Klimaschutz und Strukturwandel in der Industrie

Gastautor Portrait

Dr. Roland Geres

Geschäftsführer FutureCamp

Dr. Roland Geres ist Geschäftsführender Gesellschafter von FutureCamp. Das 2001 gegründete Unternehmen mit Sitz in München erbringt mit rund 30 Mitarbeitern Beratungsdienstleistungen rund um das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz für Unternehmen, Bundesministerien und Bundesländer. Weitere Informationen zu FutureCamp unter www.future-camp.de

weiterlesen
16. Oktober 2019

Als die Stiftung Energie & Klimaschutz einen Beitrag für diese Plattform aus persönlicher Sicht angefragt hat, war der Gedanke naheliegend, konkrete Beispiele für Erfolge und auch Schwierigkeiten zu benennen. Das will ich auch tun, dies jedoch aufgrund aktueller Diskussionen in einen übergeordneten Zusammenhang stellen.

Die Emissionen der Industrie in Deutschland sind im Vergleich zu 1990 stark gesunken, stagnieren jedoch in den letzten Jahren. Da die Emissionen der Energiewirtschaft stark gesunken sind und mit dem Kohleausstieg weiter sinken werden, steigt der Anteil industrieller Emissionen an den Gesamtemissionen in Deutschland.

Heißt das, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist? Nein. Gefordert ist aber mehr Aktivität bei den Unternehmen und verbesserte Rahmenbedingungen.

Treiber für Klimaschutzaktivitäten in der Industrie

In der energieintensiven Industrie, zunehmend aber auch in den weniger energieintensiven Unternehmen beginnt die Reform des EU-Emissionshandels zu wirken

Dr. Roland Geres

„Die Industrie“ gibt es so nicht. Zu unterschiedlich sind die Branchen und die Unternehmen innerhalb einer Branche. Deshalb kann es kein generell anwendbares Rezept dafür geben, wie Emissionen aus industriellen Produktionsprozessen möglichst schnell und weit abgesenkt werden können ohne Bestand und Zukunft der Unternehmen – genauer: ihrer Produktionen in Europa – zu gefährden. Startet man mit der Frage, welche Motivationen Industrieunternehmen aus meiner eigenen Erfahrung treiben, dann lassen sich trotzdem einige generelle Schlussfolgerungen ziehen und auch Beispiele benennen.

In der energieintensiven Industrie, zunehmend aber auch in den weniger energieintensiven Unternehmen, beginnt die Reform des EU-Emissionshandels zu wirken. Das oft sehr deutliche Sinken der kostenlosen Zuteilungen ab 2021 und v.a. der erhebliche Preisanstieg auf über 25€ pro Tonne CO2 sowie die dauerhafte Löschung großer Teile des bisherigen Überschusses haben dazu geführt, dass der Frage, wie die Emissionen abgesenkt werden können, deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als zum Beispiel noch 2015. Mit anderen Worten: Ein wirksamer Preis für Emissionen löst in der Industrie Minderungsanstrengungen aus. Eine klassische betriebswirtschaftliche Motivation, geht es doch um Kostenreduktion und manchmal auch Realisierung von Erlöspotenzialen. Die Bereitschaft nimmt deutlich zu, noch bestehende Effizienzpotenziale zu identifizieren und auch dann zu heben, wenn der Return of Invest länger dauert als wenige Jahre. Gleiches gilt für Brennstoffwechsel und die Integration erneuerbarer Energien in die Wärmeproduktion der Industrie, zum Beispiel unter Nutzung von Strom. Das Interesse an Abwärmenutzung und –auskopplung für Wärmenetze nimmt zu, eine andere Form der vielzitierten „Sektorkopplung“ (ohne Strom).

Richtet es also allein ein CO2-Preis? Nein! Die genannten Beispiele für typische Aktivitäten deuten das schon an: Strombasierte Lösungen brauchen wettbewerbsfähige Strompreise, für nutzbare Abwärme muss es auch Abnehmer im Gebäudebestand geben und Akzeptanz für meist nötige bauliche Maßnahmen bei Anwohnern. Anreize aus klassischen Förderungen kommen in der Praxis auch dazu.

Der operative Kostendruck durch CO2-Preise ist wichtig, aber alleine erklärt er noch nicht die stark gestiegene Bereitschaft zu Aktivität. Hierfür sind weitere Motivationen wichtig. Schon die Anfrage eines wichtigen Kunden, doch den Carbon Footprint eines Produktes offenzulegen, hat erste Wirkungen. Folgen dann immer substanzieller werdende Anfragen von Investoren zu Chancen und Risiken und der „Klimaperformance“, wird Klimaschutz unabhängig von persönlichen Einstellungen unternehmerisch wichtiger. Hinzu kommen der stark steigende gesellschaftliche Druck und die enorme Präsenz des Themas Klimaschutz in den Medien, was auch politisch Wirkung zeigt und Erwartungen beeinflusst. Last, but not least: Auch EntscheiderInnen in den Unternehmen haben Kinder und Enkel. Das alles treibt dann auch weitergehende Aktivitäten im Mittelstand und bei großen Unternehmen.

Eine besonders wichtige Motivation: die aktive Suche nach neuen unternehmerischen Chancen

Eine Studie des VCI skizziert ein Szenario, bei dem die Chemieindustrie bis zum Jahr 2050 Treibhausgasneutralität erreicht. In der Abbildung sieht man den dafür benötigten Strombedarf.

