US-Offshore-Windkraft startet durch

Gastautor Portrait

Bill White

Geschäftsführer EnBW North America

Bill White ist Geschäftsführer von EnBW North America . Seit mehr als zehn Jahren zählt White zu den wichtigsten und einflussreichsten Führungspersönlichkeiten bei der Förderung der Offshore-Windkraft in den USA. Zuletzt war er Senior Director, Offshore Wind Sector Development beim Massachusetts Clean Energy Center, wo er die landesweit wegweisenden Initiativen des Bundesstaats Massachusetts leitete. Zuvor diente Bill White im Weißen Haus in der Regierung Clinton als Sonderassistent des Präsidenten und arbeitete im US-Außenministerium. Ferner war er Assistant Secretary im Massachusetts Executive Office of Energy and Environmental Affairs. Bill White hat machte seinen Abschluss am Boston College und verfügt über einen Master of Public Administration (MPA) der Harvard University.

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06. Juni 2019

Wir US-Amerikaner sehen uns selbst gerne in einer weltweiten Vorreiterrolle und vermitteln der Welt oft die Botschaft: Wir wissen Bescheid, folgt unserem Beispiel. Und die USA haben in vielen Fällen auch tatsächlich Grenzen neu definiert, was zu wichtigen Fortschritten in Wissenschaft, Technologie, Medizin und in anderen Bereichen geführt hat.

Europa ist Vorbild

Eine Offshore-Windkraftbranche, deren Aussichten noch nie positiver waren

Bill White, Geschäftsführer EnBW North America

Bei der Offshore-Windkraft hat das Land jedoch Nachholbedarf und es gibt viel zu lernen aus den jahrzehntelangen Erfahrungen, die in Deutschland und in anderen europäischen Ländern gemacht wurden. Zum Glück lernen wir schnell. Und da die Offshore-Windbranche hierzulande nun durchstartet, erhalten die Amerikaner endlich eine Vorstellung von einer neuen Energierevolution mit enormen wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen.

Erste Impulse für einen US-Offshore-Windkraftmarkt gingen im Jahr 2001 von Plänen zur Entwicklung eines Offshore-Windparks im Gebiet Nantucket Sound vor der Küste Massachusetts aus. Wenngleich das Vorhaben „Cape Wind“ nach einem neunjährigen Kampf um regulatorische, juristische und PR-Themen am Ende fehlschlug, so war das geplante Projekt dennoch maßgeblich, um den Grundstein für das zu legen, was wir heute sehen: Eine Offshore-Windkraftbranche, deren Aussichten noch nie positiver waren.

In den USA wurden zwar bislang nur fünf Offshore-Windkraftanlagen in Betrieb genommen; dennoch werden die Fortschritte bei der Senkung der Kosten für Offshore-Windenergie in Europa, die durch technologische Fortschritte und Erfahrungen aus der Errichtung von mehr als 4.540 Offshore-Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 18,5 GW erzielt werden, in den nordöstlichen US-Bundesstaaten genau verfolgt.

Durch die ständige Weiterentwicklung der Technologie und die in Europa geleistete Pionierarbeit hat das Preisniveau einen Punkt erreicht, an dem Energie aus Offshore-Windprojekten aus Kostensicht mit Strom aus fossilen Brennstoffen konkurrieren kann. Die Fähigkeit Europas zur Kostensenkung kommt für die USA genau zur richtigen Zeit; dies gilt insbesondere für die Bundesstaaten im Nordosten, die sich aktuell damit befassen, wie sie wichtige Klimaschutzmandate erfüllen und alternde Kraftwerke ersetzen können.

Offshore wird wettbewerbsfähig

Windkraftfans unter sich: Der Gouverneur von New Jersey Phil Murphy (Mitte) zu Besuch im Hamburger EnBW-Büro mit EnBW-Technikvorstand Dr. Hans-Josef Zimmer (rechts) und dem Leiter Erzeugung Portfolioentwicklung Dirk Güsewell

Und trotz der außerordentlichen Vorteile der Offshore-Windkraft in Bezug auf Arbeitsplätze, Energiesicherheit und Ökologie hat diese neue Branche in den USA nichts so sehr beflügelt wie der niedrige und wettbewerbsfähige Preis. Als im Jahr 2017 in Massachusetts die erste wettbewerbsorientierte Auftragsvergabe für Offshore-Windenergie stattfand, erwarteten die meisten politisch Verantwortlichen einen Preis pro Kilowattstunde im Bereich von etwa 16 Cent. Stattdessen gab Massachusetts bekannt, dass die Wahl auf ein 800-Megawatt-Projekt mit einem unglaublich wettbewerbsfähigen Preis von 6,5 Cent über 20 Jahre gefallen war. Ein historischer Moment, der die Aufmerksamkeit politischer Entscheidungsträger in den Bundesstaaten an der Ostküste erregte.

Nach der Auftragsvergabe in Massachusetts prognostizierte das Business Network for Offshore Wind: „Die Kosten für Offshore-Windkraft in den USA werden weiter sinken bis zu einem Punkt, an dem diese Energieform gegenüber anderen Formen der Energieerzeugung sehr schnell wettbewerbsfähig wird. Studien zeigen, dass der Marktwert des durch Offshore-Windparks erzeugten Stroms in mehreren Staaten Neuenglands beginnt, die Kosten zu übersteigen.“

Die neu gewonnene Wettbewerbsfähigkeit des Offshore-Windkraftsegments auf der Kostenseite ist der entscheidende Faktor, der die Bundesstaaten vorantreibt. Dies gilt insbesondere für New York und New Jersey: Beide würden vom Leasing von Offshore-Windparks vor der Küste Long Islands durch das Bureau of Offshore Energy Management bis Anfang 2020 profitieren. In New Jersey setzte der neu gewählte Gouverneur Phil Murphy ein ambitioniertes Ziel für Offshore-Windkraft von 3.500 MW bis zum Jahr 2030, während der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, für seinen Bundesstaat eine Vervierfachung des Ziels auf 9.000 MW bis zum Jahr 2035 ankündigte (zuvor: 2.400 MW bis 2030).

