War watt? Energiewende ohne Plan

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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28. Juli 2016
War watt? ist die energiepolitische Kolumne unseres Moderators Hubertus Grass, der seit nunmehr 30 Jahren für die Energiewende streitet.

Selbst übers Wetter gibt es dieser Tage wenig Gutes zu berichten. Gestern hat es Berlin getroffen, wo es binnen zweier Stunden so viel regnete wie sonst in einem ganzen Monat. In diesem Sommer mit Wetterextremen in noch nie erlebter Dichte hat uns der Klimawandel erreicht, sagt unser Gefühl. Und die Daten widersprechen nicht. 2015 war schon das heißeste jemals gemessene Jahr. 2016 wird diesen Rekord brechen. Laut Nasa lagen die Temperaturen in den ersten sechs Monaten 2016 um 1,3 Grad über dem langjährigen Mittel. Diese Abweichung nach oben ist ebenso ein neuer Rekord wie die Abfolge von 14 heißesten Monaten in Folge. Das Klima spielt verrückt, aber wir tun nicht das, was wir uns in Paris gegenseitig versprochen haben: Den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf deutlich unter 2 Grad zu beschränken. Die Politik macht weiter Energiewende ohne Plan.

Die deutsche Bundesregierung ist derzeit nicht geneigt, auf Entwicklungen oder Beschlüsse zu reagieren. Pflichtgemäß arbeitet sie den Koalitionsvertrag ab, als habe die Erde seit 2013 still gestanden. Wenn ein US-Präsident im letzten Amtsjahr eine „Lame Duck“ ist, dann darf man dem Geflügelhof der Großen Koalition klimapolitisch eine Vollnarkose attestieren. Die Auseinandersetzungen um den Klimaschutzplan 2050 deuten an: Bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr ist ein Erwachen ausgeschlossen. Dabei wäre es dringend angezeigt, sich den Realitäten zu stellen. Die bedrohliche Entwicklung des Klimas und der Extremtemperaturen (sowohl in der Arktis als auch in Äthiopien) verlangt eine schnelle nationale Umsetzung des Beschlusses von Paris sowie eine Vertiefung der internationalen Kooperationen. Weltrettung geht nur im Team.

Dialogprozess zum Klimaschutzplan 2050
Hier geht es nicht um Klimaschutz, sondern nur um die Einhaltung des Koalitionsvertrages. Energiewende ohne Plan – das aber vertragstreu.

Für die Energiewende brauchen wir einen ungefähren Plan mit verlässlichen Leitplanken, die einerseits dem Wettbewerb der besten Lösungen technologie-offen markieren, und andererseits den Investoren Investitions- und Planungssicherheit bescheren. Das EEG hat die Energiewende angeschoben. Als Instrument ist es jetzt völlig ungeeignet. Es gehört abgeschafft. Auf uns wartet eine große Aufgabe. Was bedeutet Dekarbonisierung der Energiewirtschaft? Es gibt zahlreiche Studien, die diese Frage zu beantworten suchen. Sie kommen in der Größenordnung auf ähnliche Ergebnisse wie Prof. Quaschning in seiner Studie Sektorkopplung für das Jahr 2040.

  • Anstieg des Stromverbrauchs von derzeit rund 600 TWh auf gut 1300 TWh.
  • Absenkung des Wärmebedarfs der Gebäude in den nächsten 25 Jahren möglichst um 30 bis 50 %.
  • Installierte Leistung Onshore-Windkraft 200 GW (Faktor 5 zu heute), 6,3 GW Zubau pro Jahr.
  • Installierte Leistung Offshore-Windkraft von 76 GW (Faktor 20 zu heute) 2,9 GW Zubau p.a.
  • Installierte Leistung Photovoltaik von 400 GW (Faktor 10 zu heute) 15 GW Zubau p.a.

Bruttostromerzeugung in Bayern nach Energieträgern

„Das Jahr 2040 ist noch lange hin. Da bleibt kommenden Regierungen noch hinreichend Zeit, die Energiewende zu beschleunigen.“ Wer so denkt, geht fehl. Die nächste, ganz große Herausforderung ist schon 2022 zu stemmen: Der Atomausstieg. Der wird besonders im Süden der Republik zu einer Aufgabe, der man sich besser gestern als heute gestellt hätte. Wie wollen wir den vergleichsweise hohen Anteil des Atomstroms in Bayern und Baden-Württemberg (s. Grafiken oben und unten) ersetzen? Ausreichend vorhanden und verfügbar ist derzeit nur Kohlestrom. Das war aber nicht der Plan.

