Die Elektromobilität in Deutschland nimmt Fahrt auf. Aber wann kommt das E-Auto und wo wird es geladen? Genau weiß das keiner. Doch eins ist klar, ohne ein starkes Stromnetz geht es nicht.
Derzeit fahren in Deutschland knapp 45.000 E-Autos. Der Stromverbrauch in Deutschland wird sich durch die Elektrofahrzeuge nur geringfügig erhöhen. Selbst wenn es einmal eine Million sein werden, steigt der Stromverbrauch in Deutschland dadurch nur um rund ein halbes Prozent. Die Herausforderung liegt an einer ganz anderen Stelle, bei den Netzen. Werden viele E-Autos gleichzeitig geladen, so können in lokalen Bereichen hohe Spitzenbelastungen entstehen. Auf diese ist das Netz heute noch nicht ausgelegt, weder bei Privathaushalten noch bei Parkhäusern oder Firmen, die einen Fuhrpark mit E-Autos unterhalten.
Die Netze BW befasst sich deshalb sehr intensiv mit dem Thema und hat sich zur Aufgabe gemacht, das Netz optimal auf die anstehende Mobilitätswende vorzubereiten. Ziel ist es, dem Kunden jederzeit einen komfortablen Zugang zum benötigten Ladestrom zu bieten. Gleichzeitig soll aber die Überlastung des Netzes und ein teurer Ausbau vermieden werden.
Fünf große Handlungsfelder hat die Netze BW dabei für sich ausgemacht:
1. Identifizieren: Wissen, was im eigenen Stromnetz los ist
Aus Sicht des Verteilnetzbetreibers ist es entscheidend zu erfahren, wo zukünftig diese Ladestationen aufgebaut werden sollen und um welche Art des Ladevorgangs es sich handelt. Während es im Privatbereich eher darum geht, das Fahrzeug z.B. über Nacht in 7-10 Stunden aufzuladen, soll es an Autobahnraststätten möglichst innerhalb von wenigen Minuten wieder vollgetankt werden. Um letzteres zu ermöglichen, rüstet beispielsweise die EnBW aktuell über 150 Autobahnraststätten mit Schnellladestationen bis 50 kW aus. Perspektivisch sollen bald 150 kW- und schließlich 350 kW-Ladevorgänge möglich sein. Zu Hause oder am Arbeitsplatz reichen meist 3,7 bis 22 kW.
Schon heute wächst die Zahl der öffentlichen und vor allem privaten Ladestationen im Versorgungsgebiet der Netze BW. Die Herausforderung für den Netzbetreiber liegt eindeutig im privaten Bereich, da hier der Strombedarf des Kunden nach der Anschaffung eines E-Autos sprunghaft und für den Netzbetreiber überraschend erfolgen kann. Beispielsweise lassen sich Ladestationen wie Wallboxen inzwischen mit geringem Aufwand installieren – und wurden in der Vergangenheit nur selten dem Netzbetreiber gemeldet. Seit Februar 2017 muss bei der Netze BW der Aufbau einer Ladestation daher bereits größer 4,6 kVA gemeldet werden. Größer 12 kVA sind diese (wie vergleichbare Elektrogeräte) sogar genehmigungspflichtig. Als Verteilnetzbetreiber benötigt die Netze BW die Information, um Kapazitätsengpässe voraussehen und Netzausbauten oder -umbauten rechtzeitig planen zu können. Bei der Errichtung von Ladestationen oder Wallboxen im privaten Bereich wird empfohlen, einen qualifizierten Elektroinstallateur zu beauftragen. Dieser kennt sich am besten mit der entsprechenden Technik und den geltenden Vorschriften aus.
Ergänzend dazu prognostiziert die Netze BW regelmäßig die Neuanschaffungen von Elektrofahrzeugen im eigenen Netzgebiet. Unter Berücksichtigung von Netztopologien, Geoinformationsdaten sowie politischer und sozialer Rahmenbedingungen leiten wir mittels eines Analysetools ab, wo am wahrscheinlichsten Ladepunkte neu entstehen werden. Dadurch können wir an als „Hot-Spots“ identifizierten Regionen spezielle Messtechnik in Trafostationen einbauen, die den Zustand des Netzes kontinuierlich überwacht. So kann ein Engpass frühzeitig erkannt und Netzausbauten oder -umbauten rechtzeitig angestoßen werden.
