Sachsen-Anhalt entwickelt sich zum Land der Zukunftstechnologien
Wohlstand zu wahren und zu mehren, gelingt jedoch nicht dadurch, bestimmte Herausforderungen schlicht zu negieren und auszusitzen.
Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel – auf die Herausforderungen der Gegenwart reagieren nicht wenige Menschen verunsichert. Insbesondere in Ostdeutschland, wo sich die wirtschaftlichen Verwerfungen nach der Wiedervereinigung tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben, ist vielerorts der Wunsch nach einer gewissen Kontinuität groß, um den hart erarbeiteten Status quo zu bewahren. Entsprechend hoch ist dort auch die Sensibilität hinsichtlich weitreichender politischer Entscheidungen wie dem Ausstieg aus der energetischen Nutzung der Braunkohle im Zuge der Energiewende.
Wohlstand zu wahren und zu mehren, gelingt jedoch nicht dadurch, bestimmte Herausforderungen schlicht zu negieren und auszusitzen. Anders als es etwa Rechtspopulisten suggerieren, lässt sich Wohlstand nur dann erhalten, wenn die Bereitschaft vorhanden ist, rechtzeitig die Chancen zu nutzen, die mit Umbrüchen einhergehen. Eine zentrale Aufgabe der Politik wird es insofern sein, die Menschen zu ermutigen und gemeinsam mit ihnen die anstehenden Herausforderungen anzupacken.
Die Ausgangslage hierfür ist durchaus vielversprechend: Anders als bei der Wiedervereinigung handelt es sich bei der Energiewende um einen auf Jahrzehnte angelegten, koordinierten Prozess. Die Kohlekommission hat als Ausstiegsdatum für die energetische Nutzung der Braunkohle das Jahr 2038 empfohlen. Das erzeugt den notwendigen Handlungsdruck, bietet aber auch die Chance, den Strukturwandel rechtzeitig zu planen und in die Wege zu leiten.
Attraktiver Wirtschaftsstandort
Gerade rund um das Mitteldeutsche Revier ist bereits heute eine Wirtschafts- und Wissenschaftsstruktur vorhanden, die im Zuge des Strukturwandels systematisch ausgebaut werden kann. Sowohl die chemische Industrie als auch Branchen wie Erneuerbare Energien, Bioökonomie, Medizintechnik und die Automobilindustrie haben sich im Großraum Halle-Leipzig in den vergangenen Jahren hervorragend entwickelt.
Wie attraktiv Sachsen-Anhalt als Wirtschaftsstandort inzwischen ist, belegen auch jüngste Ansiedlungserfolge im Landessüden: Porsche baut mit der Schuler AG ein neues Karosseriewerk für 100 Millionen Euro in Halle. Der US-Batteriehersteller Farasis Energy investiert mehr als 600 Millionen Euro in ein Werk in Bitterfeld-Wolfen. Und die Progroup baut in Sandersdorf-Brehna für knapp 500 Millionen Euro eine der modernsten Papierfabriken der Welt. Insofern entwickelt sich Sachsen-Anhalt schon heute zu einem Land der Zukunftstechnologien.
Sachsen-Anhalt ist Vorreiter bei Erneuerbaren Energien
Das gilt übrigens auch mit Blick auf die Energieerzeugung: 2018 lag in Sachsen-Anhalt der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bei gut 61 Prozent. Das Land erreicht damit schon heute fast das im Koalitionsvertrag auf Bundesebene ausgegebene Ziel von 65 Prozent für das Jahr 2030 und leistet damit einen bedeutenden Beitrag zur Energiewende. Darüber hinaus zählt die Branche mit rund 24.000 Beschäftigten landesweit zu den größten Arbeitgebern.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung beim Ausbau der erneuerbaren Energien bleibt der Ausstieg aus der energetischen Nutzung der Braunkohle gleichwohl eine große energiepolitische Herausforderung, denn auch in Zukunft muss Strom sowohl für Bürger als auch für Unternehmen bezahlbar bleiben. Allein rund um das Mitteldeutsche Revier arbeiten mehr als 27.000 Menschen in Unternehmen, die zur energieintensiven Industrie gerechnet werden. Steigen die Strompreise durch die Energiewende übermäßig stark an, sind Arbeitsplatzverluste nicht auszuschließen. Insofern muss auch hier die Devise lauten: rechtzeitig handeln.
