War Watt? Investoren nehmen die Gestalter der dezentralen Energiewende in den Fokus

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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17. April 2019

Den großen etablierten Energieversorgern ein Schnippchen schlagen und die neue Energiewende dezentral und bürgernah gestalten. Mit diesem Ziel sind sie alle angetreten, die neuen Akteure auf dem sich wandelnden Energiemarkt. Einer der ältesten und mit einer Millionen Kunden einer der größten ist der Ökostrom-Pionier Lichtblick. Doch statt den großen Energieversorgern das Geschäft streitig zu machen, könnte Lichtblick bald selbst Teil eines ganz Großen sein: Der Ölmulti Shell hat ein Kaufangebot für die Firma Eneco abgegeben. Die niederländische Firma ist seit Dezember letzten Jahres alleiniger Eigentümer von Lichtblick.

Verlieren die Pioniere der dezentralen Energiewende ihre Eigenständigkeit?

Auf den Zukunftsmärkten, auf denen digitales Know-how die Kernkompetenz ist, wollen die multinationalen Player mitreden.

Hubertus Grass, Kolumnist

Bereits Anfang dieses Jahres schreckten die Verfechter einer dezentralen Energiewende auf, als Shell den Allgäuer Speicherhersteller Sonnen übernahm.

Nicht allen Kunden, die bei Lichtblick mit ihren Solaranlagen den vernetzten Schwarm beliefern oder die mit ihren Sonnen-Batterien den Strom in der Gemeinschaft teilen, dürfte es gefallen, von nun an ein kleiner, dezentraler Baustein in einem multinationalen Konzern zu sein. Doch die Entwicklung, dass die unternehmerischen Pioniere der Energiewende ihre Eigenständigkeit verlieren und von großen Unternehmen geschluckt werden, hat nicht erst mit der Akquisition durch Shell begonnen.

Das Softwareunternehmen Lumenaza, der Speicherhersteller Senec oder das junge Aachener Unternehmen GridX – für weiteres Wachstum brauchen die jungen Unternehmen viel Kapital. Das ist nur über (Teil-) Verkäufe oder durch komplette Übernahmen zu beschaffen. Lange Zeit schien die Kleinteiligkeit der Energiewende ein Garant dafür zu sein, dass die auf den nationalen Energiemärken typische Marktkonzentration passé war.

Die dezentrale Energiewende ist ein globales Projekt. Es geht um den Weltmarkt.

Doch die Digitalisierung ändert den Markt. Sie ermöglicht die Steuerung zahlreicher kleiner, dezentraler Erzeuger in einer Crowd oder einem Schwarm. Und in diesem Geschäftsfeld gehören deutsche Unternehmen international zu den First-Movern. Das Know-how von Lichtblick und Co eignet sich hervorragend, um das Geschäft zu internationalisieren. Mit dem, was in Deutschland funktioniert, lässt sich auch in anderen Ländern früher oder später Geld verdienen. Die dezentrale Energiewende ist ein globales Projekt. Und das macht die Unternehmen auch für multinationale Player interessant. Bei Sonnen kam Shell zum Zuge. Großes Interesse an den Allgäuern hatte aber auch der chinesische Windturbinenhersteller Envision Energy.

Wird Shell bald auch Gesellschafter von Next Kraftwerke?

Bei der Berichterstattung über die geplante Übernahme von Eneco durch Shell stand vorrangig die 100%-ige Eneco-Tochter Lichtblick im Fokus. Wenn das gemeinsame Gebot von Shell und dem Pensionsfonds PGGM erfolgreich ist, wäre Shell indirekt auch an Next Kraftwerke beteiligt. Denn seit 2017 besitzen die Niederländer 34 Prozent an diesem Pionier der virtuellen Kraftwerks-Technologie.

Die Next GmbH wurde 2009 gegründet und hat seither ein rasantes Wachstum hingelegt. Die Kölner bündeln mit ihren Vertragspartnern über 6.000 MW an vernetzter Leistung. Damit machen sie einen Umsatz von 400 Millionen Euro per anno.

Auch der Aufbau von Ladeinfrastruktur im Visier von Shell

Das Know-how von Lichtblick und Co. eignet sich hervorragend, um das Geschäft zu internationalisieren.