2. Überbrückungslösungen: Vorbereitet sein, wenn ein Netzengpass unvermeidlich ist
Wenn zu wenige Ladepunkte gemeldet werden und unsere Prognose nicht greift, kann es im Extremfall dazu kommen, dass das Stromnetz lokal zu stark belastet wird. Aus Sicherheitsgründen schaltet sich das Netz in solchen Situationen ab – wie bei der Sicherung zu Hause. Das Ergebnis wäre ein örtlicher Stromausfall. Diesen gilt es zu beheben. Deshalb wird man in einem ersten Schritt versuchen, durch Netzumschaltungen die lokale Stromüberhöhung im Stromkabel durch Umleitung der Ströme aufzuteilen. Der benötigte Spitzenstrom gelangt dann über mehrere andere Routen zum Kunden – ähnlich einer Verkehrsumleitung bei einem Stau. Ist dies jedoch nicht möglich, muss die Straßen aufgegraben und der Kabelquerschnitt vergrößert werden, damit über diese Route mehr Strom in das Gebiet gelangt. Dies ist jedoch sehr zeitintensiv und benötigt bis zu zwölf Monate Vorlauf. Der Knackpunkt besteht dabei nicht im einzelnen E-Auto, sondern entsteht vielmehr durch gleichzeitig ladende E-Autos an einem Netzstrang.
Um den betroffenen Kunden bis zum finalen Netzausbau das Laden ihres E-Autos weiterhin zu ermöglichen, könnte ein intelligentes Lademanagement helfen. Die Netze BW wirbt mit 100 Euro Prämie, wenn Kunden in ihre Ladestation ein Steuergerät einbauen lassen. Im Notfall können diese Steuergeräte gezielt abgeschalten und ein Stromausfall vermieden werden. Sobald das Netz wieder stabil ist, werden die betroffenen Ladestationen wieder frei geschaltet. Dies stellt eine Möglichkeit dar, um Netzüberlastungen zu vermeiden.
Eine weitere ist der Einsatz von Speichern. Der betroffene Netzstrang ist im Normalfall nicht permanent überlastet, sondern nur in dem Zeitraum, in dem viele Kunden zeitgleich laden möchten. Idee der netzintegrierten Speicher ist, die zum gleichzeitigen Laden benötigte Strommenge bereits zu Niedriglastzeiten in das betroffene Gebiet transportiert zu bekommen. Zur Spitzenlastzeit muss dann nicht der komplette Strom über den Gebietszuleitungsstrang gezogen werden.
Um die Spitzenlast im Bedarfsfall auf das Verteilnetz zu verringern, sind solche Speicher eine gute Lösung. Diese Überbrückungslösung ist sehr kundenfreundlich, da die Anwohner im betroffenen Gebiet nicht von dieser Maßnahme tangiert werden und bis zum eigentlichen Netzausbau weiterhin ihre Elektrofahrzeuge laden können.
Neben Speicher und Lastmanagement können aber auch weitere Lösungen bestehen, an welchen die Netze BW arbeitet.
3. Netzverstärkung: Ohne Stromnetzausbau geht es nicht
Die nachhaltige Versorgungssicherheit steht für uns an erster Stelle. Der Ausbau der Elektromobilität soll daran nichts ändern. Mit einer steigenden Anzahl an Elektrofahrzeugen auf den Straßen steigt auch die Zahl der installierten Ladesysteme. Als Netzbetreiber kümmert sich die Netze BW darum, dass jederzeit Strom zum Laden für Elektrofahrzeuge zur Verfügung steht – bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit. Deshalb plant die Netze BW bereits heute das zuverlässige Stromnetz von morgen.
