Wasserstoff für die Klimaneutralität: Sektorpriorisierung und integrierte Infrastruktur-Planung sind der Schlüssel

Gastautor Portrait

Dr. Simon Schreck

Referent für Wasserstoff und Klimaneutralität, Germanwatch e.V.

Dr. Simon Schreck ist als promovierter Physiker seit Ende 2022 bei Germanwatch tätig. Als Referent für Wasserstoff und Klimaneutralität verfolgt er das Ziel eines nachhaltigen Hochlaufs einer Wasserstoffwirtschaft, die zu einer möglichst schnellen und effizienten Dekarbonisierung des Gesamtenergiesystems und der Industrie beiträgt. Zuvor war er als Projektingenieur für Photovoltaik mit der Planung und Modellierung von Solar- und Windkraftanlagen beschäftigt. Er hat am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie und der Universität Potsdam promoviert und anschließend an der Universität Stockholm röntgenspektroskopische Methoden zur Untersuchung von Prozessen zur Energietransformation und -speicherung erforscht.

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18. Oktober 2023

Wasserstoff wird eine wichtige Rolle im klimaneutralen Energiesystem der Zukunft und somit bei der Erreichung der deutschen und internationalen Klimaziele spielen. So stellt der Einsatz von Wasserstoff in der Stahl- und Chemie-Industrie, für den Langstreckenflug- und -schiffsverkehr sowie zur saisonalen Stabilisierung eines auf erneuerbaren Energien basierenden Stromsystems nach heutigem Stand die einzige technisch mögliche oder ökonomisch sinnvolle Dekarbonisierungsoption dar. Klar ist aber auch, dass Wasserstoff im Gesamtenergiesystem lediglich eine ergänzend und nachgelagerte Rolle spielen wird. So schätzen die großen Klimaneutralitätsszenarien [1] übereinstimmend den Anteil von Wasserstoff am Endenergieverbrauch im Jahr 2050 auf 10-25 %. Den Großteil der Emissionseinsparungen machen damit weiter die ersten drei Säulen der Energiewende aus: Energieeffizienz und Verbrauchseinsparungen, massiver Ausbau erneuerbarer Energien sowie direkte Elektrifizierung der heute noch fossil betriebenen Prozesse in der Industrie, im Verkehr und in der Wärmeerzeugung.

Prinzipien für eine Wasserstoff-Wirtschaft mit maximaler Klimaschutzwirkung

Damit Wasserstoff zu möglichst schnellen und vollständigen Emissionsminderungen beitragen kann, muss seine Produktion, der Transport sowie der Einsatz an drei Schlüsselprinzipien gekoppelt sein. Erstens muss der Fokus klar auf grünen, also über Elektrolyse mit Hilfe von erneuerbarem Strom hergestellten Wasserstoff, gelegt werden. Nur dieser kann nahezu emissionsfrei hergestellt werden. Blauer Wasserstoff hingegen, hergestellt aus fossilem Erdgas, kann je nach Produktionsbedingungen sehr hohe Emissionen aufweisen und schafft neue fossile Lock-Ins. Er hat langfristig somit keinen Platz im Energiesystem einer klimaneutralen Zukunft. Zweitens darf der noch auf viele Jahre knappe Energieträger Wasserstoff nicht in Anwendungen fließen, für die alternative direkt-elektrische Dekarbonisierungsoptionen bestehen, die in aller Regel energetisch wie auch ökonomisch deutlich effizienter abschneiden als der Wasserstoffeinsatz. Dies ist beispielsweise im Individualverkehr oder bei der Bereitstellung von Gebäudewärme der Fall. So kann der Gesamtbedarf an Wasserstoff reduziert werden und der Wasserstoff-Bedarf in den Sektoren, in denen es keine Alternative für die Dekarbonisierung gibt, gedeckt werden. Drittens braucht es strenge und weitreichende Nachhaltigkeitskriterien, sodass Wasserstoff, auch im globalen Süden, sozial- und umweltgerecht erzeugt wird und keine neo-kolonialen Strukturen unterstützt werden. Hierzu zählen intelligent designte Mechanismen etwa im Sinne eins internationalen Lieferkettengesetzes oder Standards, die die importierenden Ländern dazu verpflichten, den Aufbau einer zusätzlichen Wertschöpfung in den exportierenden Ländern über die Wasserstoffproduktion hinaus zu fördern.

