Unsere Metropolen sind das Labor für die Mobilität der Zukunft
Unsere Metropolen sind das Labor für die Mobilität der Zukunft. Denn in den großen Städten bündeln sich die Probleme unserer hypermobilen und (noch) auf das Auto fixierten Welt. Schon lange ist den Stadtentwicklern bewusst, dass begrenzte Räume keine unendlich wachsenden Verkehrsströme aufnehmen können. Dabei lenken die aktuellen Debatten um die Feinstaub- und NoX-Belastungen sowie die Fahrverbote von zentralen Herausforderungen ab. Der innerstädtische Verkehr verursacht weit mehr Probleme als die Luftverschmutzung.
Der Leiter des Teams „Urban Delivery Systems“ am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Dr. Bernd Bienzeisler, analysiert seit mehr als einem Jahrzehnt das Verkehrswesen in den Städten und arbeitet im Kundenauftrag an Systemlösungen für bedarfsgerechte und kundenfreundliche Logistik- und Servicedienstleistungen. Wir sprachen mit dem Wissenschaftler über aktuelle Entwicklungen und mögliche Ansätze für die Mobilität der Zukunft.
Redaktion Energie und Klimaschutz: Seit 50 Jahren steht die Entwicklung der Städte vor dem gleichen Problem: Wir kommt man auf begrenztem Raum mit dem stetig wachsenden Verkehr zurecht?
Dr. Bernd Bienzeisler: Problemlösung ist in diesem Fall ein relativer Begriff. Ebenso der Leidensdruck. Wir hatten in Deutschland nach den Zerstörungen im Krieg die Möglichkeit, unsere Städte autogerecht wiederaufzubauen. In anderen Teil der Welt, wo das Wachstum von Bevölkerung und Verkehr in einer viel höheren Geschwindigkeit ablief, war das nicht der Fall. Dementsprechend ist z.B. in den Metropolen Asiens und Südamerikas das Chaos auf den Straßen ungleich größer.
Das Auto hat ein Akzeptanzproblem
Redaktion Energie und Klimaschutz: Vor dem Hintergrund dieser globalen Entwicklung: Ist das Auto noch das richtige Mittel, um das Mobilitätsbedürfnis zu befriedigen?
Dr. Bernd Bienzeisler: Wir beobachten derzeit, dass einerseits das Mobilitätsbedürfnis wächst. Und zwar weltweit. Parallel stellen wir fest, dass das Auto zunehmend ein Akzeptanzproblem bekommt aufgrund des enormen Platzbedarfs, den ein Fahrzeug hat, gleichgültig, ob es benutzt wird oder nur herumsteht. In der Flächenkonkurrenz wird das Auto in den Städten zunehmend als ein Störfaktor wahrgenommen, der die Lebensqualität einschränkt.
Junge Menschen, die mit Bus, Bahn und Flugzeug und innerstädtisch auch mit dem Fahrrad sehr mobil sind, wollen kein Auto mehr besitzen. Das ist ein völlig neuer Trend, der sich allerdings auf die urbane Welt beschränkt. In den ländlichen Räumen hingegen ist das Bedürfnis, einen eigenen Pkw zu besitzen und zu nutzen, ungebrochen. Neue Formen der Mobilität werden wir folglich vor allem in den urbanen Zentren sehen, während in der Peripherie die Bedeutung des Autos absehbar nicht zurückgehen wird.
Digital in den Stau?
Man darf die ökonomische Bedeutung des Autos nicht unterschätzen
Redaktion Energie und Klimaschutz: Welchen Beitrag kann die Digitalisierung zur Steuerung des Verkehrs und damit zur Entlastung der Städte beitragen?
Dr. Bernd Bienzeisler: Die Digitalisierung bringt uns nur kurzfristig Entlastung. Wir erleben das heute schon bei den Navigationsgeräten. Wenn alle Verkehrsteilnehmer vor dem Stau gewarnt und auf die gleiche Umgehung gelenkt werden, ist der nächste Stau absehbar. Auch bei der Parkraumbewirtschaftung erleben wir vergleichbares. Je einfacher Sie es zum Beispiel mit einer App machen, einen freien Platz im Parkhaus zu finden, desto mehr Verkehr zieht das nach sich.
Als Alternative bleibt, die Verkehre über dynamische Preise zu steuern. Den Preis der Mobilität an die Auslastung des jeweiligen Verkehrsträgers anzupassen, ist eine mögliche Stellschraube, die allerdings nicht jedem gefallen wird. Im Lkw-Bereich haben wir mit dem Mautsystem die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen. Das ließe sich auf den Individualverkehr sowohl auf den Autobahnen als auch in den Städten übertragen. Die Frage ist, ob solch ein dynamisches Pricing politisch durchsetzbar ist.
Allerdings wächst das Problembewusstsein. Selbst beim Handel erleben wir derzeit ein Umdenken. Die Geschäftsleute in den Innenstädten merken, dass die Attraktivität des Einkaufserlebnisses mit zunehmendem Verkehr schwindet. Bei Untersuchungen haben wir festgestellt, dass Handel und Gewerbe zunehmend bereit sind, Regulierungsmaßnahmen wie eine innerstädtische Maut zu diskutieren. Das war von zehn Jahren noch undenkbar. Ich persönlich glaube, dass Autos aus den Zentren der Metropolen in naher Zukunft zunehmend verdrängt werden.
Es werden neue, andere Jobs entstehen
Redaktion Energie und Klimaschutz: Wenn die Zukunft der Mobilität weniger und andere Autos benötigt, was bedeutet das dann für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Dr. Bernd Bienzeisler: Man darf die ökonomische Bedeutung des Autos nicht unterschätzen. Der auf der Massenproduktion und Massenkonsum beruhende Wohlstand geht seit beinahe 100 Jahren wesentlich einher mit dem Automobil. Da stehen wir vor erheblichen Konsequenzen. Nach Berechnungen unseres Institutes könnte allein die Umstellung auf den elektrischen Antriebsstrang im Bundesland Baden-Württemberg ca. 100.000 Arbeitsplätze überflüssig machen.
Die Unternehmen schlafen aber nicht. Schon jetzt arbeiten sie daran, ihre Wertschöpfungsketten in Richtung neue Dienste rund um die Mobilität zu erweitern. Da wird zurzeit viel versucht. Auch wenn nicht alle neuen Geschäftsmodelle dauerhaft Rendite bringen werden: Es werden neue Arbeitsplätze und andere Jobs entstehen. Offen ist aber, ob diese Tätigkeiten die hohe Produktivität und Wertschöpfung der Arbeitsplätze in der Automobilwirtschaft erreichen werden.
Weitere Informationen
Zahlreiche Publikationen, die unser Gesprächspartner geschrieben oder an denen er mit gearbeitet hat, stehen im Netz zum Download bereit.
Erst kürzlich interviewte der Deutschlandfunk Bernd Bienzeisler zum Thema „Paket-Chaos in den Städten“.
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