Grafik: VCI Studie - Roadmap Chemie 2050

Es beginnt sich abzuzeichnen, dass grundlegende technologische Innovationen eine Chance haben, Realität zu werden und neue industrielle Verbünde und Wertschöpfungen möglich sind. Ein Beispiel aus der Chemie ist die Methanpyrolyse, durch die Wasserstoff aus Erdgas hergestellt werden kann – der dabei frei werdende Kohlenstoff steht als Feststoff stofflichen Nutzungen zur Verfügung, z.B. in der Stahlerzeugung. Der Bau einer Pilotanlage ist durch BASF angekündigt worden. Die umgekehrte Richtung ist Gegenstand des Projektes Carbon2Chem, an dem u.a. Covestro, Linde und Thyssen beteiligt sind – hier soll CO2 aus der Primärstahlerzeugung als Rohstoff für die Chemieindustrie verfügbar werden.

Diese weitreichenden Beispiele sind ermutigend. Aber: Bis komplett neuartige Prozesse im industriellen Maßstab auch wettbewerbsfähig einsetzbar sind, werden trotz staatlicher Unterstützung oft noch mehr als 10 Jahre vergehen. Und: Die technologischen Alternativen für die emissionsintensiven Grundstoffindustrien beruhen zumeist auf der direkten Nutzung von Strom oder von Wasserstoff, der seinerseits ebenfalls überwiegend mit Strom erzeugt wird. Der Bedarf für verfügbaren Strom aus erneuerbaren Energien wird so vervielfacht. In einer aktuellen Studie, die wir zusammen mit der Dechema im Auftrag des VCI angefertigt haben, kommen wir unter den dort gesetzten Annahmen zu dem Ergebnis, dass eine fast vollständig treibhausgasneutrale Chemieindustrie in Deutschland bis 2050 möglich ist. Dafür würde jedoch mehr als das Zehnfache des derzeitigen Stromverbrauchs der Branche (derzeit 54 TWh/a) aus erneuerbaren Energien benötigt. Es ist klar, dass das nicht mal „eben so“ zu bewerkstelligen ist. Und sollte es auch nur annähernd so kommen, liegt auf der Hand, dass dann Importe von Strom aus erneuerbaren Energien benötigt werden.

Und nun? Wird uns das alles jetzt doch zu schwierig? Nein, das darf es nicht! Es ist keine Option, Emissionsreduktionsziele wieder nicht zu erreichen. Es ist auch keine Option, auf industrielle Wertschöpfung in Deutschland zu verzichten – das wäre weder sozial durchzuhalten noch würde es zum Klimaschutz beitragen, weil uns international niemand auf diesem Weg folgen würde.

Wir können jedenfalls nicht mehr auf einen „optimalen Königsweg“ warten.

Die notwendige Transformation unserer Wirtschaft und der Industrieproduktion ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Das muss sich dann auch in der Finanzierung der „Energiewende“ niederschlagen.

Dr. Roland Geres

In den nächsten 10 Jahren entscheidet sich, welchen Pfad wir einschlagen. In der Industrie sind grundlegende Innovationen erforderlich, für die noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten ist. Wichtig in den nächsten 10 Jahren sind deshalb auch eine konsequente Steigerung der Effizienz sowie eine stärkere Nutzung erneuerbarer Energien in der Industrie. Das steigende Interesse an direktem Engagement – sei es über eigene Anlagen, Beteiligungen an Windparks oder direkte Strombezugsverträge – zeigt, dass hier große Potenziale für den Ausbau und Erhalt von Erzeugungskapazitäten liegen. Der bestehende regulatorische Rahmen in Deutschland behindert dies teilweise. Er muss, anknüpfend an die Empfehlungen der Kohlekommission, dringend verändert werden. Die notwendige Transformation unserer Wirtschaft und der Industrieproduktion ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Das muss sich dann auch in der Finanzierung der „Energiewende“ niederschlagen. Die Basis hierfür ist zu verbreitern und sollte nicht – wie bisher – vor allem über Umlagen, Abgaben und Entgelte für Strom erfolgen.

Hierzu findet sich im aktuell in der Bundesregierung beschlossenen Klimaschutzprogramm 2030 zu wenig. Im Grundsatz ist es richtig, einen Mix an Instrumenten zu wählen, eines alleine wird es nicht richten. Richtig ist es auch, endlich mit der Bepreisung von Emissionen im Wärme- und Verkehrssektor zu beginnen, auch wenn das Startniveau fast schon als schüchtern bezeichnet werden muss. Als ausdrücklicher Befürworter des Emissionshandels in Energiewirtschaft und Industrie kann ich mir aber zwei Kritikpunkte nicht verkneifen: Ein Emissionshandel ohne Mengenbegrenzung der Emissionen mit Festpreisen ist eine eigenwillige Form von „Emissionshandel“ und gleicht mehr einer Abgabe, egal welche politische Semantik von wem für notwendig erachtet wird und wie dies Juristen bewerten. Und: Ein einheitliches Preissignal für Wärme und Verkehr läuft Gefahr, in einem Sektor zu schwach oder gar nicht zu wirken (Verkehr) und dadurch im anderen Sektor (Wärme) den Handlungsdruck faktisch zu erhöhen.

Dennoch: Der angelegte Mix und die erkennbare Absicht, eine möglichst breite Akzeptanz zu erhalten, verdient nicht nur die in den Medien dominierende Kritik. Die Beschlüsse können Ausgangspunkt für einen breiten Konsens sein, der auch bei Regierungswechseln Bestand hat. Ohne diesen Konsens wird es nicht die hinreichende Stabilität in den Rahmenbedingungen geben, die für große Investitionen in der Industrie eine notwendige Voraussetzung sind.

Diskutieren Sie mit

Ich akzeptiere die Kommentarrichtlinien sowie die Datenschutzbestimmungen* *Pflichtfelder

Artikel bewerten und teilen

Klimaschutz und Strukturwandel in der Industrie
0
0