Keine Energiewende und kein Klimaschutz ohne Wärmewende

Gastautor Portrait

Jörg Dürr-Pucher

Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg

Jörg Dürr-Pucher, geboren 1967, studierte Jura in Tübingen und Lausanne. Dürr-Pucher ist ehrenamtlich Vorsitzender der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg. Er arbeitet als Geschäftsführer der Clean Energy GmbH und der Untersee Solar GmbH in Radolfzell sowie als Leiter Projektentwicklung der solarcomplex AG. Jörg Dürr-Pucher war bis 2006 Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. und ist derzeit Generalbevollmächtigter der DUH. Im Jahr 1998 wurde er Mitglied im Präsidium des Global Nature Fund und ist seit 2005 Präsident der Bodensee-Stiftung.

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20. Januar 2020

Das viel diskutierte und nun auf Bundesebene beschlossene Gebäudeenergiegesetz ist ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung

Jörg Dürr-Pucher

Die Zwischenbilanz der Wärmewende in Baden-Württemberg im Jahr 2020 fällt ernüchternd aus. Weder die Umstellung auf erneuerbare Energien noch die Einsparung von Energie durch bessere Dämmung von Gebäuden oder den Einsatz effizienterer Heizungen zeigen die für den Klimaschutz notwendigen Fortschritte. Heizungswärme und warmes Wasser werden bei Privathaushalten, Unternehmen und der öffentlichen Hand zu mehr als zwei Dritteln durch oft sanierungsbedürftige Öl- und Gasheizungen bereitgestellt. Wenn alle Förderprogramme, Info-Kampagnen, die Einrichtung von Energieagenturen auf Landes- und Kreisebene, die Einstellung von Klimaschutzmanagern in den größeren Kommunen und die täglichen Bilder der Klimakatastrophe im Fernsehen zu solch ernüchternden Ergebnissen führen, macht dies die Komplexität und die besonderen Herausforderungen des Wärmemarktes deutlich.

Das A und O einer klimafreundlichen Wärmeversorgung sind die Reduktion der eingesetzten Energiemenge, also die Steigerung der Energieeffizienz, sowie die Umstellung auf regenerative Energieträger. Bio-Energie, Tiefengeothermie und Solarwärme haben großes Potenzial für den Klimaschutz. Im Unterschied zu den Erfolgen beim Strom, muss bei der Wärmewende jeder Hauseigentümer separat angesprochen werden. Er soll eine Entscheidung treffen, die wirtschaftlich vertretbar ist und den Klimaschutz voranbringt. Das gilt für Eigenheimbesitzer ebenso wie für Vermieter und Wohneigentümergemeinschaften. Aus heutiger Sicht kann das nur eine Entscheidung für ein Heizungssystem auf Basis erneuerbarer Energien oder die Nutzung von Abwärme sein, die ohnehin vorhanden ist.

Geringere Temperaturen in den Heizkreisläufen bedeuten weniger Energieeinsatz. Das viel diskutierte und nun auf Bundesebene beschlossene Gebäudeenergiegesetz ist ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Um den Energieverbrauch im Gebäudesektor maßgeblich zu senken, sind aber weitere Schritte notwendig. Der Einstieg in die CO2-Bepreisung für Erdgas, Heizöl, Kraftstoffe und die Reste von Kohle im Wärmemarkt ist eine entscheidende Weichenstellung, damit mehr erneuerbare Energien genutzt werden. Diese Chance müssen Politik, Versorger, Stadtwerke und Genossenschaften jetzt nutzen, um für Investitionen in Energieeffizienz und Energieeinsparung zu motivieren.

Stellhebel zur klimaschonenden Wärmeversorgung

Die Heizöl-Lobby hat schon lange das Bio-Öl in die Diskussion gebracht, um ihr Überleben auch in einem erneuerbaren Umfeld zu sichern

Jörg Dürr-Pucher

Quoten für Grünes Gas könnten ein Ansatz sein, da Erdgas im Jahr 2020 eine zentrale Rolle im Wärmemarkt spielt. Diese Maßnahme würde ein intensives Spiel der Marktkräfte auslösen, um neben Biomethan, das heute etwa ein Prozent des gesamten Gasmarktes ausmacht, auch andere Grüne Gase wie Grünen Wasserstoff aus Wind- oder Solarstrom in das Gasnetz zu bringen. Es gilt aber zu bedenken, dass man 2,5 bis 3 Kilowattstunden Öko-Strom braucht, um eine Kilowattstunde Grünen Wasserstoff verwenden zu können. Ende 2019 haben mehrere Studien aufgezeigt, dass Grüne Gase langfristig eine wesentliche Rolle in einem erneuerbaren Energiesystem spielen werden.

