Sozial nachhaltige Lithium-Ionen-Batterien – auf die Lieferkette kommt es an

Gastautor Portrait

Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer

Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer Inhaber des Lehrstuhls für Produktion und Logistik an der FernUniversität in Hagen

Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer ist seit Oktober 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik an der FernUniversität in Hagen. Seit August 2021 ist er zugleich stellvertretender Direktor des Forschungsschwerpunktes Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit an der FernUniversität. Nach seinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der Technischen Universität Braunschweig promovierte und habilitierte er ebendort im Fach Betriebswirtschaftslehre. In der Forschung befasst er sich mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen an der Schnittstelle von Produktions-, Logistik- und Nachhaltigkeitsmanagement, die im Zusammenhang mit der Reduktion von Treibhausgasemissionen sowie Energie- und Ressourcenverbrauch stehen, speziell in den Bereichen Mobilität und industrielle Wertschöpfungsnetzwerke. Seine Arbeit ist stark von einer fachübergreifenden Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern aus Wissenschaft, Industrie, Politik und Verwaltung geprägt. Foto: Volker Wiciok

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03. April 2023

Selbst wenn Sektorenziele für Klimaschutz der Vergangenheit angehören: Um die Ziele des Klimaschutzgesetzes in Deutschland zu erreichen, muss auch der Verkehrssektor einen bedeutenden Beitrag leisten. Im Pkw-Bereich setzen Automobilhersteller insbesondere auf Elektrofahrzeuge, allen Debatten rund um das Thema E-Fuels zum Trotz. Dennoch wird die Umweltfreundlichkeit von Elektroautos im Vergleich zu Benzin- oder Dieselfahrzeugen immer wieder angezweifelt. Hauptsächlich geht es um den ökologischen Rucksack aus der Produktion der Fahrzeuge bzw. der Lithium-Ionen-Batterien und den Strom, der zum Laden der Fahrzeuge genutzt wird. Dabei weist eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien darauf hin, dass die Klimabilanz von Elektroautos gegenüber konventionellen und weiteren alternativ angetriebenen Fahrzeugen bereits heute vorteilhaft ist. Mit zunehmenden Anteilen erneuerbarer Energien wird der Vergleich in Zukunft noch deutlicher zugunsten der Elektrofahrzeuge ausfallen.

Erhöhter Rohstoffbedarf von Elektroautos

Trotz der guten Klimabilanz von Elektroautos lohnt sich ein Blick in die Produktionsphase. Der erhöhte Bedarf an metallischen Rohstoffen (u. a. Lithium, Kobalt, Kupfer, Nickel, Mangan) und Raffinadeprodukten sowie die globalen Lieferketten von Lithium-Ionen-Batterien führen nicht nur zu dem schon angesprochenen ökologischen Rucksack der Fahrzeuge, sondern auch zu einer gesteigerten Abhängigkeit von wenigen Exportländern und damit einhergehend zu einem erhöhten Versorgungsrisiko. Darüber hinaus rücken soziale Standards bzw. Missstände bei der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien immer mehr in den Fokus.

Soziale Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten und Organisationen

Welche Aspekte sind generell bei der Bewertung der sozialen Nachhaltigkeit zu beachten? Die UNEP-Richtline zur sozialen Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten und Organisationen aus dem Jahr 2020 ordnet mögliche Wirkungskategorien sechs Stakeholder-Gruppen zu. Für die Gruppe der Arbeitenden werden Bewertungsgrößen genannt, die z. B. im Zusammenhang mit Vereinigungsfreiheit, sexueller Belästigung, Kinderarbeit und einer gerechten Entlohnung stehen. Die lokale Gemeinschaft soll u. a. Zugang zu materiellen und immateriellen Ressourcen erhalten. Von den Akteuren in der Wertschöpfungskette wird beispielsweise ein fairer Wettbewerb und die Förderung gesellschaftlicher Verantwortung gefordert. Auf die Kunden entfallen Bewertungskriterien wie etwa Gesundheit, Sicherheit und Transparenz. Hinsichtlich der Gesellschaft soll u. a. ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung geleistet und bewaffneten Konflikten vorgebeugt werden. Für Kinder sind z. B. Bildungsangebote in der lokalen Gemeinschaft zu etablieren.