Strukturwandel ist ein finanzpolitischer Kraftakt
Strukturwandel darf eben nicht zum Abbau von Strukturen führen, sondern muss die nachhaltige Fortentwicklung bestehender sowie den Aufbau neuer Strukturen zum Ziel haben
Um den Strukturwandel in den kommenden Jahren erfolgreich zu gestalten, haben sich Bund und Länder auf einen finanzpolitischen Kraftakt verständigt. Bis 2038 sollen 40 Milliarden Euro in die deutschen Braunkohlereviere fließen. Stand heute stehen Sachsen-Anhalt 28,8 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm des Bundes zur Verfügung, hinzu kommen weitere 1,7 Milliarden Euro über das Strukturstärkungsgesetz. Weitere Maßnahmen etwa im Bereich Wissenschaft und Forschung werden voraussichtlich über erweiterte Bundesprogramme finanziert. Insgesamt wird Sachsen-Anhalt 12 Prozent der Mittel für den Strukturwandel erhalten.
Die vereinbarten Summen bieten Sachsen-Anhalt die große Chance, sich weiter als Land der Zukunftstechnologien zu entwickeln. Deshalb werden die Mittel in den kommenden Jahren vor allem in Infrastruktur, Forschung und Wissenschaft investiert. Im Bereich Infrastruktur geht es nicht allein um Straßen und Schienen. Ganz oben auf der Agenda steht hierbei auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur, weil die Versorgung über Glasfaser- und 5G-Mobilfunk-Netze im globalen Standortwettbewerb weiter stark an Bedeutung gewinnen wird.
Nutzung von Wasserstoff steht im Fokus
Um Unternehmensansiedlungen und Erweiterungen zu ermöglichen, müssen die Industrie- und Gewerbegebiete im Landessüden ausgebaut werden. Hier bietet sich auch die Ertüchtigung von Brachflächen an. Sachsen-Anhalt wird zudem in Forschungsvorhaben investieren, bei denen es beispielsweise um die Nutzung von Grünem Wasserstoff und die stoffliche Weiterverarbeitung der Braunkohle geht. Im Mitteldeutschen Revier werden hierfür so genannte Reallabore eingerichtet und vom Bund gefördert.
Ein besonderes Pfund, das Sachsen-Anhalt beim Strukturwandel in die Waagschale werfen kann, ist unsere bereits vorhandene, exzellente Wissenschaftslandschaft. Mit sieben Hochschulen und insgesamt 29 forschenden Einrichtungen verfügt das Land über enormes Innovationspotenzial, das es in den kommenden Jahren zu nutzen gilt. Schon heute investieren Unternehmen vor allem deshalb in Sachsen-Anhalt, weil sie hier die benötigten Fachkräfte akquirieren können und ihnen die Forschungseinrichtungen für Forschungs- und Entwicklungskooperationen offenstehen.
Es geht um Arbeitsplätze und Wertschöpfung
Welche konkreten Folgen der Kohleausstieg auf den Arbeitsmarkt haben wird, lässt sich derzeit allenfalls grob prognostizieren. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht davon aus, dass im Mitteldeutschen Revier bis 2038 etwa 7.000 direkt oder indirekt von der Kohle abhängende Arbeitsplätze wegfallen werden. Den Experten zufolge wird die Hälfte der Beschäftigten zuvor bereits in Rente gehen, so dass die Folgen für den Arbeitsmarkt voraussichtlich überschaubar bleiben werden.
Die Bemühungen um einen erfolgreichen Strukturwandel sind aber dennoch von höchster Bedeutung, weil industrielle Wertschöpfung mindestens erhalten, idealerweise aber ausgebaut werden soll. Strukturwandel darf eben nicht zum Abbau von Strukturen führen, sondern muss die nachhaltige Fortentwicklung bestehender sowie den Aufbau neuer Strukturen zum Ziel haben. Darum wird es in den kommenden 20 Jahren gehen.
Diskutieren Sie mit