Das Netz nimmt sich, was es braucht: Energie

Gastautor Portrait

Niklas Jordan

Technology advocate & Konzepter

Niklas Jordan ist Konzepter und Berater in der Digitalagentur MANDARIN MEDIEN GmbH. Er berät Unternehmen und Organisationen darin wie sie Technologien sinnvoll und zielführend für sich nutzen können. Als Teil von ClimateAction.Tech spricht er über die verantwortungsvolle Nutzung von Technologie und dem Internet und klärt über dessen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz auf. Außerdem studiert er Geo- und Umweltwissenschaften an der Open University.

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18. Juli 2019

„Bitte denken Sie an die Umwelt, bevor Sie diese E-Mail ausdrucken!” Wer hat diesen Satz nicht schon gelesen? Er erscheint gerne in der Signatur von Mails und ist für jeden von uns, ob Hobby- oder Berufssurfer, leicht verständlich. Wir lesen ihn und verhalten uns – hoffentlich – dementsprechend: Die Mail drucken wir, solange es sich vermeiden lässt, nicht auf den wertvollen Rohstoff Papier. Auch bei Produkten des täglichen Bedarfs wie der Bio-Kartoffel achten wir auf kurze Lieferwege für einen möglichst geringen Energieverbrauch. Sobald es aber um virtuelle Prozesse geht, die wir nicht anfassen oder sehen können, setzt unser Umweltbewusstsein aus – oder haben Sie schon mal recherchiert, ob das soziale Netzwerk Ihrer Wahl mit erneuerbaren Energien betrieben wird?

(K)Eine Sorge: Denen auf der anderen Seite der Produktionskette, der Industrie, geht´s genauso! Automobilhersteller „versuchen” abgasärmere Fahrzeuge zu entwickeln und die Bauindustrie nutzt zusehends recycelte Materialien. Aber Softwareunternehmen und alle anderen, die vom Internet profitieren, schenken der Bilanz desselben kaum Beachtung. Satte 830 Millionen Tonnen CO2 werden pro Jahr durch das Netz produziert – mehr als die gesamte Luftfahrtindustrie im gleichen Zeitraum verursacht. Und bis 2020 sollen sich diese Emissionswerte verdoppeln.

Wo bleibt also die Signatur für Instagram, YouTube und Co.: „Bitte denken Sie an die Umwelt, wenn Sie Ihre Bilder auf der Plattform hochladen.” Der sozialen Selbstdarstellung wäre damit nicht geholfen, dem Emissionsausstoß aber umso mehr.

Postbote „Suchmaschine” liefert energiegeladene Pakete

Grafik: aus dem Buch "Designing for Sustainability" von Tim Frick (O’Reilly)

Um zu verstehen, wie die unsichtbaren Energiefresser des Internets Emissionen produzieren, müssen wir uns anschauen, wie das Internet funktioniert. Ohne dabei zu sehr ins Detail gehen zu wollen, nur so viel: Zwischen dem Eingeben der URL in die Adresszeile Ihres Browser und dem Anzeigen der Website passiert eine ganze Menge. Im Prinzip werden ständig Datenpakete versandt. Alles beginnt auf Ihrem Rechner Zuhause. Sie geben etwas in die Suchmaschine ein und über Ihr Modem wird ein Paket an Ihren Provider geschickt. Von hier aus gehts weiter zum Domain Name Server (kurz: DNS). Der DNS ist eine Art Adressbuch, das genau weiß, auf welchem Server die Website liegt, die Sie suchen. Der DNS Server leitet Ihre Anfrage bzw. Ihr Datenpaket dann zum richtigen Server weiter. Dieser verarbeitet Ihre Anfrage und schickt Ihnen die Bilder, Texte, das Layout der Website und weitere Informationen als Datenpakete zurück. Je mehr Medien und Inhalte Sie anfordern, desto schwerer belastet sind die bei Ihnen ankommenden Datenpakete.

Bei einer Studie wurde errechnet, dass pro Gigabyte übertragene Datenmenge 13 kWh verbraucht werden. Klingt nicht viel, bedeutet aber, dass eine Startseite, wie die von Wikipedia, pro Monat ca. 5850 kWh verbraucht. Umgerechnet auf den Verbrauch fossiler Energieträger entstehen so in einem Monat Emissionen in Höhe von ca. 3,2 Tonnen.

Der Energiefresser steckt im Detail

Radelten wir früher auf dem digitalen Fahrrad, cruisen wir heute in einem aus Bits bestehenden Porsche durchs Netz.

Niklas Jordan, Technology advocate & Konzepter

Von Jahr zu Jahr werden die Datenmengen, die eine Website produziert, größer. Der Grund: „Früher” bestanden Seiten nur aus reinem Text, schwarz auf weiß. Heute kommt keine Website mehr ohne hochauflösende Fotos, Videos und verspielte Animationen aus. Das lässt zwar unser unterhaltungshungriges, nicht aber unser umweltbewusstes Herz höherschlagen. Jedes Katzenvideo und jede Blockbuster-Werbung benötigt Datenpakete. Für die HD-Auflösung werden die Pakete natürlich größer. Am Ende der Ladekette ist die Rechnung ganz einfach: Je mehr Animationen auf einer Seite sind, desto mehr Energie benötigen Server und Endgerät, um sie zu laden. Ergo der Emissionsausstoß steigt.