Soziale Hotspots in der Lieferkette von Lithium-Ionen-Batterien

In der Lieferkette von Lithium-Ionen-Batterien finden sich viele soziale Hotspots, die diesen Anforderungen nicht gerecht werden.

Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer

In der Lieferkette von Lithium-Ionen-Batterien finden sich viele soziale Hotspots, die diesen Anforderungen nicht gerecht werden. Prominentestes Beispiel hierfür sind sicherlich Missstände in Bezug auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Kinderarbeit im Kobalt-Kleinstbergbau im Kongo. Doch beispielweise auch beim Lithiumabbau in Südamerika werden etwa die Rechte der indigenen Gemeinden oftmals nur unzureichend beachtet, und die Förderung und Verarbeitung von Naturgraphit in China gehen mit erheblichen Gesundheitsgefahren für die Arbeiterinnen und Arbeiter einher.

Angesichts solcher Probleme stellt sich die Frage, ob Elektroautos zumindest aus sozialer Perspektive wirklich nachhaltig sind bzw. in Zukunft sein können. Pauschal kann diese Frage, wie auch im ökonomischen und ökologischen Bereich, nicht beantwortet werden. Kobalt kann aus anderen Ländern als dem Kongo, Lithium aus anderen Regionen als Südamerika bezogen werden. Naturgraphit kann durch synthetisches Graphit substituiert werden. Es kommt also auf die Lieferkette bzw. die konkreten Lieferanten und die bezogenen Materialien an, um abzuschätzen, inwieweit soziale Mindeststandards eingehalten werden oder nicht. Dass durch die gezielte Auswahl von Produktionsstandorten und Lieferanten nicht nur die ökologischen Wirkungen, sondern auch die sozialen Risiken der Batterieherstellung substanziell gemindert werden können, unterstreichen die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen in diesem Bereich.

Praxisbeispiele für die Gestaltung sozial nachhaltiger Lieferketten

Das Batterierecycling ist ein weiterer wichtiger Baustein, um die sozialen Risiken in der Lieferkette zu reduzieren und gleichzeitig lokale Sekundärrohstoffquellen zu erschließen.

Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer

Auch Automobilhersteller haben längst Schritte unternommen, um den sozialen Risiken in der Lieferkette von Lithium-Ionen-Batterien entgegenzuwirken. So gab beispielsweise BMW im Jahr 2020 bekannt, dass das Unternehmen Kobalt im Wert von rund 100 Millionen Euro aus Marokko beziehen wird. Volkswagen plant, u. a. zukünftig stärker mit Unternehmen aus Kanada zusammenzuarbeiten, um die Versorgung mit Lithium, Nickel und Kobalt sicherzustellen.

Neben der Beschaffung von Rohstoffen und Raffinadeprodukten aus Ländern bzw. von Lieferanten mit geringerem sozialen Fußabdruck existieren weitere Ansatzpunkte, um die Nachhaltigkeit in der Lieferkette von Lithium-Ionen-Batterien zu verbessern. Angesichts begrenzter Bezugskanäle für nachhaltige Batteriematerialien kommt der Lieferantenentwicklung und Zertifizierung eine wichtige Rolle zu, wie z. B. von Mercedes im Jahr 2020 angekündigt. Hierdurch kann von Unternehmen ein Beitrag geleistet werden, die Situation der verschiedenen Stakeholder-Gruppen vor Ort an den Abbau- bzw. Produktionsstandorten zu verbessern.

Einen zusätzlichen Ansatzpunkt stellt das Produktdesign bzw. genauer gesagt die Zellchemie dar. Insbesondere das Kathodenmaterial bestimmt nicht nur die Kosten und die Leistungsfähigkeit von Lithium-Ionen-Batterien, sondern hat auch maßgeblichen Einfluss auf die Nachhaltigkeit. Derzeit werden in der Automobilindustrie vor allem Nickel-Mangan-Kobalt-Zellen verwendet. Die Materialanteile von Kobalt werden dabei immer weiter reduziert, womit ebenfalls soziale Risiken eingedämmt werden können. Auch Lithium-Eisenphosphat-Zellen, die vollständig ohne Kobalt auskommen, gewinnen wieder an Bedeutung.

