Die Energiewende und ihre Kritiker – zwischen Partizipation und Populismus

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Eva Eichenauer

Gastautorin

Eva Eichenauer studierte Soziologie und Südostasienwissenschaften in Potsdam, Berlin und Georgetown/Malaysia. Seit Oktober 2018 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS). Davor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) beschäftigt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Umsetzung der Energiewende, Infrastrukturkonflikten sowie nachhaltigen und demokratischen Transformationsprozessen. Außerdem hat sie ein Faible für feministische Theorie und (post-)koloniale Identitäten.

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19. September 2018
Protest für mehr Wissenschaft in der Politik

Ganz Deutschland will die Energiewende! – Ganz Deutschland? Nein….

Es gibt viele interessierte aber kritische Betroffene, die ihre Argumente ernst genommen wissen wollen und im Laufe des Verfahrens zunehmend enttäuscht werden.

Eva Eichenauer

Die Zustimmung zur Energiewende, ihren Zielen aus der Kernenergie auszusteigen sowie den CO2-Ausstoß maßgeblich zu verringern und dem damit verbundenen Ausbau erneuerbarer Energien, ist bundesweit ungebrochen hoch. Gleichzeitig wird kaum ein Windpark oder eine Stromtrasse errichtet, ohne dass es Proteste dagegen gibt. Eine bequeme, weil schnelle und eindimensionale Erklärung führt schnell zum St.-Florian’s Prinzip („Heiliger Sankt Florian, verschon‘ mein Haus, zünd andre an!“) – in wissenschaftlichen Diskussionen auch NIMBY (Not in My Backyard) genannt: Energiewende ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür! Schnell sind damit die Kritiker*innen von Energiewendeprojekten in die Schublade egoistischer, kurzsichtiger Wutbürger*innen gesteckt, die zu Gunsten ihrer eigenen Interessen (eine schöne Aussicht oder stabile Grundstückspreise), dem Gemeinwohl aller, nämlich den Klimawandel auf ein beherrschbares Maß zu reduzieren, im Wege stehen. Auch die vielmals in Bürgerinitiativen zusammengeschlossenen Kritiker*innen von Energiewendeprojekten tun ihr Übriges, um als konfrontativ und wenig kooperativ wahrgenommen zu werden: Neue HGÜ-Leitungen, die den Strom der Windkraftanlagen im Norden und Osten in den Süden der Republik transportieren sollen, werden als „Monstertrassen“ deklariert, Informationsveranstaltungen niedergeschrien, es wird gegen als „Vogelschredder“ betitelte Windkraftanlagen zu Felde gezogen, um den „Windwahn“ zu stoppen, oder durchaus auch mal der anthropogene Klimawandel geleugnet. Entsprechend führen Projektierer und Übertragungsnetzbetreiber als Exekutivorgane der Energiewende zunehmend Kommunikationsspezialist*innen unter ihren Angestellten, in der Hoffnung, dieser Konflikte Herr zu werden.

Klimawandel in der Diskussion um Windkraftanlagen

Astronaut mit Protestschild gegen Windkraft-Befürworter.
Der konstruktiven Auseinandersetzung mit den Sorgen betroffener Bürger steht oft Populismums und eine anti-wissenschaftliche Argumentation entgegen.