Eine neue Dynamik

Die Branche befindet sich in den USA noch im Reifeprozess, erhält jedoch nun Unterstützung durch eine erhebliche Dynamik und die Art der Sicherheit, die nicht nur politischen Entscheidungsträgern, sondern auch Bauträgern, Unternehmen innerhalb der Lieferkette, Investoren und Banken Mut macht. Ein Weißbuch der ‚Special Initiative on Offshore Wind an der University of Delaware‘ vom März 2019 kam zu dem Schluss, dass „die wachsende Offshore-Windenergiebranche in den USA – die laut neuen Prognosen bis zum Jahr 2030 in sieben Bundesstaaten an der Atlantikküste 18,6 GW sauberen, kostengünstigen Strom erzeugen soll – in den nächsten zehn Jahren für Unternehmen in der Lieferkette von Offshore-Windparks Investitionsmöglichkeiten von nahezu USD 70 Mrd. bietet.“

Europäer, die die Entwicklung des Offshore-Windkraftmarkts in den USA beobachten, werden wahrscheinlich einige Ähnlichkeiten zwischen den Branchen auf beiden Kontinenten feststellen. Beide werden von der Dringlichkeit angetrieben, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren, um das Tempo des Klimawandels zu drosseln. Sowohl europäische als auch amerikanische Offshore-Windkraftprojekte schaffen auch Arbeitsplätze und sind Katalysatoren für wirtschaftliche Erneuerung, insbesondere in Hafenstädten, die einer Revitalisierung bedürfen. Bezüglich der Technologie geht der Trend in beiden Regionen in Richtung immer größerer Anlagen (ein Trend, der zur Senkung der Marktkosten beiträgt) und Pilotprojekten mit schwimmenden Windkraftanlagen – die einzige Technologie, die vor Kalifornien und dem Norden Neuenglands, wo die Wassertiefe keine Monopiles zulässt, als praktikabel gilt.

Bundesstaaten sind Treiber

Es gibt jedoch bei der Offshore-Windkraft einige typisch amerikanische Aspekte, die Herausforderungen und Chancen mit sich bringen, die in Europa nicht im selben Maße vorhanden waren. Ein gravierender Unterschied ist die Rolle der nationalen Regierung gegenüber den Regierungen der einzelnen Bundesstaaten. In Deutschland und in anderen europäischen Ländern haben die nationalen Regierungen bei der Gestaltung der Energiepolitik eine übergeordnete Rolle; ein Beispiel hierfür ist der jüngste Vorschlag der deutschen Regierung zum aggressiven Ausbau der Kapazität von Offshore-Windparks bis zum Jahr 2030 auf 20 GW. In den USA werden die Leasingauktionen von der Bundesregierung durchgeführt, doch die Marktentwicklung wird von den einzelnen Bundesstaaten vorangetrieben – über die Anforderungen der Auftragsvergabe für Offshore-Windkraftprojekte, die von den Gouverneuren und jeweiligen Gesetzgebern festgelegt werden.

Die besondere Rolle der Fischer

Zu den wesentlichen Faktoren für die Entwickler von Offshore-Windprojekten zählen walfreundliche Maßnahmen

Bill White, Geschäftsführer EnBW North America

Auch der Einfluss konkurrierender Nutzungsarten vor der US-Küste steht im Kontrast zu den Erfahrungen in Europa. Im Nordosten der USA kann der wirtschaftliche Wert des kommerziellen Fischfangs nicht hoch genug angesetzt werden. Allein der Hafen in New Bedford, Massachusetts, generiert jährlich eine Wirtschaftsaktivität im Umfang von über USD 1 Mrd. Es ist also kein Wunder, dass die Fischer, die ihre Gewässer mit unseren Windkraftanlagen teilen werden, bei der Entscheidungsfindung zur Gestaltung der Leasinggebiete von Windenergie-Projekten ein großes Mitspracherecht haben.

Darüber hinaus bilden die Gewässer vor Neuengland den Lebensraum für die verbleibenden 411 atlantischen Nordkaper, die zu den am stärksten bedrohten Arten der Erde zählen. Zu den wesentlichen Faktoren für die Entwickler von Offshore-Windprojekten zählen walfreundliche Maßnahmen wie die Einschränkung des Baus der Fundamente von Windkraftanlagen, wenn Wale in der Nähe sind, die Dämpfung von Baulärm und die Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen für Seefahrzeuge.

EnBW bereitet sich auf führende Rolle vor

Vor dem Hintergrund dieser und anderer Aspekte eröffnet EnBW North America in diesem Frühjahr zwei Standorte an der Ostküste und wir bereiten uns darauf vor, am US-Offshore-Windkraftmarkt eine führende Rolle zu übernehmen. Es sind spannende Zeiten – sowohl für unser Unternehmen als auch für mich persönlich. Nachdem ich zehn Jahre beim Thema Offshore-Windparks auf staatlicher Seite tätig war, fühle ich mich geehrt und bin begeistert, amerikanische Führungsstärke mit deutscher Ingenieurskompetenz zu vereinen, um ein US-Offshore-Windkraftprojekt zum Erfolg zu führen.

Mit einem dankbaren Gruß in Richtung der in Europa gewonnenen Erkenntnisse ist die Windkraft in den USA nicht nur bereit zum Start – das Fahrwerk ist bereits eingefahren und wir beginnen mit dem Steigflug.

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