Eine Anmerkung der Redaktion der Stiftung Energie & Klimaschutz: Wir geben den Bundesparteien eine Stimme, konkret: Den Fachexpertinnen und Fachexperten von CDU, SPD, FDP, DIE LINKE, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN.
Welche Rolle der Klimaschutz im Bundestagswahlkampf spielt haben wir als Leitfrage den oben genannten Parteien gestellt und Antworten bekommen. Klar ist: noch nie hat der Klimaschutz eine so präsente Rolle im Wahlkampf und in der öffentlichen Berichterstattung bekommen wie derzeit, kurz vor der nächsten Legislaturperiode.
Der erste globale Klimastreik, organisiert von Fridays for Future, fand im Frühjahr 2019 statt. Zum Antritt der jetzt noch im Amt befindlichen Bundesregierung hatte der Klimaschutz keine so laute und vernehmbare Stimme in der Zivilgesellschaft, wie sie in den vergangenen zwei Jahren entstanden ist.
Der Refrain „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ von Fridays for Future ist ein Appell an die Politik, spürbare Veränderungen in der Klimaschutz-Politik umzusetzen, zeitnah. Der Appell kam an – keine der genannten Parteien lässt Klimaschutz in Wahlprogramm oder auch Wahlkampagnen außen vor.
Doch wo sind die Schwerpunkte und wie unterscheiden sich die Vorhaben in den Details? Was sind die konkreten Wahlprüfsteine? Antworten geben Energie-Expertinnen und Energie-Experten mit ihren Gastbeiträgen, die ab dem 6. September vor der diesjährigen Bundestagswahl hier veröffentlicht werden.
Wir bedanken uns für die Gastbeiträge, die uns als Antwort auf unsere Anfrage erreichten. Heute schreibt Dr. Lukas Köhler, FDP.
Als überzeugter Klimapolitiker stellt sich mir permanent eine zentrale Frage: Kriegen wir das noch hin? In Podiumsdiskussionen, in Fernsehinterviews und Ausschusssitzungen schwebt sie stets über uns, aber am lautesten stellt sie sich mir, wenn ich meine Kinder anschaue. Also: Schaffen wir es als Menschheit, unser Verhalten so zu ändern, dass wir die stetige Erderwärmung auf ein erträgliches Maß begrenzen können? Können wir den Umbau unserer Weltwirtschaft so schnell gestalten, dass heutige Generationen in allen Teilen der Welt, aber auch künftige Generationen ein gutes Leben auf der Erde führen können?
Ich sage: Ja, und diese Überzeugung beruht dem festen Fundament der begründeten Zuversicht. Denn ein Blick in die Geschichte zeigt, dass wir Menschen schon mit zahlreichen Problemen konfrontiert waren, mit furchtbaren Katastrophen und angeblich anstehenden Apokalypsen – und sie sind nie eingetreten, stattdessen wird die Welt nachweislich immer besser. Leider gibt es auch heute noch viele Probleme, aber die Fakten zeigen, dass die Richtung stimmt: Immer mehr Menschen haben Zugang zu Nahrung, Bildung, Elektrizität, sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Immer mehr Menschen leben in demokratischen Verhältnissen, in Frieden und Freiheit, die Kindersterblichkeit sinkt weltweit, die Lebenserwartung nimmt zu und die Lebensqualität auch – und auch wenn dieser Fortschritt weder von allein kommt, noch ohne Rückschläge funktioniert, soll es bei dieser Richtung auch bleiben.
Es wäre sicherlich schön, wenn es eine einfache Lösung für dieses gewaltige Problem gäbe, aber es ist komplett naiv, dies zu glauben – und populistisch, es zu behaupten.
Zugleich müssen wir uns eingestehen, dass all diese Fortschritte zumeist auf der Nutzung fossiler Energien beruhen, und so zeigt sich der Klimawandel als eine unerwünschte und brandgefährliche Nebenwirkung der Erfolgsgeschichte Mensch. Er ist verknüpft mit so ziemlich allem, was wir Menschen tun, und deshalb müssen wir auch Lösungen entwickeln, die alle Lebensbereiche miteinander verknüpfen. Es wäre sicherlich schön, wenn es eine einfache Lösung für dieses gewaltige Problem gäbe, aber es ist komplett naiv, dies zu glauben – und populistisch, es zu behaupten.