Die Heizöl-Lobby hat schon lange das Bio-Öl in die Diskussion gebracht, um ihr Überleben auch in einem erneuerbaren Umfeld zu sichern. Bei flüssigen Kraft- und Brennstoffen sind die Umwandlungsverluste aber noch höher. Und die negativen Auswirkungen in der Vorkette wie zum Beispiel beim Palmöl sind so erheblich, dass die mit der Verwendung verbundenen Umweltfolgen wohl zu groß sind.

Ein weiterer guter Ansatz könnte die Sektorkopplung zwischen den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität sein. Zu kurz springt dabei aber jeder, der durch den Strom auch die Sektoren Wärme und Mobilität mit erledigen will. Vielmehr geht es darum, Stromnetze, Gasnetze und Wärmenetze sowie ihre Speicher so zu kombinieren, dass die technischen und wirtschaftlichen Vorteile bestmöglich zusammenwirken. Beim Strom- und Gasnetz ist dabei eher ein Umbau und eine Ertüchtigung notwendig. Beim Gasnetz in der Feinverteilung sogar ein Rückbau. Wärmenetze können nur dann eine wertvolle Rolle übernehmen, wenn sie massiv ausgebaut werden.

Doch auch Wärmenetze scheinen auf den ersten Blick keine geeignete Lösung für die Wärmewende zu sein, denn der Anteil der erneuerbaren Energien ist ähnlich niedrig wie bei den Gebäuden, die mit Einzelheizungen versorgt werden. Wenn man aber die Umstellungsgeschwindigkeit der letzten Jahre betrachtet, dann waren vor allem jene Städte und Dörfer erfolgreich, die in Wärmenetze investiert und von Beginn an beinahe 100 % erneuerbare Energien eingesetzt haben. Zumeist waren dies kleinere Ortschaften mit weniger als 2.000 Einwohnern. Das Beispiel in Hemmingen im Landkreis Ludwigsburg zeigt jedoch, dass auch mittelgroße Ortschaften auf erneuerbare Wärme umgestellt werden können, wenn der Wärmenetzbetreiber auf einen Mix aus Erneuerbaren und Abwärme setzt.

Hoffnung macht das im Entwurf vorliegende Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg, das die Pflicht zur kommunalen Wärmeplanung für die 103 größten Kommunen des Landes vorsieht. Parallel dazu muss ein attraktives Förderprogramm entwickelt werden, um auch die anderen 900 Kommunen zum Aufbau von Wärmenetzen auf Basis einer professionellen und konsistenten Wärmeplanung zu motivieren. Die Wärmewende entscheidet sich noch mehr als die Stromwende auf kommunaler Ebene, im einzelnen Quartier und im einzelnen Gebäude.

Im Bioenergiedorf Randegg werden 150 Gebäude mit regenerativer Energie versorgt. Teil des Konzepts: eine Solarthermieanlage mit 2.400 m² (2019, solarcomplex AG)

Foto: Clemens Fleischmann

Ehrgeizige Wärmewende schafft viele Arbeitsplätze im Land

Wir brauchen in Baden-Württemberg einen Bauboom im Bereich Wärmenetze und regenerativer Wärmekraftwerke oder Heizhäuser

Jörg Dürr-Pucher

Wir brauchen in Baden-Württemberg einen Bauboom im Bereich Wärmenetze und regenerativer Wärmekraftwerke oder Heizhäuser. Dazu müssen wir die im Bereich der Wärmewende aktiven Ingenieurbüros, Kraftwerks-, Rohrleitungs- und Tiefbaufirmen stärken. Ein starkes Marktwachstum schafft Arbeitsplätze, stärkt die regionale Wertschöpfung und trägt wesentlich zum Klimaschutz bei.

Dabei müssen Politik und Gesellschaft enger zusammenarbeiten. Die Jugend kann ihre berechtigten Forderungen, die sie freitags erhebt, zusammen mit Kommunalpolitikern, Umweltverbänden und Unternehmen in konkrete Wärmeprojekte umsetzen. Jedes Dorf und jeder Stadtteil, jede Metropole und jede mittelgroße Stadt hat Möglichkeiten, durch eine kluge Verknüpfung von Strom-, Gasnetz und Wärmenetzen den Anteil erneuerbarer Energien deutlich zu steigern.

