Einen Markt für Wasserstoff schaffen!

Gastautor Portrait

Dr. Kirsten Westphal

Gastautor

Dr. Kirsten Westphal ist seit März 2023 Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und dort unter anderem zuständig für das Thema Wasserstoff. Zuvor war Westphal Vorständin bei der H2 Global Stiftung und arbeitete zwischen 2008 und 2021 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Westphal wurde am 1. Januar 1969 in Kaufbeuren geboren. Sie studierte Politikwissenschaft, Neueste Geschichte und Kommunikationswissenschaften.

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20. September 2023

Eine Vollelektrifizierung wird nicht möglich sein. Ohne klimaneutrale Gase als Partner der Erneuerbaren Energien wird es nicht gehen.

Dr. Kirsten Westphal

USA, China, Australien, Kanada und Saudi-Arabien – in zahlreichen Staaten nimmt der Wasserstoffhochlauf an Fahrt auf. Weltweit entstehen immer mehr und größere Projekte. Das ist gut, zeigt es doch, dass die Bedeutung von Wasserstoff für das Erreichen der Pariser Klimaziele weltweit gesehen wird. Das gilt für die Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften wie für unser Energiesystem. Wasserstoff ist mehr als nur die Transformation von Gas. Wasserstoff wird zu einer eigenständigen und unverzichtbaren Säule des klimaneutralen Energiesystems der Zukunft und der industriellen Wertschöpfung von morgen. Damit verbinden sich auch für Deutschland enorme Chancen.

Zum einen benötigen wir Wasserstoff schlicht und einfach für eine klimaneutrale Energieversorgung. Eine Vollelektrifizierung wird nicht möglich sein. Ohne klimaneutrale Gase als Partner der Erneuerbaren Energien wird es nicht gehen. Wasserstoff hat ganz zentrale Stärken: Er ist vielseitig einsetzbar, gut speicherbar und damit jederzeit verfügbar. Ein echtes Allround-Talent.

Aber es gibt noch einen zweiten Grund, warum ein schneller Wasserstoffhochlauf in Deutschland wichtig ist: Wir befinden uns in einem internationalen Wettbewerb. Es geht darum, den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfähig zu machen. Deutschland hat dank seiner Expertise im Maschinenbau das Potenzial eine Technologieführerschaft beim Bau von Elektrolyseuren und der dazugehörigen Technik zu übernehmen. Diese Chancen sollten wir nutzen.

Die Komplexität und Dichte der Regulierung erschwert die Umsetzung von Projekten. Die Sektorziele und Anrechnungsmechanismen bergen die Gefahr eines segmentierten Marktes, bevor der Hochlauf überhaupt gestartet ist.

Dr. Kirsten Westphal

Trotz dieser Schlüsselrolle als Energieträger und Zukunftstechnologie hat der Wasserstoffhochlauf in Deutschland noch nicht genug Fahrt aufgenommen. In den vergangenen Jahren sind keine nennenswerten Elektrolysekapazitäten zur Wasserstofferzeugung aufgebaut worden. Investoren sind zurückhaltend. Das liegt vor allem daran, dass das Marktumfeld noch sehr unsicher ist. Es fehlen konkrete Geschäftsmodelle und dadurch auch Investitionsanreize. Vor allem viele regulatorische Unsicherheiten erschweren das Investitionsumfeld für Wasserstoff in der EU. Die Planung des H2-Kernnetzes ist eine Grundvoraussetzung, um das sogenannte Henne-Ei-Problem zu adressieren. Erzeugung, Transport, Speicherung und Anwendung müssen über die gesamte Wertschöpfungskette aufeinander in Qualitäten, Mengen und Liefermodalitäten abgestimmt und synchronisiert werden. Neben der Infrastruktur sind essenzielle Fragen zu Anwendungsfeldern, Zertifizierung und Anrechenbarkeit noch immer unklar. Die Komplexität und Dichte der Regulierung erschwert die Umsetzung von Projekten. Die Sektorziele und Anrechnungsmechanismen bergen die Gefahr eines segmentierten Marktes, bevor der Hochlauf überhaupt gestartet ist. Als Beispiel für die gefährliche Tendenz hin zu einer immer engeren regulatorischen Rahmensetzung ist der delegierte Rechtsakt zur Definition von Strombezugskriterien für erneuerbaren Wasserstoff zu nennen und die Umsetzung in nationales Recht.

In vier Phasen zum Wasserstoff-Markt

Was es in Deutschland und der EU braucht, ist das klare Zielbild eines funktionierenden Wasserstoffmarktes. Ein eingeschwungener Markt führt dazu, dass Wasserstoff (und seine Derivate) effizient nach marktwirtschaftlichen Mechanismen verteilt werden. Es braucht Skalierung, es braucht einen Mengenhochlauf und Umbauprozesse. Um die Kosten dafür effizient und auf mehrere Schultern zu verteilen, braucht es „den Markt“.

Für die erfolgreiche Entwicklung eines solchen Marktes sehen wir vier Phasen, die wir kürzlich in unserem neuen Diskussionspapier für ein Marktdesign für Wasserstoff veröffentlicht haben. Unter der Initialphase versteht der BDEW die Meilensteine, die dieses oder spätestens nächstes Jahr erreicht werden müssen, um den Markthochlauf zeitnah zu initiieren. Dazu gehört unter anderem die abgeschlossene Planung für das Kernnetz und eines initialen Verteilernetzes ebenso wie der umgesetzte delegierte Rechtsakt aus den Novellen der EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien (RED II und RED III). Erst diese Schritte und die Umsetzung von Förderprogrammen wie IPCEI-Projekten, Klimaschutzverträgen und H2Global ermöglichen die Umsetzung erster H2-Cluster und Wertschöpfungsketten im Inland, aber auch von Importen.

