Rohstoffe – neue Partner, alte Abhängigkeiten: Debatten-Abend über eine zeitgemäße Rohstoffpolitik

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Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
28. März 2023
Foto: W. List

Es war mehr als eine wirtschaftliche Kooperation. Über Jahrzehnte, so berichtete Ulf Heitmüller Vorstandsvorsitzender der VNG AG, habe man nicht nur gut Geschäfte miteinander gemacht. Entstanden waren zwischen den Akteuren in Deutschland und Russland persönliche Beziehungen und mitunter sogar Freundschaften. Selbst in den kältesten Phasen des Kalten Krieges habe die Zusammenarbeit mit den russischen Partnern funktioniert. Ulf Heitmüller konnte sich bis zum 24. Februar 2022 nicht vorstellen, dass Russland Gas als Waffe einsetzen würde. Der 24. Februar 2022, der Tag des Überfalls auf die Ukraine, und seine Folgen für eine zeitgemäße Rohstoffpolitik, waren das Thema beim Debattenabend.

Der Überfall auf die Ukraine hat Politik und Wirtschaft enger zusammengebracht

Die Eingangsfrage von Moderatorin Clarissa Ahlers, wie die Podiumsteilnehmer den 24. Februar erlebt hatten, machte noch einmal deutlich, wie überrascht und geschockt die Akteure in Wirtschaft und Wissenschaft im letzten Jahr waren. Es habe an warnenden Stimmen nicht gefehlt, meinte Prof. Dr. Andreas Goldthau, Direktor der Willy Brandt School of Public Policy an der Universität Erfurt. Dennoch war es nicht eindeutig abzusehen, dass Putin seine Militärmaschine in Marsch setzt. Entsprechend unvorbereitet habe es Politik, Wirtschaft aber auch die Wissenschaft getroffen.

Im BDI, berichtete Anne Lauenroth, Senior Managerin für Rohstoffpolitik, habe man umgehend eine Task-Force eingesetzt, um die Folgen abzuschätzen. Allen Unternehmen war klar, dass Sanktionen erfolgen mussten. Um die Politik zu beraten, habe man die Effekte möglicher Sanktionen entlang der Wertschöpfungs- und Lieferketten berechnet.

Putin habe Politik und Wirtschaft in Deutschland und Europa enger zusammengebracht. Sicher, über eine Rohstoffstrategie habe man sich auch zuvor schon mal Gedanken gemacht. Da es aber keinen Anlass zu Sorge gab, habe jeder Akteur am Markt „sein Ding“ gemacht. Schon die Folgen der Covid-Pandemie hätten manche Branchen sensibilisiert. Richtig wach sei man aber erst durch den Krieg geworden.

Zweistellige Millionenverlust jeden Tag

Wie sehr der russische Lieferstopp die deutsche Energiewirtschaft getroffen hat, verdeutlichte Ulf Heitmüller am Beispiel der VNG AG. Als Gas-Händler schließt das Unternehmen langfristige Kauf- und Lieferverträge auf Termin ab. Als das russische Gas ausblieb, musste die VNG für ihren Kundenkreis Gas aus anderen Quellen zu den neuen, zum Teil um ein Vielfaches gestiegenen Preisen organisieren. Pro Tag liefen Millionenverluste auf. Die Spitze sei ein Tagesdefizit von 36 Millionen Euro gewesen.

Diese Situation, so Ulf Heitmüller, habe man nur meistern können durch ein starkes Team in der VNG, eine vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Geschäftspartnern und die Unterstützung durch die Politik, für die er sehr dankbar sei.

Alle schauen nach China

Rohstoffstrategie ist als Begriff in aller Munde. Anne Lauenroth verwies auf den riesigen Bedarf an mineralischen Rohstoffen, der durch die Transformation in Richtung Klimaneutralität entstehe. Beim Ausbau der Wind- und Solarenergie, bei der Umstellung auf E-Mobility oder bei der Intensivierung der Digitalisierung: Die ganze Welt brauche knappe Rohstoffe und die in großen Mengen. Es gehe um seltene Erden, Kupfer, Kobalt, Lithium, das wenig bekannte Scandium und andere. Und reden müsse man in diesem Zusammenhang auch über militärische Güter, deren Nachfrage derzeit exponentiell steige.