Primärenergieverbrauch nach Energieträgern in Baden-Württemberg

Und jetzt haben wir ganz vergessen übers Geld zu reden. Über die Kosten der Energiewende. Über die Kosten des Klimawandels. Über die Kosten von Klimaflüchtlingen. Und die Kosten, die nicht genutzte Chancen verursachen.

Diskutieren Sie mit

  1. Herbert Sax

    vor 8 Jahren

    Leute bei den Grünen die die Problematik des Atom und Kohleausstieg begreifen kann man an einer Hand abzählen. Sie sind wohl einer davon. In Bayern liegt der Kernenergieanteil noch knapp bei 50%. Es ist überhaupt keine technische Lösung in Aussicht diesen Stromanteil durch andere Energieträger außer Erdgas zu ersetzen, was letztlich wieder mehr CO2 bedeutet. Die volatilen Quellen Wind und Sonne sind dafür überhaupt nicht geeignet weil sie enormen Schwankungen unterworfen sind und im Winter zusammen auch mal nahe Null sein können. Auch bei weiterem Zubau ändert sich nichts daran, denn es fehlt uns eine bezahlbare Speichertechnologie mit vernünftigem Wirkungsgrad. Die grundlastfähige Wasserkraft ist ausgeschöpft und die Biogasverstromung am ökologisch vertretbaren Limit angelangt. HGÜ-Leitungen aus dem Norden würden real mehr Kohle als Windstrom liefern. Als Erdleitungen sind sie zudem kaum bezahlbar. Wer der weiteren CO2 Reduktion Priorität gibt muss die AKW weiter laufen lassen. Wer das nicht will muss sch damit abfinden dass Bayern dann nach 2022 deutlich mehr CO2 emittiert als derzeit. Im Worst-Case als Kohlestrom. Im Best-Case als Strom aus importiertem Erdgas. Ich erwarte eigentlich dass Sie als Mitglied der Grünen ihrem eigenen Verein endlich reinen Wein einschenken und klar machen welche realen Optionen wir haben. 100% EE bezahlbar, geht nur mit Atomkraft aber nicht mit volatilen Stromquelle ohne Speicher. Zu behaupten dass Wind und Sonnenstrom inzwischen preiswert ist, ist leider nur die halbe Wahrheit. So ist er Strom ohne Langzeitspeicher über 3 Wochen nicht nutzbar und mit Speicher leider dann nicht mehr bezahlbar.

  2. Bitte um Aufklärung

    vor 8 Jahren

    klären Sie mich bitte auf.
    "Den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf deutlich unter 2 Grad zu beschränken"
    Welche Temperatur dient als Referenz? Normalerweise ist immer die Rede von der globalen Mitteltemperatur vor der Industrialisierung. Aber welchen Zeitraum der mehreren millonen Jahre vor der Industrialisierung ist der Masstab?
    Ist es die Wärmephase des Mittelalters? Ist es die darauffolgende kleine Eiszeit?
    Wie viele Wärmephasen gab es bereits in der Vergangenheit die eine höhere globale Mitteltemperatur als die der vergangenen 30 Jahren aufwiesen?
    Von welchen Parametern hängt denn das Klima ab? Ist es lediglich die Temperatur, so wie es der Artikel vermittelt?
    Das Klima war vor der Industrialisierung nicht konstant (widersprechen Sie mitr bitte wenn ich falsch liege) und war einem ständigen Wechsel unterzogen, auch ohne Eingriff des Menschen, hatte also natürliche Ursachen.
    Welchen Anteil in Prozent hat der Mensch, welchen die natürlichen Ursachen an der Klimaänderung?
    Als Schuldiger für Klimaänderung wird ja immer das CO2 genannt. Welchen Anteil in Prozent der von Menschen verursachten Klimaämderung hat das CO2?
    "Das Klima spielt verrückt"
    Wie ist Klima eigentlich definiert? Klima ist doch eine statistische Auswertung über das Wettergeschen, oder, also Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit…, oder liege ich da falsch? Um das Klima zu ändern müssen wir demnach das Wetter ändern. Wie können wir z.B. den Luftdruck ändern?
    Danke schon mal im Voraus für die Aufklärung

    Ich habe den Kommentar schon einmal gesendet, allerdings keine E-Mail zur Freischaltung erhalten.

  3. Hubertus Grass

    vor 8 Jahren

    Sehr geehrter Herr Kruneing,
    Danke für Ihren Kommentar. Wenn Sie sich ernsthaft für den menschlichen Einfluss auf das Klima und den Stand der Klimaforschung interessieren, dann sei Ihnen diese Seite empfohlen: http://deutsches-klima-konsortium.de/index.php?id=302#3472

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