Hubertus Grass, Kolumnist

Der Umbau von Shell vom fossilen Dino zum Akteur in der modernen Energiewelt wird mit dem Engagement bei den Heimspeichern und virtuellen Kraftwerken nicht stehen bleiben. Als Partner von Ionitiy, einem Gemeinschaftsunternehmen von Audi, BMW, Daimler, Ford, Porsche und Volkswagen, lässt Shell Ionity auf seine Standorte zugreifen, um Ladestationen zu bauen. Shell wird selbst ins Stromgeschäft bei der Elektromobilität einsteigen. Unternehmen mit Know-how zum Aufbau von Ladestationen wurden bereits erworben.

Als vor ein paar Jahren Google über 3 Milliarden US-Dollar für den kleinen Thermostathersteller Nest auf den Tisch legte, schien dieser Ausflug des digitalen Riesen in die neue Energiewelt eine Eintagsfliege zu sein. Doch seither ist immer deutlicher geworden: Auf den Zukunftsmärkten, auf denen digitales Know-how die Kernkompetenz ist, wollen die multinationalen Player mitreden.

Die Energiewende braucht einen global funktionierenden Wettbewerb

Dass das Interesse großer, internationaler Konzerne an der Energiewende wächst, ist ein ermutigendes Zeichen. Das ihnen zur Verfügung stehende Kapital sowie die internationale Ausrichtung werden die Energiewende beflügeln. Und zwar weltweit. Und kein Sektor wird davon ausgenommen sein. Die Aufgabe der Politik wird sein, die Wettbewerbssituation im Auge zu halten. Die Dominanz der Internetriesen aus den USA und China und die Abhängigkeit von einem chinesischen Ausrüsterbeim Aufbau des neuen Mobilfunknetzes 5G sollte den deutschen und europäischen Politikern eine Lehre sein. Die Energiewende braucht einen global funktionierenden Wettbewerb.

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  1. Joachim Käufler

    vor 5 Jahren

    Hallo Hr. Wegwerht,
    finde Ihr Statement sehr interessant und würde gern dazu mit Ihnen in weiteren Gedankenaustausch gehen. Beste Grüsse Joachim Käufler

  2. Dr. Christine König

    vor 5 Jahren

    Da unsere Politiker immer nur "big is beautiful" verstehen und ihnen die Kleinteiligkeit eines dezentralen Energiesystems zu anstrengend ist, wird es zwangsläufig durch entsprechend gestaltete Incentives und Gesetze auf eine Konsolidierung und Zentralisierung hinauslaufen. Ist schon jetzt in allen Jurisdiktionen der Welt zu sehen, die von einer Einspeisevergütung auf Kapazitätsausschreibungen umgewechselt haben. Den Bürgen lässt sich dies auch immer schön mit dem Argument der (erhofften) geringeren Energiekosten verkaufen.
    Schade eigentlich, denn die Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften sind viel profitabler als die großen, mit anonymem Private Equity finanzieren Projekte. Nun ja, aus der Vergangenheit lernen hat ja historisch gesehen noch nie so richtig funktioniert...

  3. Joachim Wegwerth

    vor 5 Jahren

    Für die Pioniere ist es ganz wichtig, ihre Ideen inkl. Machbarkeitsstudie, urheberrechtlich schützen zu lassen. Das ist wichtiger als ein leicht veränderbares Patent und hat quasi lebenslänglich Gültigkeit, ist unverkäuflich: Verdient wird an den lizensierten Nutzungsrechten der Kapitalkräftigen Konzerne. Mit den so gewonnenen Erstverdiensten die nächste urheber-geschützte Projektidee per Nutzungsrechte rasch auf den Markt bringen lassen.

  4. Peter Busca

    vor 5 Jahren

    „Schade“ und nochmals „Schade“. Konzerne wie Shell, RWE, EON und Co, die uns die Klimamisere beschert haben wollen nunmehr mit linken Tricks „die Klimawende zentralisieren“. Die Pioniere werden ausgespielt mit ein paar Brotkrumen. Das ist sicherlich nicht der richtige Weg hin zur Dezentralisierung und einer nachhaltigen Energiewende.

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