Rohstoffe: Neue Partner, alte Abhängigkeiten

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Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
14. Februar 2023
Mike Mareen/Shutterstock.com

Es geht um 181,4 Milliarden Euro. Das ist der Wert der deutschen Importe, der pro Jahr auf Energierohstoffe, Metalle und Nichtmetalle entfällt. Es geht um Rohstoffe und Dinge, die wir täglich brauchen. Ohne Gas könnte es kalt werden in deutschen Wohnungen. Ohne Gas und Steinkohle droht Deutschland der Blackout. Und ohne Kupfer lässt sich keine Windkraftanlage bauen. Ist alles da, aber teurer als zuvor, drohen Inflation und Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Moderne Volkswirtschaften sind im hohen Grade abhängig von Importen und somit verwundbar. Kluge Politik kann den Grad der Verwundbarkeit senken und die Berechenbarkeit der Wirtschaftsbeziehungen erhöhen.

Die Fehler der Vergangenheit

Die strategische Souveränität der Europäischen Union wollen wir erhöhen, indem wir unsere Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Handelspolitik wertebasiert und als Basis gemeinsamer europäischer Interessen ausrichten.

Koalitionsvertrag der Ampel, Seite 7

Über Jahrzehnte funktionierte der russisch-deutsche Handel verlässlich. Selbst bei tiefsten politischen Temperaturen im Kalten Krieg liefen die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der UdSSR und der alten BRD reibungslos. Warum sollte sich das unter Putin ändern?

Um den deutschen Weg in die Abhängigkeit zu verstehen, reicht der alleinige Blick auf das politische Versagen nicht aus. Politik und Wirtschaft haben in der Gestaltung der Beziehungen zur UdSSR, später Russlands, exzellent harmoniert. Für die Politik war es einfach, für die Wirtschaft lukrativ. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft und der Petersburger Dialog stehen als große Organisationen stellvertretend für viele andere, die die deutsch-russische Kooperation in Politik und Gesellschaft begleitet haben.

Solche Harmonie ließ sich durch Kriege in Afghanistan, Tschetschenien, Georgien und der Ukraine ab 2014 ebenso wenig stören wie die Repressionen in der russischen Innenpolitik. Was scheren uns fremde Völker, ermordete Journalist*innen, die Opposition und die LGBTIQ+-Szene in Russland?

Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben gemeinsam weggeschaut und die Wirtschaftsbeziehungen nicht nur aufrecht erhalten, sondern ständig ausgebaut. Als absehbar wurde, dass das Gasvorkommen in Deutschland, den Niederlanden und Norwegen zur Neige geht und die Felder nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben waren, gab es keine lange Diskussion. Mit Russland stand ein Lieferant an unserer Seite, der jedes Nachfragevolumen von heute bis in alle Ewigkeit bedienen konnte. Außerdem konnten die wirtschaftlichen Partner*innen auf Handelsbeziehungen aufbauen, die bis in die 50ziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück reichen.

Handel neu denken

Viel Vertrauen, wenig Analyse und frei von ethischen Grundsätzen des wirtschaftlichen Handelns – so lässt sich die Handelspolitik der Vergangenheit charakterisieren. Über alle demokratischen Parteigrenzen hinweg wächst nun die Bereitschaft, aus den Fehlern zu lernen. Was, wie sich herausstellt, alles andere als einfach ist.

Das Bild des Wirtschaftsministers, der sich vor dem Emir von Katar verneigt, ging um die Welt. Und der Spiegel formulierte: Deutschland wechselt den Schurkenstaat. Das ganze Dilemma des Vorhabens, den Handel auf neue Grundlagen zu stellen, in einer Nachricht.

