Dieses Mal hatten sich 126 Zuschauerinnen und Zuschauer live zugeschaltet und unserem zweiten virtuellen Debattenabend daheim oder von unterwegs verfolgt. Wir freuen uns über diesen Zuspruch. Thema der Veranstaltung war unter anderem die Frage, welche Auswirkungen die Folgen der Corona-Pandemie auf die weitere Entwicklung des Klimaschutzes hat.
Pünktlich begrüßten zunächst die Stiftungsvorständinnen Katharina Klein und Anke Wilhelm alle interessierten Gäste mit guten Nachrichten in eigener Sache: Für die am 30. Juni verabschiedete Vorständin Ulrike Steinbrenner folgt die erfahrene Energieexpertin der EnBW Anke Wilhelm nach. Sie nutzte die Gelegenheit, sich und ihre Arbeit kurz vorzustellen.
Klimaschutzziele 2020 dank Corona erreichbar – und dann?
Im Anschluss führte Katharina Klein in ihrer Begrüßung in das Thema des Abends ein. Zwar sei wegen des Lockdowns das Erreichen der deutschen Klimaschutzziele 2020 in greifbare Nähe gerückt – die Senkung der Emissionen gegenüber 1990 um 40 Prozent. Was aber passiert, wenn die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt? Profitiert auch der Klimaschutz, wenn Deutschland und Europa sich anschicken, die Wirtschaft mit vielen Milliarden Euro Förderung wieder auf zu bauen? Vor allem: War erst ein Virus nötig, um die Welt zu einer Kraftanstrengung zu bewegen, die seit Jahrzehnten notwendig ist? Mit diesen Fragen übergab Katharina Klein an die Moderatorin des Abends, Sandra Berndt.
Die Journalistin führte, unterstützt von einem aufmerksamen Technik-Team, souverän durch die weitere Diskussion. Zunächst begrüßte sie die beiden Fachexperten auf dem virtuellen Podium: Franz Untersteller ist seit 2011 Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft in Baden-Württemberg. Zuvor war er viele Jahre parlamentarischer Berater und ist seit 2006 Mitglied des Landtags. Seinen Counterpart an diesem Abend übernahm Jörg Jasper als Vertreter der Wirtschaft. Der promovierte und habilitierte Volkswirt ist seit 2006 bei der EnBW, die letzten zehn Jahre als Konzernexperte für Energiewirtschaft und -politik.
Nach kurzem Schock erholt sich die Energiewirtschaft
Corona hat uns die Energiewirtschaft der Zukunft vor Augen geführt.
Zum Einstieg berichtete Jasper zur aktuellen Lage. Ein wichtiges Augenmerk läge im Konzern zunächst auf der erfolgreichen Sicherung der kritischen Infrastruktur, etwa die Kraftwerke. Hier hätten Beschäftigte für die Versorgungssicherheit zum Teil sogar vor Ort übernachtet. Mittlerweile herrsche aber wieder Entspannung: „Die Energiewirtschaft liegt inzwischen wieder bei 80-90 Prozent ,Normalbetrieb‘ gegenüber der Zeit vor Beginn der Corona-Krise“, so der Volkswirt. Auch der Strommarkt rechne fest mit einer Erholung.
Franz Untersteller war in den letzten Wochen und Monaten vor allem Krisenmanager. „Man bekommt Freitag abends um zehn noch Vorlagen, die in zwei Stunden abgezeichnet werden müssen – oft geht es um viel Geld“, berichtete der Minister. Dafür hatten er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Glück, schon im letzten Jahr komplett auf Notebooks umgestellt zu haben. Alle 450 Beschäftigten haben von zu Hause gearbeitet, ein Großteil bis heute. Mit Blick auf die Klimapolitik und die Veränderungen durch die Pandemie bestätigte Jasper, dass Corona zwar hohe Energieeinsparungen ermöglicht habe. Allerdings müsse man diese konsequent fortsetzen. Auch mit dem Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft und der Erneuerbaren sowie der Nutzung der Digitalisierung heiße es weiterzumachen.
Klimaschutzziele 2020 im Visier – dennoch kein Grund zur Atempause
Die wirtschaftliche Entwicklung ist vom Emissionsverhalten noch nicht ausreichend entkoppelt. Da müssen wir aber hinkommen.
