Fachkräftemangel stellt Sachsen vor besondere Herausforderungen

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Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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30. Januar 2023
joyfull/Shutterstock.com

Sachsen hat es besonders schwer. Die Bevölkerung des Freistaates zählt im Durchschnitt zu den ältesten der Republik. Sachsen muss die Energiewirtschaft umbauen – von der seit über 100 Jahren vorherrschenden Braunkohleverstromung auf Null-Emissionen. Wind- und Solarenergie haben im Freistaat bislang eher ein Schattendasein geführt, entsprechend groß ist der Aufholbedarf. Und wie überall so fehlen auch in Sachsen die Fachkräfte.

Sachsen boomt, aber Fachkräfte fehlen.

In Sachsen werden bis zum Ende des Jahrzehnts 150.000 Fachkräfte fehlen, wenn nichts unternommen wird.

Hubertus Grass

Sachsen verfügt auf der anderen Seite über gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Der Wirtschaftsstandort Dresden mit dem Schwerpunkt Halbleiterindustrie boomt nach wie vor. Auch für die Zukunft des Automobilbaus ist das Land mit zahlreichen Werken der Hersteller und der Zulieferindustrie gut aufgestellt. Es braucht das Prädikat „exzellent“ um die Forschungs- und Wissenschaftslandschaft zu beschreiben. Und dann gibt es noch die „Kohlemilliarden“, die Mittel aus dem Strukturfonds der Bundesregierung, die den wirtschaftlichen Wandel in den Kohleregionen finanzieren sollen. Mit dem Mitteldeutschen und dem Lausitzer Revier hat Sachsen Anteile an zwei Regionen solcher Zukunftsregionen.

Ministerpräsident Michael Kretschmer weiß, dass die Transformation in eine CO2-freie Zukunft und die Sicherung des Lebensstandards nur zu erreichen sind, wenn der Fachkräftemangel behoben oder zumindest gemildert wird. In Sachsen werden bis zum Ende des Jahrzehnts 150.000 Fachkräfte fehlen, wenn nichts unternommen wird. Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz-Ost forderte er mit Amtsantritt ein eigenes Fachkräfte-Programm für Ostdeutschland.

Wegzug und demographische Entwicklung haben die Regionen überaltern lassen

Dabei erweist sich als Problem, dass Sachsen – wie die anderen ostdeutschen Bundesländer auch – über 30 Jahre lang Ausreiseland war. Bedingt durch den Wegzug vor allem junger Menschen und den Geburtenrückgang sank die Einwohnerzahl des Freistaates in diesem Zeitraum um 15 Prozent auf nunmehr 4 Millionen. Erschwerend kommt hinzu: Während die Gruppe der Personen im arbeitsfähigen Alter schwand und im Westen der Republik eine Arbeit fand, wuchs die Gruppe der über 65-jährigen. 26,8 Prozent der Einwohnerinnen Sachsen sind im Rentenalter. Die Zahl der Menschen über 80 Jahre kletterte seit der Wende um 87,8 Prozent.

Demographisch ist diese Entwicklung dramatisch. Sie wird als erstes in den Bereichen der Pflege und der medizinischen Versorgung spürbar, wenn ein abnehmender Anteil junger Menschen auf einen zunehmenden Anteil älterer Menschen trifft. Längst ist in Sachsen die Schere zwischen der Zahl der Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, und jenen, die in  Rente oder Pension gehen, so groß, dass sich durch den demographischen Wandel in allen Berufsgruppen Lücken auftun.

Verschärfend für den Freistaat kommt hinzu, dass die zuvor genannten Durchschnittswerte die regionalen Unterschiede überdecken. Dresden und Leipzig, die sächsischen Großstädte, sind mit ihrem Umland unter dem Blickwinkel des Durchschnittsalters auch im Bundesvergleich relativ junge Metropole. In der sächsischen Provinz wie etwa im Vogtlandkreis liegt der Anteil der Menschen im Rentenalter dagegen bei fast einem Drittel der Bevölkerung.

