Chancen und Grenzen der Ausweitung von Angeboten politischer Partizipation in Deutschland

Gastautor Portrait

Prof. Dr. Christian P. Hoffmann, Dipl.-Ing. Uwe Hitschfeld, Prof. Dr. Astrid Lorenz

Gastautor

Professor Dr. Christian Pieter Hoffmann ist Professor für Kommunikationsmanagement und politische Kommunikation am Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft der Universität Leipzig. Professor Dr. Astrid Lorenz ist Inhaberin des Jean-Monnet-Lehrstuhls Politisches System der Bundesrepublik Deutschland/Politik in Europa am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Uwe Hitschfeld, Diplom-Ingenieur, ist Geschäftsführender Gesellschafter des Hitschfeld Büros für strategische Beratung GmbH, Leipzig.

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11. November 2019

Der Beitrag basiert auf dem Buch „Partizipation für alle und alles? – Fallstricke, Grenzen und Möglichkeiten“, Springer VS, in Druck

Mehr Beteiligung als Trend der Politik

Mit der Erweiterung von Beteiligungsmöglichkeiten reagiert die Politik auf wahrgenommene Akzeptanz- und Legitimationsprobleme bei politischen Vorhaben und deren Umsetzung

Mehr Formen der politischen Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern haben sich heute fast alle politische Akteure auf die Fahnen geschrieben. Die Bandbreite der befürworteten Verfahren und Gegenstände ist dabei sehr groß. Gerade in den Ländern und Kommunen lässt sich dies beobachten. Mit der Erweiterung von Beteiligungsmöglichkeiten reagiert die Politik auf wahrgenommene Akzeptanz- und Legitimationsprobleme bei politischen Vorhaben und deren Umsetzung.

Historisch betrachtet, ist dieser sichtbare „Partizipationsboom“ kein Novum, sondern die Fortsetzung eines langen Trends. Die Geschichte der modernen Demokratie lässt sich als Abfolge einer immer ausgedehnteren Beteiligung erzählen, auch wenn dies keineswegs eine gesetzmäßige und lineare Ausdehnung war. Beispiele für die graduelle Ausweitung von Partizipationsrechten im Bereich des konventionellen Wahlrechts waren die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, des Frauenwahlrechts oder die Etablierung direktdemokratischer Verfahren neben den Organen der repräsentativen Demokratie.

Auch außerhalb der Domäne von Wahlen, Abstimmungen und organisierten Interessenvertretungen etablierte die Politik immer weitere Möglichkeiten der Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern. Zu den heute in der Praxis etablierten Beteiligungsmöglichkeiten zählen zudem Bürgerhaushalte, Schülerparlamente, Migrantenbeiräte, Online-Beteiligungsportale, Bürgerwerkstätten oder Zukunftskonferenzen, öffentlich geförderte Foren der kommunalen Stadtteilselbstorganisation, Einwohnerbefragungen, Mitgliederbefragungen, Urwahlen von politischem Spitzenpersonal in den Parteien oder die Nutzung von liquid democracy.

Der Blick auf die aktuellen politischen Ereignisse lässt dabei den Eindruck aufkommen, es bestehe eine Art „Partizipationsparadox“: Obwohl einerseits auf allen politischen Ebenen die Partizipationsoptionen steigen und mit erweiterten Beteiligungsangeboten experimentiert wird, sinkt andererseits das Vertrauen in politische Prozesse, Akteure oder Institutionen, werden Streiks und Proteste (von „Occupy“ bis „Fridays for Future“) organisiert und mobilisieren Populisten besonders mit der Kritik an aus ihrer Sicht mangelnder Mitsprache der Bürger. Damit koinzidiert die Ausweitung der Möglichkeiten und Angebote überraschenderweise mit einem wahrgenommenen Mangel an Partizipation.

Überhöhter Partizipationsoptimismus?

Der Ton in Beteiligungsformaten ist nicht immer konstruktiv und immer wieder enden die Verfahren letztlich doch in Blockaden oder Gerichtsverfahren

Unter dem Banner des Beteiligungsoptimismus versammelt sich tatsächlich eine große, teils auch diffuse Vielfalt an Haltungen, Erwartungen, Gegenständen und Verfahren. Mal ist der Ruf nach Partizipation ein sozial akzeptierter Ausdruck (mehr oder weniger reflektierter) politischer Unzufriedenheit, mal handelt es sich um den pragmatischen Wunsch, ein Projekt auf effiziente Weise seinem Ziel zuzuführen, in anderen Fällen wiederum geht es um den ernst gemeinten Versuch, das politische System grundlegend weiterzuentwickeln. Alle diese Ausprägungen sind mit einer Reihe spezifischer Herausforderungen verbunden: überzogene Erwartungen, mangelnde Sachkenntnisse oder fehlende politische Kompetenzen, sachliche Überforderung, Misstrauen oder Zynismus, Widerstände und Konflikt.

Bei vielen Praktikern und in der Wissenschaft ist daher ein gewisses Innehalten und eine neue Nachdenklichkeit zu beobachten. Denn in der Praxis werden die vorhandenen Instrumente politischer Partizipation oft nur schwach genutzt und manche sozialen Gruppen sind trotz der Chance zur Beteiligung stärker unterrepräsentiert als bei Wahlen. Die Kehrseite eines verbreitet geringen Partizipationsinteresses ist die Überrepräsentation von Höhergebildeten, Älteren, Männern, gut organisierten Interessengruppen und politischen Minderheiten.

Der Ton in Beteiligungsformaten ist nicht immer konstruktiv und immer wieder enden die Verfahren letztlich doch in Blockaden oder Gerichtsverfahren. Werden Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern nicht sofort umgesetzt, führt dies oft zu Frustration und dem Eindruck, übergangen zu werden, obwohl Vorgaben der repräsentativen Demokratie oder die Gesetzeslage eine solche nicht umstandslose Umsetzung nicht selten begründen.