Das Batterierecycling ist ein weiterer wichtiger Baustein, um die sozialen Risiken in der Lieferkette zu reduzieren und gleichzeitig lokale Sekundärrohstoffquellen zu erschließen. Die Entwicklung von Recyclingprozessen für Lithium-Ionen-Batterien schreitet immer weiter voran. Gleichzeitig werden vermehrt industrielle Recyclingkapazitäten aufgebaut.

Regulatorische Rahmenbedingungen als Treiber weiterer Entwicklungen

Die genannten Beispiele zeigen, wie die Gestaltung sozial nachhaltiger Lieferketten für Lithium-Ionen-Batterien gelingen kann, zum Standard gehören sie allerdings noch nicht. In Zukunft werden insbesondere regulatorische Rahmenbedingungen einen wichtigen Treiber darstellen, um zu einer Verbesserung der sozialen (und ökologischen) Situation in den Lieferketten beizutragen. Allen voran stehen Leitlinien und Gesetze zur Umsetzung von ökologischen und sozialen Mindeststandards in Lieferketten, wie etwa das 2023 in Deutschland in Kraft getretene Sorgfaltspflichtengesetz und das in der EU geplante Lieferkettengesetz. Darüber hinaus soll in der EU die bisher bestehende Batterie-Richtlinie von einer neuen Batterie-Verordnung abgelöst werden. Im Entwurf für diese Verordnung ist vorgesehen, die vorgegebene Recyclingeffizienz für Lithium-Ionen-Batterien von heute 50 % des durchschnittlichen Gewichts auf bis zu 70 % im Jahr 2030 zu steigern. Zudem werden Vorgaben hinsichtlich spezifischer Verwertungsquoten für Kobalt, Lithium, Nickel und Kupfer sowie für den Einsatz von Mindestmengen von Kobalt-, Lithium- und Nickel-Rezyklaten in neuen Batterien ab 2030 gemacht.

Die soziale Säule der Nachhaltigkeit – sie ist oftmals noch schwerer zu fassen als die ökologische Säule. Zudem erhöht sich die Komplexität in der Entscheidungsfindung, da neben ökonomischen und ökologischen zusätzlich soziale Kriterien bedacht werden müssen und häufig Zielkonflikte vorliegen. Elektrofahrzeuge sind allerdings nur dann als nachhaltig zu erachten, wenn auch die sozialen Missstände in der Lieferkette behoben werden. Die aufgeführten Beispiele zeigen, wie der Weg dorthin geebnet werden kann.

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  1. Gabi Schock

    vor 1 Jahr

    Ich halte ihren Beitrag für richtig und wichtig. Jedoch geht er mir noch nicht weit genug. Aufgrund der politischen Situation (Korruption, Oligarchie, ...) werden die Kommunen und Regionen, in denen z.B. die Rohstoffe abgebaut werden, nicht beachtet. Sie verlieren häufig ihre Arbeitsplätze, erkranken durch die Umweltschäden, etc. Ein Partizipationsverfahren, das auf das Gemeinwohl der Kommune / Region abzielt, gibt es meist nicht und wird auch meines Wissens auf europäischer / deutscher Seite eingefordert. Hier besteht Handlungsbedarf. Als Mitglied des Rates der Gemeinden und Regionen Europas setze ich mich dafür ein.
    Ferner hinken wir in der Wiederverwendung, dem Recycling von kritischen Rohstoffen weit den technischen Möglichkeiten hinterher. Dies hat unterschiedliche Gründe: die Primärstoffe sind zu günstig und es gibt keine Einsatzmindestquoten für Sekundärrohstoffe. Hier ist Europa viel weiter als Deutschland, siehe u.a. den EU-Aktionsplan Kreislaufwirtschaft. Da ich beruflich in dem Bereich seit vielen Jahren tätig bin, kenne ich die Hemmnisse und Chancen genau.
    Austausch gerne.

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