sitz in Leipzig. VNG handelt, transportiert und speichert Gas. Mit ihrer Strategie VNG2030+ setzt VNG ihren Fokus auf erneuerbare Gase, den Ausbau der digitalen Infrastruktur und nachhaltige Quartierslösungen.

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11. Juni 2018
Verdichterstation für Gas mit vielen Rohren
Foto: VNG AG

Innerhalb kurzer Zeit ist das Thema Sektorenkopplung auf den Podien der energiepolitischen Debatten angekommen und wird aktuell heiß diskutiert. Die Märkte für Strom, Verkehr und Wärme zu verknüpfen, ist allerdings äußerst komplex. Das spiegelt sich in der Vielzahl der jüngst erschienenen Untersuchungen wieder.

Mehr als 3.000 Studienseiten sind mittlerweile entstanden. Die Komplexität der Studien und die Menge an Informationen machen den Zugang zur Diskussion und die Einschätzung der Ergebnisse zu einer echten Herausforderung. Oft ist der Durchblick bereits völlig verloren gegangen. Eine Meta-Studie im Auftrag der VNG-Gruppe – erstellt durch die Unternehmensberatung enervis energy advisors GmbH – fasst die Ergebnisse der zehn relevantesten Studien zusammen. Sie zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Alle analysierten Studien arbeiten mit quantitativen Prognosen auf Basis einer CO2-Reduktion um 80 bis 100 Prozent über sämtliche Sektoren.

Gas bleibt dauerhaft ein wichtiger Energieträger

Ein Schwerpunkt der Analyse ist die Bedeutung von Gas für die Sektorenkopplung. Ganz gleich, ob es sich um fossiles Gas, Biomethan oder Wasserstoff und Methan handelt, die mit Hilfe von Grünstrom synthetisiert wurden (Power-to-Gas). Für den Diskurs zur Energiewende bietet die Meta-Studie drei zentrale Erkenntnisse:

  • Gas wird bei der Dekarbonisierung der Sektoren Strom, Wärme, Verkehr und Industrie auf Dauer eine wichtige Rolle als Energieträger behalten.
  • Durch die Sektorenkopplung macht Gas das gesamte Energiesystem flexibler. Darum sollte schon in den 2020er-Jahren mit dem Aufbau der Infrastruktur für Power-to-Gas begonnen werden.
  • Die Energiewelt der Zukunft ist offen. Deshalb muss die bestehende Gasinfrastruktur aus Leitungen und Speichern erhalten bleiben.

Das Gasnetz als Flexibilitätsquelle

Erdgasleitung auf freiem Feld

Foto: VNG AG

Laut Meta-Studie sinkt der Gasverbrauch mit höherem CO2-Reduktionsziel. In der Mehrheit der betrachteten Studien verbleibt aber auch im Jahr 2050 und auch bei weitreichenden Klimaschutzzielen ein relevanter Gasverbrauch von mehr als 600 TWh. Das ist weniger als derzeit, aber entspricht keineswegs dem Ansatz einer viel diskutierten „All-electric-society“. Gefragt bleibt Gas vor allem für die Wärmeerzeugung in der Metallverarbeitung oder der Chemieindustrie, die besonders hohe Temperaturen erfordern, und für die Rückverstromung von synthetischem Gas in flexiblen Backup-Kraftwerken. Gerade für besonders starke Klimaschutzanstrengungen betonen die untersuchten Studien die wichtige Rolle von Power-to -Gas.

Bei einem Szenario von minus 95 Prozent CO2 würde synthetisches Gas laut der Meta-Studie drei Viertel des Gasverbrauchs ausmachen. Power-to-Gas spielt somit eine Innovationsrolle als „Deep Decarbonization“-Technologie. Einige Studien sehen bereits in den 2020er-Jahren die Notwendigkeit, in größerem Umfang Power-to-Gas-Anlagen zu bauen. Erste Pilotprojekte kleineren Maßstabs gibt es bereits. Nehmen wir die Studienergebnisse ernst – und das sollten wir – muss ab sofort größer gedacht werden.

Besonders interessant wird bei der „Deep Decarbonization“ die Rolle der Gasinfrastruktur als Flexibilitätsquelle. Überschüsse an grüner Elektrizität werden in synthetisches Gas umgewandelt und bei Bedarf rückverstromt. Sämtliche untersuchten Studien gehen deshalb davon aus, dass Gasleitungen und Speicher erhalten bleiben.

Technologieoffene Infrastrukturpolitik ist kostengünstiger

Ein zweiter Vorteil des bestehenden Netzes inklusive der Speicher ist nicht minder wichtig: Besonders für die „Deep Decarbonization“ birgt das Flexibilitätspotential der Gasinfrastruktur eine große Chance, die Kosten der Energiewende zu begrenzen. Im Vergleich zu einer vollständig elektrischen Welt sind technologieoffene Szenarien kostengünstiger. Diesen entscheidenden Bonus der Gasinfrastruktur sollten wir daher dauerhaft erhalten und nicht leichtfertig abschreiben.

Die Ergebnisse dieser Meta-Studie liefern uns Erkenntnisse, die sich in aktuellen Untersuchungen auf einen breiten Konsens stützen. Sie können als Basis für weitere Studien dienen, die sich zukünftig mit konkreten Geschäftsmodellen rund um grünes Gas beschäftigen. Die Ergebnisse dienen aber auch der Weiterentwicklung der politischen Diskussion. Bisher noch nicht betrachtet wurden beispielsweise Klimaschutzszenarien, bei denen die Erderwärmung auf nur 1,5 °C begrenzt werden soll. Nach heutigem Stand wären dafür negative Emissionen nötig, wofür Treibhausgase chemisch gebunden oder im Boden gespeichert werden. Auch die Rolle synthetischer Gase und von Biomethan könnte in diesen Modellen noch weiter wachsen.

Politisch zu klären sind Importe von synthetischen Gasen. Die betreffenden Studien rechnen allesamt mit hohen Einfuhrquoten. Das spricht nicht nur für große Ausbaupotenziale, sondern auch für niedrigere Kosten von Power-to-Gas in anderen Ländern. Die politische Debatte steht hier noch ganz am Anfang. Doch sie lohnt sich, bietet sie doch einen weiteren Ansatz für die Kostensenkungspotenziale einer technologieoffenen Sektorenkopplung.

Fazit

Die Meta-Studie zeigt, dass die Energiewelt auch im Jahr 2050 nicht an Komplexität verlieren wird. Viele Zukunftsfragen wurden bisher noch nicht gestellt und viele Fragen kennen wir heute noch nicht. Eine technologieoffene Zukunft ist daher die wesentliche Grundlage der Sektorenkopplung, um Wege zu umgehen, die in einer Einbahnstraße oder gar Sackgasse münden. Fest steht: Strom und Gas können in Zukunft in verschiedenen Sektoren ihre Stärken ausspielen. Das gelingt aber nur, wenn die Politik das Rennen um die beste Lösung zulässt und technologieoffene Rahmenbedingungen schafft.

Weitere Informationen und tiefergehende Einblicke in die Meta-Studie der VNG-Gruppe zur Sektorenkopplung finden Sie auf den Webseiten der VNG.

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