War Watt? Sozialismus mit Westgeld

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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09. Februar 2017
Energiewende sozial gestalten

Der Sozialismus kennt viele Spielarten. Die Energiewirtschaft der DDR unterschied sich nicht grundsätzlich von den anderen Branchen. Sie unterlag einem Plan und dem engen Zusammenwirken von Staat, Betrieben und den betroffenen Regionen. Maschinen und Umwelt wurden ohne Rücksicht auf Verluste verschlissen. Die obersten Lenker des großen Plans, sie saßen im Politbüro und in den Ministerien, machten sich keine Gedanken über das Morgen. Hauptsache der Laden lief irgendwie. Der Anstieg von Pseudo-Krupp und anderen Atemwegserkrankungen? Ersatzinvestitionen für die uralten Kraftwerke? Die Bildung von Rücklagen zur Wiederherstellung der ausgekohlten Landschaft? In der DDR und den sozialistischen Brüderländern hat man sich mit solchen „Kleinigkeiten“ nicht lange aufgehalten.  Die Zukunft zu planen, war im Sozialismus nicht vorgesehen. Dazu war die Gegenwart auch viel zu anstrengend. Der Sozialismus à la DDR ist nach 1990 untergegangen. In der Energiepolitik lebt er mitunter fort. DDR reloaded. Nicht nur im Osten der Republik.

Zentralstaatliche Energiepolitik in Frankreich

Die Energiepolitik unserer französischen Nachbarn war schon mehrfach Thema hier im Blog. In diesem Winter trifft es die Franzosen besonders hart. Strom gibt es in Frankreich (in der Regel) Frankreich und der energiepolitische Sozialismusmehr als genug. Deshalb heizen die Franzosen fast ausschließlich mit Strom. Der kommt aus Atomkraftwerken und ist billig. Billig, wenn man rechnet wie im Sozialismus. Weil die französische Aufsichtsbehörde ausgerechnet im Dezember 13 Atomkraftwerke in die Revision schickte, wird es in diesem Winter eng. Schlimmstenfalls auch kalt. Und jetzt gibt es dazu noch einen Parlamentsbericht, der etwas Licht ins atomare Dunkel der französischen Energiepolitik bringt.  Für den Rückbau der 58 französischen AKWs fehlt schlicht das Geld. Eigentlich ist die Quintessenz des Berichts längst bekannt. Aber im Sozialismus dauert alles ein wenig länger. Und von Sozialismus muss man im französischen Energiesystem sprechen. Schließlich bestimmt der Mehrheitseigner der großen Akteure, der Staat, hier fast alles.  Auch die viel zu geringen Preise für den Strom sind Ausdruck staatlicher Allmachtsfantasien. Eine Strategie für den Rückbau? Weder im Politbüro der DDR noch in der französischen Staatsführung hat man sich solche Fragen zuvor gestellt.

Auch nach dem Ende des Sozialismus: Ohne Kohle läuft in Polen nichts

Nicht nur im Westen, sondern auch in Polen hat der Sozialismus in der Nische überlebt. Was den Franzosen ihr Atomstrom ist den Polen ihre Kohle. Ohne Kohle läuft in Polen wenig. Das Polen. Sozialismus im Kohle-Sektorbleibt nicht ohne Folgen. Unter den 20 am stärksten verschmutzten Städten in der EU liegen 17 in Polen. Die Kohle macht die Polen krank. Laut einer Untersuchung sterben in Polen jedes Jahr fast 6.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung. Im Januar wurde in Südpolen eine Feinstaub-Konzentration gemessen, die 3.126 Prozent über dem Grenzwert der EU lag – europäischer Rekord. Im Vergleich zu manchen polnischen Städten gleicht selbst eine so geplagte Stadt wie Stuttgart einem Luftkurort.
Und warum ändert sich nichts? Das Ende des Sozialismus hat in Polen zu großen Veränderungen geführt. Auch in der Energiepolitik ist nicht alles beim Alten geblieben. Früher arbeiteten im Kohlebergbau eine halbe Million Menschen. Heute sind es nur noch 100.000. Geblieben ist die Verflechtung zwischen der Kohle und dem Staat. Im letzten Jahr hat Polens Regierung einen Großteil der Bergwerke und der Schulden der größten Bergwerksgesellschaft Europas in die Polnische Kohle-Gruppe (PGG) übernommen. Wie die Klimaretter berichteten, ging der Gründung der neuen, staatlichen PGG eine Vereinbarung zwischen der Regierung, den Gewerkschaften, den Gläubigern und den Energieunternehmen voraus. So lange wie möglich will Polen an der Kohle festhalten. Klimaschutz? Gesundheitsvorsorge? In den Strukturen des Sozialismus stören Änderungen bloß.

Auch in der Lausitz verschließt man die Augen vor der Zukunft

Als Deutsche haben wir keinen Grund über sozialistische Strukturen in der Energiewirtschaft zu lachen. Sozialismus mit Westgeld – das können wir schon lange. (Der Autor dieses Beitrages ist im Ruhrgebiet aufgewachsen.) Ein neues Kapitel des energiepolitischen Sozialismus wird derzeit in EPH in der LausitzBrandenburg und Sachsen aufgeschlagen. Dort hat sich der Energiekonzern Vattenfall aus der Braunkohleverstromung zurück gezogen. In einem Bieterverfahren erhielt die tschechische Gesellschaft EPH den Zuschlag. Der Käufer erhielt neben den Vermögenswerten und den Schulden liquide Mittel in Höhe von 1,9 Milliarden €. Diese Mittel sind Rückstellungen, die Vattenfall zur Renaturierung der ausgekohlten Landschaft gebildet hat. Einem Bericht von Greenpeace zufolge könnten diese Gelder bereits in den weit verzweigten Ästen des Konzerns EPH verteilt und dem öffentlichen Zugriff entzogen worden seien. Schon bei den Verkaufsverhandlungen hatten Greenpeace und andere Umweltorganisationen darauf hingewiesen, dass die EPH ein Unternehmen ist, das mehr Wert legt auf Steuervermeidung als auf Seriosität.
Offenbar haben Fakten die beteiligten Landesregierungen wenig beeindruckt. Sie priesen den Investor als Retter der Arbeitsplätze an. Dabei ist die Situation in der Lausitz mit der in Frankreich und in Polen durchaus vergleichbar: Alle wissen, so wie es bisher lief, kann es nicht weitergehen. Braunkohle und Klimaschutz passen auf Dauer nicht zusammen. Da hilft zu guter Letzt nur noch das enge Zusammenwirken von Staat und Energiewirtschaft. Und das letzte Mittel: Die Augen vor der Zukunft verschließen. Was schert uns die Zukunft? Der heimliche Slogan der DDR feiert in der Lausitz seine unheimliche Wiederauferstehung.
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Greenpeace hat zum Fall des Verkaufs an EPH ein Schwarzbuch veröffentlicht.  Dazu ist jetzt eine Aktualisierung erschienen.
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Update 10. Februar: Parallel zu diesem Beitrag erschien in der Sächsischen Zeitung ein Artikel über den Verkauf der Lausitzer Kohleverstromung an die ERP. Lesenswert.

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  1. Windmüller

    vor 7 Jahren

    Besser hätte man es nicht auf den Punkt bringen können !!!

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