Milliarden stehen für die Entwicklung von Regionen bereit, die für Fachkräfte aus dem Ausland wenig attraktiv sind

Die latente und offene Ausländerfeindlichkeit in Sachsen schadet dem Ansehen und der Entwicklung des Freistaates massiv.

Hubertus Grass

Für die Energiewende braucht es zahlreiche Fachkräfte. In Sachsen sind sie noch rarer als andernorts. So sank die Zahl der Auszubildenden im Handwerk von 1993 bis 2021 um fast 60 Prozent, von 35.000 auf 15.000. Es gibt weder genügend Elektriker noch Heizungsmonteure, um den durch die Transformation entstehenden zusätzlichen Bedarf zu decken.

Es fehlen Pädagoginnen und Pädagogen für alle Alters- und Schulstufen. Auch hier hat Sachsen ein Zusatzproblem. Die frisch ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer wollen nach dem Studium in einer Großstadt überdurchschnittlich häufig, wenn sie auch der sächsischen Provinz kommen, nicht in ihre alte Heimat zurück. Schuld daran, so der Ministerpräsident, sei das politische Klima. Die Lehramtsanwärterinnen meinten „das sind alles irgendwelche verschrobenen Leicht-Rechts-Leute„. Nach einer ausländerfeindlichen Weihnachtsbotschaft des Landrates im ostsächsischen Bautzen sprach der Regierungschef Tacheles zu seinen Parteifreunden. „Ich habe gesagt, ihr könnt das alles so betreiben. ihr könnt mit den provokantesten Formulierungen zu Flüchtlingen die ganze Republik in Wallung bringen. Ich finde, das hat diesem Land geschadet. Und es hat Bautzen auch geschadet.“

Die Befürchtungen des Ministerpräsidenten sind in der sächsischen Wirtschafts- und Wissenschaftslandschaft längst gesicherte Erkenntnis. Die latente und offene Ausländerfeindlichkeit in Sachsen schadet dem Ansehen und der Entwicklung des Freistaates massiv. In der einzigen ostdeutschen Exzellenzuniversität, der TU Dresden, kam es unter Berufung auf das politische Klima und die Berichterstattung über Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte bereits mehrfach zu Absagen von Wissenschaftlerinnen und Forschern. Selbst die Ansiedlung von Unternehmen scheiterte am Phänomen Rechtsextremismus. Und wer mag es Menschen mit dunkler Hautfarbe verdenken, wenn sie nicht in eine Region ziehen wollen, in der der Anteil rechtsextremistischer Parteien in Richtung 40 Prozent geht?

Kann man im Alltag zwischen guten und schlechten Flüchtlingen und ausländischen Fachkräften unterscheiden?

Indien und Vietnam hat der Ministerpräsident des Freistaates als Zielländer ausgemacht für die Anwerbung von Fachkräften und solchen, die es werden wollen. Beide Staaten weisen, anders als die europäischen Staaten, einen Geburtenüberschuss auf. Mit Programmen zum Erlernen der Sprache, der fachlichen Fortbildung und dem Erreichen von Berufsabschlüssen will der Freistaat die Menschen anwerben. Das internationale Image des Freistaates als fremdenfeindliche Region und als Hochburg der AfD, das ist dem Ministerpräsidenten bewusst, ist da wenig hilfreich.

Eine Imagekorrektur allein, so der Kommentar eines Wissenschaftlers, würde nicht ausreichen. Der Versuch der Regierungspartei zwischen guten (ukrainischen) und schlechten (arabischen, afghanischen und afrikanischen) Flüchtlingen zu unterscheiden, sei ebenso zum Scheitern verurteilt wie die Differenzierung im mitmenschlichen Umgang zwischen Flüchtlingen und Fachkräften. Entweder möge mag Menschen oder man möge sie nicht.

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