Implikationen für die Wasserstoff-Infrastruktur

Um den Wasserstoff-Bedarf in den Verbrauchs-Clustern zu einem höchstmöglichen Grad mit heimisch produziertem grünen Wasserstoff zu decken, müssen die Planungen für das Strom- und das Wasserstoffnetz möglichst eng verzahnt werden.

Dr. Simon Schreck

Für die Planung und den Aufbau einer leitungsgebundenen Wasserstoff-Infrastruktur, die sich am Ziel der Klimaneutralität orientiert, ergeben sich aus den oben genannten Prinzipien wichtige Implikationen. Zunächst wird durch die Sektorpriorisierung und die direkte Elektrifizierung eines Großteils der heute noch mit fossilem Gas betriebenen Prozesse in der Industrie und Wärmeerzeugung, das Wasserstoff-Netz in seiner Gesamtlänge deutlich kleiner und weniger verzweigt als das heutige Erdgas-Netz ausfallen. Besonders in der frühen Phase des Hochlaufs der Wasserstoff-Anwendungen ist auf Grund der Sektorpriorisierung die Entwicklung von wenigen regionalen Verbrauchs-Clustern zu erwarten, wodurch eine Fokussierung auf eine begrenzte Anzahl an Wasserstoff-Transportleitungen möglich wird. Da Wasserstoff insbesondere in der dezentralen Wärmeversorgung kaum eine Rolle spielen wird [2], ist die Notwendigkeit für lokale eng verzweigte Wasserstoff-Verteilnetze nur in wenigen Einzelfällen gegeben.

Um den Wasserstoff-Bedarf in den Verbrauchs-Clustern zu einem höchstmöglichen Grad mit heimisch produziertem grünen Wasserstoff zu decken, müssen die Planungen für das Strom- und das Wasserstoffnetz möglichst eng verzahnt werden. Nur so können die bestmöglichen Abwägungen zwischen einer verbrauchsnahen Wasserstoff-Produktion, die unter Umständen einen erhöhten Stromtransportbedarf mit sich bringt, und einer verbrauchsfernen Produktion, die entsprechend einen erhöhten Wasserstofftransportbedarf bewirkt, getroffen werden. Zudem gilt es, Elektrolyseure möglichst systemdienlich zu platzieren, um Stromnetzengpässe zu verringern und für die Wasserstoff-Produktion Strom aus Erneuerbaren zu nutzen, die andernfalls abgeregelt würden, wie es heute häufig passiert. Auch das muss mit der Strom- und Wasserstoffnetzplanung zusammen gedacht werden.

Systementwicklungsstrategie muss die integrierte Infrastrukturplanung ermöglichen

Auf dem Weg zu einer integrierten Infrastrukturplanung, die neben dem Strom- und Wasserstoffnetz auch die Stilllegung und Umwidmung der Erdgasnetze und den Ausbau von Wärmenetzen verknüpft, ist die vom BMWK verantwortete Systementwicklungsstrategie (SES) essentiell. Im Rahmen der SES will das BMWK ein sektorübergreifendes Leitbild und eine Strategie für die Transformation des Energiesystems erarbeiten. Der Ansatz ist richtig und wichtig – damit die Planung für die unterschiedlichen Energieinfrastrukturen gut ineinandergreifen und sich an dem gemeinsamen Zielbild ausrichten, und so eine möglichst kosteneffiziente und schnelle Transformation hin zu einem klimaneutralen Energiesystem ermöglichen. Problematisch ist aber die zeitliche Verzögerung in der Entwicklung der SES, was dazu führt, dass bereits laufende Prozesse nicht optimal aufeinander abgestimmt sind, wie etwa die Entwicklung des Wasserstoff-Kernnetzes, die Kraftwerksstrategie, die Plattform Klimaneutrales Energiesystem (PKNS), die Wasserstoffstrategie und die Fortschreibung der Netzentwicklungspläne Strom und Gas. All diese Prozesse müssen einen Abgleich mit den Ergebnissen der SES einplanen. Umgekehrt muss die SES schon jetzt die zu erwartenden Anknüpfungspunkte mit anderen Prozessen und möglichst bald erste Ergebnisse kommunizieren.

Eine konsequent integrierte Planung des gesamten Energiesystems, die das Prinzip der Sektorpriorisierung für Wasserstoff berücksichtigt, ist daher ein essentieller Schlüssel zu einer Wasserstoffwirtschaft für die Klimaneutralität.

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