Es sei wichtig über Ressourceneffizienz, Recycling, die Wiederbelebung des Bergbaus auch in Deutschland, den Einsatz von Ersatzstoffen, Lagerhaltung und Industriekooperationen auch auf europäischer Ebene zu reden. Aber: All das brauche viel Zeit. Andreas Goldthau wagte die These, dass unsere Abhängigkeit von mineralischen Rohstoffen aus China viel größer sei als die Abhängigkeit vom russischen Gas je gewesen sei. Die Verwundbarkeit aller Industrienationen an diesem Punkt sei derzeit hoch. Im Unterschied zu früher, trete dieser Fakt nun ins Bewusstsein von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

Afrika: Zeitgemäße Rohstoffpolitik braucht vertiefte Kooperationen

In China spreche man weniger über Rohstoffstrategien, man mache dort Rohstoffpolitik und das seit vielen Jahren. Überall auf der Welt seien chinesische Firmen aktiv in Projekten des Bergbaus und der Infrastruktur. Afrika, ein Schwerpunkt des chinesischen Engagements, so Anne Lauenroth, sei nicht nur im Hinblick auf die Rohstoffe ein “Chancenkontinent“. Die Investitionen Chinas, anfangs freudig begrüßt, würden heute eher zwiespältig bewertet. Statt echter Partnerschaft habe die Zusammenarbeit eher den Charakter eines Kolonialismus 2.0.

Europa habe durch diese enttäuschte Hoffnung nun die Möglichkeit, bessere Angebote zu unterbreiten. Statt zum Beispiel nur die dringend benötigten Rohstoffe für die E-Mobility zu liefern, wollten die Afrikaner*innen eine Beteiligung nicht nur eine Beteiligung an der Wertschöpfungskette z.B. durch Aufbau einer afrikanischen Batterieproduktion.

Das, so Andreas Goldthau, könne aber nur ein Teil des europäischen Engagements sein. Beginnend mit dem Technologietransfer und dem Know how, wie man den Bergbau grüner machen könne, müsse eine zeitgemäße Rohstoffpolitik auch die Frage beantworten, wie man Entwicklungsländer helfen könne, einen nachhaltigen Pfad für das Wirtschaftswachstum zu finden. Das beinhalte zunächst den Aufbau einer grünen Infrastruktur mit erneuerbaren Energien. Afrika brauche unsere Energieunterstützung.

Zeitgemäße Rohstoffpolitik und das Verhältnis von Staat und Wirtschaft

Nur durch das Management des Staates und seine Interventionen konnte die Energiekrise bisher gemeistert werden. Ein funktionierender Staat werde auch weiterhin gebraucht, um die Herausforderungen einer zeitgemäßen Rohstoffpolitik zu erfüllen. Bei der Gestaltung von vertieften Kooperationen mit afrikanischen Staaten sei die Notwendigkeit staatlicher Einmischung ebenso offensichtlich wie bei allen Fragen, die die Versorgungssicherheit Europas beträfen. Man dürfe, so Andreas Goldthau, bei der Beschaffung der Rohstoffe eben nicht nur auf den Preis schauen, sondern brauche eine politische Kostenkalkulation. Dazu gehöre es auch, eventuell Infrastruktur redundant vorzuhalten.

Anne Lauenroth verwies darauf, dass nach einer so langen Zeit des Friedens und der engen wirtschaftlichen Kooperation, Fragen von Resilienz und strategischer Rohstoffpolitik in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft extrem unterbelichtet seien. Nur müsse man gemeinsam ein Gespür dafür entwickeln, die Verwundbarkeit zu reduzieren. Das schließe ein Austarieren dessen ein, was der Staat und was die Wirtschaft dazu beitragen können.

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Auf dem Podium diskutierten

Anne Lauenroth

Senior Managerin Rohstoffpolitik BDI

Anne Lauenroth, die seit 2016 als Senior Managerin Rohstoffpolitik im Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt zuständig ist. Zuvor war die Politikwissenschaftlerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Head of Institutional Affairs in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Brüssel beschäftigt.

Prof. Dr. Andreas Goldthau

Direktor der Willy Brandt School of Public Policy an der Universität Erfurt

Prof. Dr. Andreas Goldthau leitet als Direktor die Willy Brandt School und ist Inhaber der Franz Haniel-Professor für Public Policy an der Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Er verfügt über eine reiche internationale Erfahrung und ist u.a. als Forschungsgruppenleiter für die Geopolitik der Energiewende und Industrie am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit tätig.

Ulf Heitmüller

Vorstandsvorsitzender VNG AG

Ulf Heitmüller führt seit 2016 als Vorstandsvorsitzender die VNG AG, eine Tochter der EnBW AG. Er engagiert sich in der Verbandspolitik als Vizepräsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Zudem ist er Mitglied der Atlantik-Brücke sowie des Präsidium des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft.

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