Beim Rohstoff Gas ist es besonders schlimm: Für uns noch unverzichtbar. Benötigt in großen Mengen für die private und industrielle Wärmeerzeugung. Anbieter gibt es nur noch sehr wenige. Davon sind nur wenige Demokratien. In den USA wird Erdgas aus Fracking gewonnen. Das ist so ziemlich die schmutzigste Technologie, die es gibt. Schnell den Anbieter wechseln? Das funktioniert nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man auf so große Mengen Gas angewiesen ist wie Deutschland.

Genauer Hinschauen: Auf die Partner und mögliche Abhängigkeiten

Ob aufgrund politischer Krisen, Erpressung, Transportproblemen oder wegen einer Pandemie: Der Hauptanbieter eines Rohstoffs fällt aus, heißt das Szenario. Und das spielen wir mit allen Roh- und Hilfsstoffen durch. Die ganzen Lieferketten entlang. Denken an Soft- und Hardware, an Verkehrswege, an Stahl und Beton und Medikamente. Wo sind wir verwundbar? Wo lauern Krisen? Wie verlässlich sind die Partner?

Am Ende wird man sehen, dass der Rohstoff Gas zwar von zentraler Bedeutung, aber kein Einzelfall im Handel ist: Wir sind vielfältig verwundbar und zudem abhängig von vielen Autokrat*innen, von denen wir nicht immer wissen, was sie im Schilde führen.

Riesenland, Riesenherausforderung: China

China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. Für 143 Mrd. Euro importierten wir im letzten Jahr Rohstoffe und Waren aus dem Reich der Mitte. Aus dem Land kommen nicht nur Handys, Laptops und alle anderen elektronischen Geräte, sondern auch unsere Solaranlagen und Rohstoffe. Bei den seltenen Erden hat das Land quasi ein Monopol. Eine Studie des Ifo-Institutes legt die deutsche Abhängigkeit von China offen und kommt u. a. zu dem Ergebnis, dass wir schon jetzt bei den wichtigen Zukunftstechnologien wie Brennstoffzellen, Elektromotoren, Windenergie-Anlagen, Digitaltechnik oder Robotern abhängig von China sind, denn China hat die Rohstoffe, die man für die Produktion braucht.

Yun Schüler-Zhou, China-Expertin bei der Deutschen Rohstoffagentur (Dera) weist darauf hin, dass der Grad der deutschen Abhängigkeit von China erst zu sehen ist, wenn man nicht nur auf den Rohstoffimport schaut. Denn Rohstoffe, die als solche nicht erfasst werden, importieren wir in Gestalt von verarbeiteten Vor- und Endprodukten, die den Weg nach Deutschland über zahlreiche Drittländer finden. „Diese indirekte Abhängigkeit von China ist viel weitreichender als die direkte Lieferabhängigkeit“, so Schüler-Zhou.

Rohstoffe: Neue Partner, alte Abhängigkeiten: Wie kommen wir raus aus der Falle?

In unserem jetzt beginnenden Schwerpunkt wird es auch darum gehen, wie wir aus alten Fehlern lernen und neue vermeiden können.

Darf „billig“ weiterhin das zentrale Kriterium deutscher Einkäufer*innen bleiben? Muss „Vater Staat“ künftig genauer hinschauen, wenn ganze Fertigungslinien wie bei den Medikamenten aus Europa verschwinden?

Mit der Transformation der Wirtschaft in Richtung CO2-Freiheit werden wir auch ein paar alte Abhängigkeiten mit dem Ende des Bezugs von Gas, Öl und Kohle los. Andere werden wachsen und neu entstehen. Können wir überhaupt wieder zurück in die Elektronikproduktion? Mit welchen Rohstoffen? Könnten wir den Bestand recyceln?

So viele Fragen. Die zahlreichen Autor*innen, die wir für den Schwerpunkt gewinnen konnten, werden nicht alle beantworten können. Aber, da sind wir sicher, sie werden uns reichlich Stoff für eine Diskussion liefern. Auch auf unserem Debattenabend am 23. März werden wir über das neue heiße Thema diskutieren.

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