Bis zu einer halben Milliarde Euro bis zum Jahr 2025 sind für die Erneuerung des Netzes im Versorgungsgebiet der Netze BW eingeplant. Vor allem in den kundennahen Netzen der Niederspannung und Mittelspannung werden die Investitionen benötigt. Dabei berücksichtigt die Netze BW bei der Netzplanung nicht nur die erhöhten Anforderungen durch Elektromobilität. Auch die Integration der Erneuerbaren Energien sowie die vermehrte Installation von Wärmestromanlagen und Speicheranlagen fließen in die Netzplanung mit ein.
4. Intelligenz: Durch die eigene Firmenflotte als auch direkt beim und mit dem Kunden werden Erfahrungen gesammelt
Die Netzintegration von E-Autos ist komplex und es gibt kaum Erfahrungen. Deswegen wird die Netze BW im Schaufenster-Projekt „Smart Mobility Allee“ den Bewohnern eines Straßenzuges E-Autos bereitstellen. Ziel des Projektes ist es, das Ladeverhalten der E-Autos und Auswirkungen auf das Netz möglichst präzise kennen zu lernen und zu analysieren. Dabei sollen neben Messungen auch Überbrückungslösungen wie der Aufbau von Speichern und ein intelligentes Lademanagement untersucht werden. Besonders wichtig ist hierbei der direkte Kontakt zu den Kunden. Dadurch können Kundenwünsche und mögliche Akzeptanzprobleme sofort aufgedeckt und bei der Lösungsentwicklung berücksichtigt werden.
Meist laden die E-Autos zwei- oder gar einphasig. Dabei wären möglichst symmetrische, dreiphasige Beladungen ideal fürs Netz. Bei guter Verteilung und einer geringen Anzahl an Fahrzeugen spielt die Art des Ladens noch eine unbedeutende Rolle, birgt aber bei mehreren Fahrzeugen, die gleichzeitig am Niederspannungsnetz laden, das Risiko von Schieflasten oder gar Schäden an Betriebsmitteln. Dadurch könnten Haushaltsgeräte plötzlich unterversorgt werden oder Lichter anfangen zu flackern.
Dieses Phänomen stellte die Netze BW bereits bei einem Feldtest der eigenen E–Fahrzeugflotte fest, der in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Stuttgart durchgeführt wurde, um die Auswirkungen von Elektrofahrzeugen auf das Stromnetz zu untersuchen. Insgesamt umfasst die Flotte über 50 Fahrzeuge. Innerhalb des Feldtest erwies sich die ungleiche Nutzung der Phasen als problematisch. Für das Stromnetz ist es besser, wenn alle drei Phasen gleichmäßig belastet werden. In der Praxis werden aber häufig ein oder zwei Phasen von mehreren E-Autos zum Laden benutzt, während die dritte Phase unbenutzt ist.
5. Gremien- und Öffentlichkeitsarbeit: Gemeinsam zum Siegeszug der Elektromobilität
Wie lassen sich Einspeisung und insbesondere Verbrauch netzdienlich steuern und am besten aufeinander abstimmen? Und wie lassen sich mit diesen Erkenntnissen die Kosten für den Ausbau der Verteilnetze begrenzen? Dazu tragen nicht nur technische Komponenten wie Speicher oder die vom Netzbetreiber steuerbaren Ladestationen bei. Vielmehr geht es auch um regulatorische Maßnahmen und wirtschaftliche Anreize. Zudem bemüht sich die Netze BW auf Normungs- (VDE FNN) und Gremienebene (BDEW, BNetzA) um eine Überführung in die technischen Richtlinien.
Der Verteilnetzbetreiber Netze BW ist kürzlich als erstes Unternehmen der Energiewirtschaft dem Automobilverband VDA beigetreten. Autofahrer mit E-Autos, aber natürlich auch die Hersteller dieser Autos sind in diesem Sinne Kunden und Partner. Ziel ist es, dort vorhandenen etablierten Netzwerken beizutreten und daraus gemeinsame Synergie–Effekte abzuleiten, um die Mobilitätswende zu meistern.
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