Mehr Partizipation ist kein Allheilmittel für die Demokratie

Partizipation ist vor allem dort sinnvoll und zielführend, wo Entscheidungsräume klar und sachdienlich definiert wurden

Der Begriff „Partizipation“ impliziert eine Breite, die das tatsächlich eingesetzte Verfahren häufig gar nicht bietet – daher resultieren Verfahren der Beteiligung auch nur bedingt in Entscheidungen mit gesteigerter Legitimität. Vor dem Hintergrund realer Partizipationserfahrungen zeigt sich: Die Breite der Beteiligung und damit Legitimität repräsentativer Regierung oder einer Verwaltung mag verbesserungsfähig sein, steht aber jener partizipativer Verfahren keineswegs nach, im Gegenteil. Häufig sind es tatsächlich auch nicht Mehrheiten, sondern vielmehr lautstarke Minderheiten, die nach „mehr Partizipation“ rufen. Ihnen umstandslos Partizipationsformate anzubieten, ist mit der Gefahr verbunden, die Legitimität von Entscheidungen sogar zu senken, eine Art Macht der lautesten Stimmen zu etablieren.

Beobachter sollten daher nicht von einem wahrgenommenen Mangel an Akzeptanz unmittelbar auf einen Mangel an Partizipation schließen. Auch in Verfahren, die sich durch einen hohen Grad an Transparenz und Beteiligung auszeichnen, kann es unterlegene Minderheiten geben, die ihrem Unmut Ausdruck verleihen. Bisweilen befinden sich solche Minderheiten auch in Echokammern, die ihnen den Blick auf die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse versperren.

Unter dem normativen Druck verbreiteter Partizipationsbegeisterung kommt es in der politischen Praxis immer wieder zu Verfahren, die eben keineswegs einer Weiterentwicklung des Gesellschaftssystems dienen, sondern als Mittel zum Zweck: um ein Projekt durchsetzen zu können, Reputationssicherung zu betreiben oder eben eine Akzeptanzsteigerung zu erreichen. Partizipation ist jedoch keine „Währung“, die in Akzeptanz eingetauscht werden kann. Im Gegenteil, gerade auch instrumentelle Partizipation kann erhebliche Widerstände auslösen und die Legitimation eines Vorhabens letztlich schwächen.

Die Erfahrung der vergangenen Jahre lehrt: Partizipation ist vor allem dort sinnvoll und zielführend, wo Entscheidungsräume klar und sachdienlich definiert wurden (wenn also bspw. zwei gleichermaßen gangbare Optionen bestehen, zwischen denen gewählt werden kann). So ergänzt Partizipation auf konstruktive Weise etablierte politische Entscheidungsprozesse, die sich bereits durch ein hohes Maß an Beteiligung und Legitimität auszeichnen, ersetzt diese aber nicht.

Entscheidungsräume zu gestalten und eröffnen ist und bleibt wiederum Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Verwaltung – eine Verantwortung, die nicht vorschnell in partizipativen Verfahren an weitere Akteure delegiert werden kann, ohne zu Überforderung, Ineffizienz oder Konflikt beizutragen. Partizipation funktioniert vor allem dann gut, wenn Bürgerinnen und Bürger gut organisiert und die Zivilgesellschaft stark und lebendig sind. Mehr Beteiligung erwächst somit – erneut ein scheinbares Paradox – aus gelingender Beteiligung. Das politische System muss an und mit den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürgern wachsen. „Mehr Partizipation“ ist dabei kein Allheilmittel – kann aber, mit Bedacht und gezielt eingesetzt, einen konstruktiven Beitrag leisten.

Über die Autoren

Prof. Dr. Christian P. Hoffmann

Professor für Kommunikationsmanagement, Universität Leipzig

Prof. Dr. Christian P. Hoffmann ist Professor für Kommunikationsmanagement am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Darüber hinaus verantwortet er am Institut für Politikwissenschaft die Lehre im Bereich der politischen Kommunikation. Hoffmann ist akademischer Leiter des Center for Research in Financial Communication. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des strategischen Kommunikationsmanagements, der Finanzkommunikation und der politischen Kommunikation – mit besonderer Berücksichtigung der Herausforderungen und Chancen neuer Medien.

Dipl.-Ing. Uwe Hitschfeld

Geschäftsführender Gesellschafter, Hitschfeld Büro für strategische Beratung GmbH

Uwe Hitschfeld, Dipl.- Ing, Geschäftsführender Gesellschafter von Hitschfeld Büro für strategische Beratung GmbH sowie Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig und der HTWK – Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Das Büro Hitschfeld beschäftigt sich mit den Themenfeldern Akzeptanz, Partizipation und strategische Kommunikation.

Prof. Dr. Astrid Lorenz

Professorin für das Politische System der Bundesrepublik Deutschland und Politik in Europa, Universität Leipzig

Prof. Dr. Astrid Lorenz ist Professorin für das Politische System der Bundesrepublik Deutschland und Politik in Europa an der Universität Leipzig, Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie und Direktorin des Instituts für Politikwissenschaft. 2018/19 war sie Mitglied des Expertengremiums des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zum Bürgerdialog „Miteinander reden! – Bürgerwerkstatt“ (nominiert für den Innovation in Politics Award 2019 in der Kategorie „Demokratie“) und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats zum Bürgerrat Demokratie von Mehr Demokratie e.V. Darüber hinaus ist sie Vorstandsvorsitzende des Sächsischen Kompetenzzentrums Landes- und Kommunalpolitik (SKLK).

Foto: Christian Hüller

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