Foto: Protestonaut

Vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Energiewende um wohl eines der größten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse der Moderne handelt, sollte es wenig verwunderlich sein, dass hier viel gesellschaftlicher Zündstoff zutage gefördert wird. Ein wenig naiv mag da die Vorstellung anmuten, die Energiewende und insbesondere der Ausbau erneuerbarer Energien könne im Konsens umgesetzt werden. Aus demokratietheoretischer Sicht ist eine solche Konfliktfreudigkeit durchaus begrüßenswert. Meinungen werden ausgetauscht, es wird gestritten, kritisch hinterfragt, Informationen werden auf den Prüfstand gestellt, abgewogen, um Lösungen gerungen, etc. Sozialwissenschaftliche Konflikttheoretiker*innen argumentieren, dass nur so sozialer Wandel überhaupt möglich sei. Beteiligungsverfahren, werden nun allerorts eingesetzt werden, um solchen Konflikten zuvor zu kommen oder sie – so sie denn schon aufgetreten sind – möglichst zu schlichten. Dabei sollten sie als Arenen fungieren, die den Austausch von Argumenten und der Artikulation unterschiedlicher Bedürfnisse, die diesen Konflikten zu Grunde liegen, ermöglichen. In den Auseinandersetzungen vor Ort zeigt sich nun seit geraumer Zeit, dass der Ton immer rauer wird und Diskussionen auch „unter der Gürtellinie“ ausgetragen werden. Sicher, es gibt einen harten Kern an Projektgegner*innen, die auch durch noch so ausgefeilte partizipative Verfahren und kommunikative Kniffe nicht zu einem wirklichen Austausch bereit sind. Es ist aber nicht nur das raue Klima in den Informations- und Beteiligungsveranstaltungen und ein harter Kern an Gegner*innen, die den notwendigen Dialog erschweren. Es gibt viele interessierte aber kritische Betroffene, die ihre Argumente ernst genommen wissen wollen und im Laufe des Verfahrens zunehmend enttäuscht werden. Die ins Verfahren eingespeisten Informationen und Expertisen werden hinterfragt und nicht selten als unglaubwürdig eingestuft. Denn, wie uns ein Aktivist einer Bürgerinitiative in Süddeutschland erklärte, „ wenn ein Ingenieurbüro einen Teilflächennutzungsplan macht, der vom [Projektierer] beauftragt wurde, dann kann man net davon ausgehen, dass da die Sachen objektiv dargestellt werden. Und wenn [der Projektierer] ein Vogelgutachten in Auftrag gibt, dann leidet da von vorn herein auch schon einmal die Glaubwürdigkeit […]“. Auch wird der Überprüfung dieser Gutachten durch die zuständigen Genehmigungsbehörden nicht vertraut. Viel Spezialwissen ist nötig, um die Gutachten fachmännisch zu bewerten, dies ist nicht überall in nötigem Maße vorhanden, übersteigt auch oft die personellen und fachlichen Kapazitäten der lokalen Behörden. Die Betroffenen stellen auch die tatsächliche Dialog- und Kompromissbereitschaft seitens der Politik und der Industrie in Frage. Der häufig geäußerte Vorwurf, es handle sich ohnehin nur um „Scheinbeteiligungen“ zeugt von der Enttäuschung vieler Bürger*innen.

Eine Frage des Vertrauens

Unsere Untersuchungen zeigen, dass viele Betroffene Windkraftprojekten zunächst positiv gegenüber standen, aber durch Enttäuschungen im Verlauf des Planungs- und Beteiligungsverfahrens das Projekt schließlich ablehnten oder sich sogar dagegen engagierten. Häufig fühlten sich die Anwohnenden nicht ernst genommen. So äußerten beispielsweise Bürger*innen einer Kommune in Brandenburg starke Bedenken wegen der Waldbrandgefahr, die von einer in Brand geratenen Windkraftanlage ausgehen könne (Eichenauer 2016). Dies wurde zunächst weder seitens der Regionalplanung noch seitens des Projektierers adressiert, die Befürchtungen gar ins Lächerliche gezogen. Im Sommer 2018 wüteten just dort massive Waldbrände, die die Feuerwehren tagelang in Atem hielten.

Es ist ein schmaler Grat zwischen ernstzunehmender Sorgen der Betroffenen, die adressiert werden müssen, und taktischen Stöckchen, die seitens vehementer Gegner*innen hingehalten werden, um Diskussionen und Kompromisse ins Leere laufen zu lassen, zu unterscheiden. Hier bedarf es klarer energiepolitischer Positionen, ebenso wie klarer Absagen an anti-wissenschaftliche Argumentationen. Gleichzeitig darf aber das Vertrauen in grundlegende Institutionen unserer modernen demokratischen Gesellschaft wie Recht, Wissenschaft und nicht zuletzt Politik nicht verspielt werden durch eiliges Übergehen von Einwänden, Fragen oder Kritik. Dies öffnet Gelegenheitsfenster, um „alternative Fakten“ und eine „grundlegende Systemkritik“ anschlussfähig zu machen, wie sie sowohl von Klimawandelleugner*innen als auch von rechtspopulistischen Parteien verwendet wird. Werden solche Argumente sowie eine destruktive Debattenkultur hoffähig, kann das nicht nur die Energiewende, sondern auch die liberale Demokratie ins Wanken bringen.

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  1. Stephan Parlow

    vor 6 Jahren

    Danke, ein guter Kommentar. Ich denke, besonders die angesprochene Diskrepanz zwischen Ziel- und Maßnahmenebene ist der Punkt, an dem gearbeitet werden muss. Es herrscht ein breiter Konsens über die Ziele der Entwicklung, wohingegen wenige bereit sind Maßnahmen mit zu tragen, wenn sie den Status quo in Frage stellen. So kommen wir nicht weiter, geschweige denn zum Ziel.

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