Denn keine Partei, keine Technologie und kein Land kann das Pariser Abkommen alleine erreichen, weder mit einem politisch vorgezogenen Kohleausstieg, noch mit Tempolimits oder Kurzstreckenflugverboten. Damit täuschen wir uns und der Welt höchstens vor, Vorreiter im Klimaschutz zu sein, doch im Big Picture des Klimawandels sind die Effekte solcher Maßnahmen nicht einmal mit der Lupe zu erkennen. Den globalen Dimensionen des Problems und seiner gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge werden wir nur gerecht, wenn wir stattdessen die folgende Frage stellen: Was ist der größte Beitrag, den wir als kleine aber starke Industrienation im Herzen Europas zum großen Ziel der globalen Klimaneutralität beitragen können?
Nur mit einer sehr guten Antwort auf diese Frage können wir zeigen, dass Klimaschutz und Wohlstand ein echtes Traumpaar sind. Nur so können wir den internationalen Klimadialog entscheidend bereichern, damit sich möglichst viele Länder diese Aufgabe überhaupt zutrauen. Und vor allem können wir nur so eine wirtschaftliche Lage aufrechterhalten, die die nötigen Investitionen in die nötigen Innovationen ermöglicht. Das Gelingen dieser Transformation entscheidet über Erfolg und Misserfolg des globalen Klimaschutzes.
Glücklicherweise sind wir Menschen in Sachen Klimaschutz schon deutlich weiter, als viele von uns glauben, denn den Kern der Antwort haben wir schon parat: die Marktwirtschaft. Mit ihrem bärenstarken Mechanismus aus Angebot und Nachfrage ist sie wie kein anderes System in der Lage, knappe Güter effizient zu verteilen, und genau damit haben wir es beim Klimawandel zu tun: Die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für Treibhausgase ist ein immer knapperes Gut, und wer daraus noch Profit schlagen will, muss mit allen anderen darum konkurrieren – oder klimafreundliche Technologien einsetzen.
Auf exakt jenem Prinzip basiert der Europäische Emissionszertifikatehandel, der EU ETS: Die Politik legt Klimaziele fest, die in Form von Emissionszertifikaten versteigert werden. Und weil das strenge CO2-Limit des ETS regelmäßig gesenkt wird, sinkt das Angebot, die Nachfrage steigt, mit ihr der Preis und schließlich der wirtschaftliche Anreiz für klimafreundliche Technologien. Und das System funktioniert: Jene Sektoren, die seit 2005 zur Teilnahme am ETS verpflichtet wurden, also die Energieproduktion, weite Teile der Industrie und der innereuropäische Luftverkehr, erreichen allesamt ihre Klimaziele. Der ETS beweist hier also, dass Wirtschaftsleistung von der Klimazerstörung entkoppelt werden kann: Obwohl diese Sektoren ihre Aufgaben erfüllen, sinken ihre CO2-Emissionen plangemäß. Leider sind aber weniger als die Hälfte aller europäischen Emissionen dem ETS unterstellt. Alle anderen Sektoren hingegen, also Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft, verfehlen ihre Klimaziele Jahr für Jahr – und teils krachend.
Wenn wir den Klimawandel nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich lösen wollen – und dafür stehen wir als Freie Demokraten, – müssen wir anerkennen, dass er ein umweltpolitisches Problem ist, das aber wirtschaftspolitisch gelöst werden muss. „Die Ausweitung des EU-ETS“, schreiben auch die Wirtschaftsweisen unmissverständlich, „sollte das oberste Ziel aller klimapolitischen Bestrebungen sein.“ Die Streitfrage der „Umweltweisen“ hingegen, ob Deutschland noch 4,2 oder 7,8 oder 10,9 Gigatonnen Treibhausgase emittieren darf, ist fürs Weltklima vollkommen unerheblich.
Keine seriöse Einschätzung kann heute schon sagen, mit welchen Technologien wir am schnellsten und am kostengünstigen in die klimaneutrale Zukunft fahren werden.