Für Minister Untersteller ist das Erreichen der Klimaschutzziele in Deutschland 2020 dank Corona ebenfalls kein Grund für eine Atempause. „Wir haben es immer noch nicht geschafft, die wirtschaftliche Entwicklung vom Emissionsverhalten zu entkoppeln“, so seine Botschaft. Denn wenn die Wirtschaft wieder bei 100 Prozent sei, würden auch die Emissionen wieder hochgehen.
Studie: Klimaschutz bleibt den Menschen wichtig
Eine Gefahr, dass Klimaschutz angesichts einer sich eintrübenden Wirtschaft, vernachlässigt würde, sieht der Minister indes nicht. Das würden auch aktuelle Studien belegen: „90 Prozent der Befragten sagen, Klimaschutz ist genauso wichtig wie vor Beginn der Corona-Pandemie“, führte Untersteller an. Auch für 60 bis 70 Prozent der Unternehmen würde sich nichts an der Notwendigkeit ändern, die Klimapolitik voranzutreiben. Jasper ergänzte, Unternehmensstrategien würden sich ohnehin nach langfristigen Erwartungen richten. „Und die Wirtschaft setzt unverändert darauf, dass die politischen Klimaschutzmaßnahmen greifen werden – Corona hin oder her“, so der Volkswirt.
Entsprechend würden Unternehmen bei langfristigen Investitionen CO2-Risiken zunehmend auch als unternehmerische Risiken wahrnehmen. Das betreffe beispielsweise die Stahlindustrie, wo modernere Anlagen dieses Industrierisiko mindern würden.
Erneuerbare schaffen Arbeitsplätze
Die erneuerbaren Energien brachten es dank Corona im ersten Halbjahr 2020 auf einen Anteil von 51 Prozent bei der Stromversorung, was aber auch dem Lockdown zuzuschreiben war. Ein anderer Punkt, der vor allem in der Post-Corona-Zeit für die Erneuerbaren spreche: „Windkraft und PV-Ausbau schaffen Arbeitsplätze in Deutschland – Investitionen sind ein Teil der Lösung“, argumentierte Jasper. Allerdings drohe insbesondere Onshore, marginalisiert zu werden. Dabei fehle es nicht am Geld. Ein Problem seien aber vielfach die zu langen Genehmigungsverfahren. Der Minister führte die vielen Klagen ins Feld, die auf den Ämtern für Verunsicherung und weitere Verzögerung sorgten. „Wir sind heute bei etwa fünf Jahren Bearbeitungszeit. Das ist absurd – aber Realität“, resümierte er. Energiewende sei aber nicht nur ein Thema auf Landesebene. In puncto Solarenergie etwa seien auch die Kommunen gefragt. Es brauche, so Untersteller, zum Beispiel mehr öffentliche Flächen für PV-Anlagen. Abschließend trat der Minister vor allem für kluge und einheitliche ordnungsrechtliche Vorgaben ein. Als Anregung nannte er die PV-Pflicht in Baden-Württemberg für alle Nichtwohngebäude ab 2022.
Spannende Fragen aus dem Chat
Auch die Zuschauerinnen und Zuschauer gestalteten den Abend aktiv durch ihre Fragen mit, zum Beispiel: „Fällt angesichts der kaum veränderten Stickstoffoxidwerte in Stuttgart das Euro-5-Fahrverbot?“ „Was muss für mehr Akzeptanz der Windenergie in wirtschaftlich unsicheren Zeiten unternommen werden?“ oder „Ist die 1.000-Meter-Regel für Windräder nicht eine Energiewende-Bremse?“ Die Antworten erfahren Sie in unserer Aufzeichnung.
Mitschnitt des digitalen Debattenabends
Wenn Sie den zweiten komplett virtuellen Debattenabend der Stiftung Energie & Klimaschutz in voller Länge sehen möchten, erwarten Sie im nachfolgenden Video erhellende Aussagen und gebündeltes Expertenwissen rund um die Kernfrage „Post Corona – Post Klimaschutz?!“. Wir von der Stiftung Energie & Klimaschutz bedanken uns erneut herzlich bei allen, die vor und hinter den Kulissen mitgewirkt haben, insbesondere bei der Moderatorin und den beiden kompetenten Gästen auf dem Podium. Auch den nächsten Dialog können Sie gleich auf mehreren Kanälen erleben: digital auf unserem Twitter-Account, auf unserer LinkedIn-Seite oder, sobald es wieder möglich wird, live und persönlich. Wir freuen uns auf Sie!
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