Dies ist eine Kraftanstrengung, die den Aufbau der erneuerbaren Stromversorgung in den letzten 20 Jahren in den Schatten stellt. Die Zeit bis 2030 ist nur halb so lang und der Aufwand, den man betreiben muss ist mindestens doppelt so groß. Deshalb gilt es nun, ohne zu zögern in jeder Kommune zunächst die tief hängenden Früchte zu ernten und die Quartiere oder Viertel auf erneuerbare Energien umzustellen, bei denen dies leichter möglich ist. Die Aufgabe reicht von der Dekarbonisierung der großen Fernwärmenetze über den Aufbau von Wärmenetzen in mittelgroßen Kommunen bis zur Beschleunigung des positiv zu bewertenden Ausbaus der Energiedörfer, bei denen Baden-Württemberg bundesweit Vorreiter ist.

Wärmenetze sind für die Zukunftsfähigkeit von Kommunen gerade dann von Bedeutung, wenn es gleichzeitig gelingt, das schnelle Internet in jedes Gebäude zu bringen. Häufig können mit dem Wärmenetzausbau auch Stromnetze modernisiert und Wasser- und Abwasserleitungen erneuert werden. Der niedrige Zins macht die nächsten Jahre zum optimalen Zeitpunkt für Investitionen. Dazu müssen die Förderprojekte auf Landes- und Bundesebene noch besser dotiert werden. Gerade kleine Kommunen müssen die Möglichkeit bekommen, selbst Netzbetreiber zu werden. Die Wärmeversorgung muss für sie Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge werden.

Nicht in allen Kommunen wird es Wärmenetze geben. Für Menschen und Unternehmen, die dort ihren Standort haben, muss der Staat Anreize schaffen, auch im Bereich der Einzelheizungen zukunftsfähige Lösungen zu finden. Holzpellets, Solarthermie, Festbrennstoffheizungen und mit regenerativem Strom betriebene Wärmepumpen bieten regenerative Alternativen zur klimaschädlichen Gas- oder Ölheizung.

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  1. Dr. Illo-Frank Primus

    vor 4 Jahren

    Sehr geehrter Herr Pucher,
    Sie haben in vielem Recht, schreiben aber selbst: Es gilt aber zu bedenken, dass man 2,5 bis 3 Kilowattstunden Öko-Strom braucht, um eine Kilowattstunde Grünen Wasserstoff verwenden zu können. Zwar können Grüne Gase langfristig eine gewichtige zusätzliche Rolle in einem erneuerbaren Energiesystem spielen werden, aber Energien, auch Wärmeenergien aus Strom sind schon heute, erst recht in Zukunft die umweltfreundlichsten.

    Wie die Heizöl-Lobby schon lange das Bio-Öl in die Diskussion gebracht, um ihr Überleben auch in einem erneuerbaren Umfeld zu sichern, versuchen dies die Gaslobby wie die Brennstofflobby auf ähnliche Weise (siehe Förderung von PV mit Gasheizungen 35%). Doch schreiben Sie selbst: bei flüssigen Kraft- und Brennstoffen sind die Umwandlungsverluste noch höher. als bei grünem Wasserstoff. Und die negativen Auswirkungen in der Vorkette wie zum Beispiel beim Palmöl sind so erheblich, dass die mit der Verwendung verbundenen Umweltfolgen wohl zu groß sind. Auch die Methan-Ausstöße von Gas in der Vorkette wurde bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Dass Sie am Ende Ihrer Ausführungen mit regenerativem Strom betriebene Wärmepumpenheizungen unter "ferner liefen" erwähnen, zeigt mir, dass Sie entweder zu wenig über diese Betriebsart wissen oder ihr Wissen absichtlich nicht ins Spiel bringen (was vermuten lässt, dass Sie auch interessensbezogen argumentieren, Stichwort: Lobbyist). Ein Wärmepumpenbetrieb mit einer relativ schlechten Jahresarbeitszahl von 3 verbraucht fürs Heizen nur ein Drittel an kWh wie mit grünem Gas, also Gas, dem Wasserstoff beigemengt ist. Selbst beim heutigen Strommix von 474 g CO2/kWh wäre der CO2-Ausstoß nur 158 g CO2/kWh, also deutlich geringer als beim grünen Gas. Dabei verringert sich dieser Anteil wesentlich bei der geplanten, bevorstehenden Abschaltung von Kohlekraftwerken in Kürze (über die Laufzeit von Heizungen also gravierend). Es gibt kein günstigeres Heizverfahren. Das sollte auch in Fern- und Nahwärmnetzen vermehrt eingesetzt werden.

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