Statt uns also in Scheindebatten um Sektorziele oder Subventionspolitik zu verlieren, müssen wir unsere stärkste Klimaschützerin an den Start bringen: die Marktwirtschaft. Nur wenn wir mit dem ETS möglichst alle Akteure des Marktes unter den selben hohen Konkurrenzdruck setzen, haben wir eine Chance darauf, schnell genug die richtigen Lösungen parat zu haben. Die Rolle des Staates hat das Bundesverfassungsgericht kürzlich präzisiert: Die Klimaziele werden politisch festgelegt, darauf hat der Markt keinerlei Einfluss. Wie diese Ziele dann jedoch erreicht werden und wer bis dahin noch CO2 emittieren darf, muss der Staat wiederum dem Markt überlassen – wie ein unparteiischer Schiedsrichter. Es sind abermals die Wirtschaftsweisen, die die Vorteile des ETS unmissverständlich zusammenfassen:
„Durch eine Ausweitung des EU-ETS würden Emissionseinsparungen unabhängig von Sektor oder Mitgliedstaat dort innerhalb des EU-ETS geschehen, wo sie am günstigsten sind. Daher wären die nationalen Ziele für den Nicht-EU-ETS- Bereich nicht mehr relevant, da die Emissionen auf aggregierter Ebene gedeckelt werden. Selbst wenn einzelne Sektoren anfangs aufgrund höherer Vermeidungskosten weniger oder nichts zur insgesamt verwirklichten CO2-Reduktion beitragen würden, wäre dies kein Problem. Vielmehr läge genau darin der Vorteil des Systems, durch das einheitliche Preissignal die Investitionsentscheidungen der Akteure so zu lenken, dass ein volkswirtschaftlich effizienter Reduktionspfad realisiert wird. Dieses umfassende Emissionshandelssystem böte gleichzeitig den Vorteil, dass sich der darin bestimmte CO2-Preis endogen anpassen würde, wenn sich die konjunkturelle Lage verändert.“
Diese „aggregierte Deckelung“ und die „endogene“, also aus eigener Kraft entwickelte Anpassung sind es, die etwa dem Brennstoffemissionshandelsgesetz fehlen: Wer Emissionen nur teurer macht, ihnen aber kein Limit setzt, schießt ins Blaue. Und wer sich zutraut, den richtigen Preis für eine Tonne CO2 zu kennen und politisch festlegen zu können, hat entweder eine Kristallkugel oder überschätzt sich maßlos. Gleiches gilt für die Subventionierung bestimmter Technologien, etwa der Elektromobilität. Keine seriöse Einschätzung kann heute schon sagen, mit welchen Technologien wir am schnellsten und am kostengünstigen in die klimaneutrale Zukunft fahren werden. Deshalb stehen wir Freie Demokraten für ein striktes CO2-Limit und zugleich eine konsequente Technologieoffenheit, weil nur der faire Wettbewerb in der Lage ist, die wirklich besten Technologien hervorzubringen – und angesichts des fortgeschrittenen Klimawandels dürfen wir uns mit zweitbesten Lösungen nicht zufriedengeben.
Um Versorgungssicherheit auf dem Strommarkt, aber auch Flexibilität und konkurrenzfähige Strompreise sicherzustellen brauchen wir ein anderes Strommarktdesign [...]
Die klimapolitische Agenda der FDP ist deshalb glasklar: Der EU-ETS muss schnellstmöglich auf alle Sektoren ausgeweitet werden. Und weil große Probleme große Lösungen erfordern, scheuen wir uns keineswegs davor, groß zu denken. Klimagase kennen keine nationalen Grenzen, weshalb idealerweise die ganze Welt um die letzten CO2-Emissionen konkurrieren muss. Von einem globalen Emissionshandel sind wir klimadiplomatisch noch weit entfernt, zugegeben. Weil er aber das Tempo für die Entwicklung klimafreundlicher Technologien wahnsinnig beschleunigen und zudem alle „Klima-Oasen“ austrocknen würde, in die Unternehmen heute noch flüchten können, leitet er uns als große Vision. Alle jetzigen Bestrebungen müssen auf internationale Anschlussfähigkeit ausgelegt sein. Zudem müssen wir das deutsche Planungsrecht dahingehend ändern, dass entsprechende Umbauten der Wirtschaft auch schnell und unbürokratisch umgesetzt werden können. Schnellere Genehmigungsverfahren sind dabei elementar. Zudem erfordert der klimafreundliche Umbau unserer Wirtschaft deutlich größere Flächen als bisher. Diesen Tatsachen muss die Politik Rechnung tragen, sonst bereiten wir gute Konzepte vor, verhindern aber deren rechtzeitigen Ausbau. Aus dem ETS und einem reformierten Planungsrecht ergeben sich alle weiteren konkreten Maßnahmen, um die sich die Politik dann nicht mehr im Detail kümmern muss – weil die Akteure des Marktes dazu gezwungen werden und die Möglichkeit haben, sie zu entwickeln:
Angesichts steigender Preise für Emissionszertifikate etwa stellt der Ausbau erneuerbarer Energien einen riesigen wirtschaftlichen Vorteil dar, um den sich Unternehmen reißen werden – die milliardenschwere Subventionsmaschinerie Namens „EEG“ ist hingegen längst überflüssig, weil die Erneuerbaren sich locker am Markt behaupten können. Kohleverstromung hingegen hat schon jetzt keine realistische Chance mehr, über das Jahr 2030 hinaus rentabel zu sein. So fördert die Marktwirtschaft also alle klimafreundlichen und verdrängt zugleich die klimaschädlichen Technologien sukzessive vom Markt – ganz ohne weitere staatliche Eingriffe oder Entschädigungszahlungen mit Steuer-Milliarden. Gas muss hingegen als Brückentechnologie genutzt werden, bis die Erneuerbaren zuverlässig genug sind, und der Einsatz von Wasserstoff muss auch dann ermöglicht werden, wenn er nicht von Anfang komplett klimaneutral ist – all das kann der ETS abbilden. Und auch der Verbrennungsmotor wird die Marktwirtschaft noch zu spüren bekommen: entweder er läuft perspektivisch mit klimaneutralen E-Fuels, oder er läuft gar nicht mehr. Im Vorteil hingegen wären Technologien wie CCS, also das Einfangen und Speichern von CO2. Denn bei der Herstellung von Zement etwa lassen sich selbst durch den Einsatz von Wasserstoff nur etwa 35 Prozent der Emissionen vermeiden – die restlichen 65 Prozent und auch viele Gigatonnen in anderen Bereichen werden wir einfangen und speichern müssen. Der Weltklimarat hält CCS in all seinen Szenarien für eine unverzichtbare Technologie, doch in Deutschland wird es nicht nur vollkommen ausgeblendet, sondern ist sogar verboten. Nur wir Freie Demokraten haben bislang konkrete Vorschläge entwickelt, dieses Verbot aufzuheben und die Entwicklung von CCS und Negativ-Emissions-Technologien zu fördern, mit denen der Klimawandel eines Tages sogar umgekehrt werden könnte. Auf der anderen Seite müssen wir die kleinteilige Energie- und Klimapolitik der vergangenen Jahre wieder abbauen: Das unüberschaubare Stückwerk aus Subventionen, Steuern, Abgaben und Umlagen hat eine verheerende Kosten-Nutzen-Bilanz. Um Versorgungssicherheit auf dem Strommarkt, aber auch Flexibilität und konkurrenzfähige Strompreise sicherzustellen brauchen wir ein anderes Strommarktdesign – ein Mammutprojekt, das schnellstmöglich angeschoben werden muss.
Außerdem müssen wir eines begreifen: Deutschlands Energieversorgung kann niemals autark sein. Welche Technologie auch immer wir nutzen werden, wird der Import von Energie aus dem Ausland nötig sein – und das ist auch keinesfalls problematisch, ganz im Gegenteil. Von diesem Handel, den wir mit energiereicheren Ländern schon jetzt und auch weiterhin führen, profitieren immer beide Seiten: Die anderen, weil wir für die Energie bezahlen, und wir, weil es schlicht günstiger ist, als diese Energie „um jeden Preis“ im eigenen Land zu produzieren. Nationalismus ist kleingeistig, und der Klima- und Energie-Nationalismus behindert jeden notwendigen Fortschritt.
Die begründete Zuversicht der liberalen Klimapolitik beruht also auf der Kreativität und der Fähigkeit unserer Spezies, Handel miteinander zu treiben und Krisen zu überwinden. Damit all das verstärkt stattfinden kann, muss die deutsche Klimapolitik nach der Bundestagswahl so schnell wie möglich vom Kopf auf die Füße gestellt werden – also von der Planwirtschaft auf die Marktwirtschaft. Der Klimawandel ist eine Dauerkrise, die wir aktiv und mit viel Engagement überwinden müssen; danach jedoch wird die Welt abermals ein besserer Ort sein. Unsere Vorfahren waren intelligent genug, den Widrigkeiten des „Lebens im Einklang mit der Natur“ zu entfliehen. Als heutige Generation profitieren wir ganz erheblich davon, wissen aber auch um die Schattenseiten dieser Flucht. Jetzt müssen wir unsere Intelligenz dazu einsetzen, Wohlstand ohne negative Nebenwirkungen zu erschaffen. Um die richtigen Technologien dafür zu entwickeln, müssen wir den Erfindergeist der Menschheit beschwören – und das geschieht am besten durch den hohen Konkurrenzdruck der Marktwirtschaft. Unsere Enkel werden uns danken, dass wir uns für das konsequenteste Instrument des Klimaschutzes entschieden haben.
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