Klar ist: Wasserstoff ist keine ferne Zukunftsmusik, um die wir uns später kümmern können. Die Jahre 2023/2024 werden entscheidend sein für die Frage, ob der Hochlauf im großen Stil gelingt.

Dr. Kirsten Westphal

Diese Etablierung erster Projekte und Infrastrukturen ebnet den Weg für den eigentlichen Markthochlauf. Dieser startet mit der Aufbauphase. Die Aufbauphase endet in etwa, wenn H2-Kernnetz sowie weitere Netzbestandteile auf Fernleitungs- und Verteilnetzebene zu relevanten Ankerkunden, Wasserstofferzeugern und Importpunkten in Deutschland aufgebaut sind. In dieser Phase entstehen rund um Infrastrukturknoten immer mehr Projekte und regionale Hubs, die immer mehr zusammenwachsen. Mitte der 2030er Jahre, durchaus mit regionalen Unterschieden, schließt sich an den Hochlauf des Marktes die Ausprägungsphase an. Wasserstoff kommt dann in immer mehr Regionen und Sektoren zur Anwendung, unterschiedliche Akteuren mit ihren jeweiligen Risikoprofilen nehmen am Markt teil. So entwickelt sich schließlich ein eingeschwungener Wasserstoffmarkt. Wo sich Mengen und Preise einpendeln, wird die Zukunft zeigen.

Je nach Hochlaufphase werden staatliche Maßnahmen anfangs verstärkt notwendig sein, bis etwa 2040 werden auch langfristig angelegte staatliche Fördermechanismen nach und nach auslaufen. Zu Beginn der 2040er Jahre sollte dann das Zielbild eines funktionierenden Wasserstoffmarktes erreicht sein. In den verschiedenen Phasen dieses Hochlaufs werden jeweils andere politische Instrumente benötigt, einmal um den Energieträger einzuführen, aber auch seine Anwendung zur Einsparung von klimaschädlichen Emissionen zu beschleunigen.

Klar ist: Wasserstoff ist keine ferne Zukunftsmusik, um die wir uns später kümmern können. Die Jahre 2023/2024 werden entscheidend sein für die Frage, ob der Hochlauf im großen Stil gelingt. Dafür brauchen wir jetzt den passenden Regulierungsrahmen, Investitionsanreizen und effektiven Fördermaßnahmen. Wir sollten eine europäischen Marktdesigndebatte führen – ähnlich wie bei Strom und Erdgas.

Stellschrauben für einen erfolgreichen Wasserstoffhochlauf

Für einen erfolgreichen Wasserstoffhochlauf braucht es das Zielbild eines funktionierenden Marktes, die Entwicklung von Geschäftsmodellen, sowie transparente Regeln und ein Level-Playing Field.

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Kern eines funktionierenden, wettbewerblichen Wasserstoffmarktes ist der Handel. Hierfür müssen klare Regeln, Standards und Zertifizierungen festgelegt werden, auch auf EU-Ebene. Basis dafür sind unter anderem eine einheitliche Definition von erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen. Zudem brauchen wir dringend ein EU-weites, transparentes Herkunftsnachweissystem.

Aber natürlich benötigen wir auch einen schnellen Hochlauf handelbarer Mengen. Die Bundesregierung hat sich bei der Wasserstofferzeugung ambitionierte Ziele gesetzt. Um diese zu erreichen, braucht es gerade jetzt in der Anfangsphase konsistente Förderinstrumente und Maßnahmen, die einen schnellen Hochlauf ermöglichen. Viele der bereits angestoßenen Unterstützungsmaßnahmen stecken aktuell fest und lösen daher aktuell noch keine Investitionen aus. Das muss sich ändern. Es ist allerdings auch klar, dass wir nicht allen Wasserstoff, den wir künftig benötigen, selbst erzeugen können. Deshalb gilt es schon jetzt Importpotenziale zu erschließen und Importinfrastrukturen aufzubauen.

Eine zentrale Voraussetzung für den Wasserstoffhochlauf ist natürlich auch der Aus- und Umbau der Infrastruktur. Wir brauchen deshalb nicht nur eine zügige Planung und Umsetzung des H2-Kernnetzes. Um den Industriestandort Deutschland klimaneutral und zukunftsfest zu machen, muss auch das Gasverteilernetz in die künftige Wasserstoffwirtschaft eingebunden werden. Um die Gasleitungsinfrastruktur für die künftige Wasserstoffwirtschaft nutzbar zu machen, sollten die für Gasnetze bewährten Entflechtungsregeln auf Wasserstoff übertragen werden.

Für einen erfolgreichen Wasserstoffhochlauf braucht es das Zielbild eines funktionierenden Marktes, die Entwicklung von Geschäftsmodellen, sowie transparente Regeln und ein Level-Playing Field. Ganz zentral ist eine optimistische Gelingenshaltung gegenüber den Chancen von Wasserstoff für die Energiewende und den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wenn die Politik die richtigen Weichen stellt, kann der Hochlauf gelingen.

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