Auf vielen Seiten wird Werbung geschalten. Schrille Farben und Animationen sollen unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen – Energie ziehen sie in jedem Fall. Verlage wie zeit-online, diverse Webpublikationen und Blogs nutzen die zum Teil grafisch aufwendigen Anzeigen, um sich zu finanzieren. Heißt, sie lassen sich dafür bezahlen, dass Unternehmen Werbung auf ihrer Seite platzieren dürfen. Einmal geschalten, wollen die Unternehmen natürlich wissen, wie erfolgreich ihre Werbung ist. Es geht um Reichweite, Verkauf und Nutzeranzahl. An dieser Stelle kommen die Scripte und Analysetools ins Spiel, die die Farbe ihrer Unterhose zeigen – zumindest derjenigen, die Sie sich gerade online angucken.

Würden Sie heute eine Website mit einem 56k-Modem aufrufen, könnten Sie gemütlich mit der Familie Abendbrot essen, bis die Website vollständig geladen wäre.

Niklas Jordan, Technology advocate & Konzepter

Mithilfe der Tools können die Verlage dem Werbetreibenden genaue Auskunft darüber geben, wie erfolgreich die Anzeige war, wie viele Nutzer sie gesehen oder darauf geklickt haben und wie lange sich der Nutzer mit dem Inhalt beschäftigt hat. Die Scripte und Anzeigen machen oft bis zu 90 % der Gesamtdatenmenge der Website aus und sind damit wahre Energiefresser. Beispiel gefällig?

Eine Untersuchung der New York Times hat ergeben, dass die Website einer amerikanischen Tageszeitung (bosten.com) 15,4 MB für Anzeigen und Werbung lädt und lediglich 4 MB für den eigentlichen Artikel.

Den Energiehunger der Websites, auf denen wir alltäglich surfen, nehmen wir kaum wahr. Das liegt daran, dass sich über die Jahre nicht nur die Datenmenge des Webs erhöht hat. Auch Ihre eigene Bandbreite ist größer geworden, besser gesagt die Bandbreite Ihres Modems. Mit einem 56k-Modem kämen Sie heute nicht mehr weit. Im 21. Jahrhundert nutzen wir 100 Mbit und mehr.

Das ist an den Webentwicklern, Designern und Agenturen natürlich nicht vorbei gegangen. Mit höherer Geschwindigkeit streuen sie massig Inhalte, um unsere Aufmerksamkeit zu erhaschen. Da heißt es: Im Zweifel lieber ein Bild zu viel als zu wenig auf die Website – und schwups ist der Porsche statt dem Fahrrad im Web unterwegs!

Grüne Lunge Web, aber wie?

Der größte Hebel ist die Energiequelle, mit der der Server betrieben wird. Große Player wie Apple, Facebook und Google haben bereits vor einigen Jahren ihre Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt. Einige andere, beispielsweise Twitter, setzen bis heute auf fossile Brennstoffe.

Aber auch die Kleineren – Webentwickler, Designer, Agenturen, Projektmanager, Auftraggeber – müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden und mehr Wert auf die Energieeffizienz ihrer Website legen. Dabei können Performance-Budgets helfen. Mithilfe solcher Budgets lässt sich die Datenmenge einer Website begrenzen. So kann der Webdesigner festlegen, dass keine seiner Seiten größer als 1,5 MB sein soll. Das sorgt im Umkehrschluss natürlich dafür, dass er genau überlegen muss, welche Inhalte auf der Website benötigt werden und welche überflüssig sind. Eine solche Reduzierung wirkt sich nicht nur positiv auf den Energieverbrauch aus, sondern sorgt ganz nebenbei auch dafür, dass die Website beim Nutzer schneller lädt.

Zukunft Netz: Es ist nicht alles schlecht!

Trotz der enormen CO2-Bilanz könnte das Internet auch zum Klimaretter werden. Der Übergang von alten Industrien und Dienstleistungen zum Internet hat Potenzial. Bis 2020 können dadurch bis zu 8 Milliarden Tonnen CO2 eingespart werden. Der prognostizierte Emissionsausstoß von 1,4 Milliarden Tonnen durch das Internet wäre damit mehr als ausgeglichen.

Weitere Einsparpotenziale liegen im Bereich Verkehr und Mobilität. Beispielsweise konnten durch Telekonferenzen Geschäftsreisen bereits um 30 Prozent reduziert werden. Das sind 30 Prozent weniger an Flugzeug- und Autoabgase, die zulasten der Umwelt gehen. Online-Plattformen wie Airbnb sorgen für eine höhere und dauerhaftere Auslastung des knappen Wohnraums. Damit sind sie bis zu 66 Prozent energieeffizienter als Übernachtungen im Hotel.

Wenn wir wollen, können wir also beides: Saubere und grünere Websites entwickeln und die Potenziale des Internets nutzen. Wir müssen uns nur stärker der Konsequenzen unseres (digitalen) Handelns bewusst werden und uns vor jedem hoch geladenen Selfie fragen:

„Denken wir gerade wirklich an unsere Umwelt?!”

Weitere Informationen

Mein Newsletter über Technologie und Klima: https://blog.niklasjordan.com/newsletter/

Vortrag „Warum unser Web nachhaltiger werden muss und wie wir das anstellen“ auf der Bits und Bäume: https://noti.st/niklasjordan/BidI9l/warum-unser-web-nachhaltiger-werden-muss-und-wie-wir-das-anstellen

GreenWebFoundation – Prüfen ob eine Website mit erneuerbarer Energie betrieben wird: https://www.thegreenwebfoundation.org/

WebsiteCarbon – Prüfen wie viel CO2 meine Website verursacht: https://www.websitecarbon.com/

ClickGreen Report von Greenpeace: https://www.clickclean.org/germany/de/

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Empfehlung der Redaktion: „Ist Netflix schlecht für die Umwelt? Wie Video-Streaming den Klimawandel anheizt“ 

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