Die Bioökonomie als Baustein für eine sozial-ökologische Transformation?

Gastautor Portrait

Dr. Steffi Ober und Vivienne Huwe

NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V

Dr. Steffi Ober ist als Teamleiterin für den Bereich Ökonomie und Forschungspolitik im NABU tätig, dem ältesten und mitgliederstärksten Naturschutzverbands Deutschlands. Sie ist die Initiatorin und Co-Sprecherin der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende, die das Wissen und den Austausch zivilgesellschaftlicher Organisationen zu Forschung und Innovation vorantreibt. Dr. Steffi Ober ist promovierte Tierärztin mit einem Master in Public Policy der Humboldt-Viadrina School of Governance. Von 1998 bis 2002 war sie die Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Rheinland-Pfalz. Sie ist Gastdozentin an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Vivienne Huwe ist als Referentin für Bioökonomie im NABU tätig. Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie tätig, wo sie regionale Wertschöpfungspotentiale der Bioökonomie erforschte und die Netzwerkbildung hierfür relevanter Unternehmen vorantrieb. Sie hat einen Master in Biotechnologie und Angewandter Ökologie von der TU Dresden.

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23. Juni 2021

NABU-Studie eröffnet Perspektiven und macht konkrete Vorschläge für eine zukunftsfähige Bioökonomie

Vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels, dem zunehmenden Verlust an biologischer Vielfalt, einem Ressourcenverbrauch auf hohem Niveau und einer stetig wachsenden Weltbevölkerung stehen wir als Gesellschaft vor der bisher nie gekannten Notwendigkeit, unsere Wirtschaft, Lebensweisen und Konsumgewohnheiten drastisch und willentlich zu verändern.

There is no planet B

Das im Jahr 2009 von Rockström und Kolleg*innen entwickelte Modell der Planetaren Belastungsgrenzen führt uns die Dringlichkeit eines Wandels anhand der neun wichtigsten Aspekte globaler Umweltveränderungen vor Augen (Rockström et al. 2009). Die planetaren Grenzen mahnen uns, dass wir über unsere Verhältnisse wirtschaften. Alle im Modell identifizierten Prozesse sind voneinander abhängig und können sich gegenseitig beeinflussen. Insbesondere in den Bereichen genetische Vielfalt, biogeochemische Stoffkreisläufe und Landnutzungswandel wurden die sicheren Handlungsräume bereits stark ausgereizt oder gänzlich überschritten. Die fossile Wirtschaft befeuert den Klimawandel, CO2 neutrale Alternativen sind gefragt. Kein Wunder, dass zahlreiche europäische und nationale Politikstrategien und Aktionspläne die Lösung in der Bioökonomie suchen, um die CO2– und Klimabilanz zu verbessern sowie den Verbrauch fossiler Ressourcen zu verringern. Im Vordergrund stehen dabei auf biomasse-basierende technologische Lösungen und wettbewerbsfähige Wirtschaftsmodelle.

Haben wir genug Fläche für die Bioökonomie?

Abbildung 1: Globale Flächenverteilung, die für die Produktion von Futter- und Lebensmitteln beansprucht wird.

aus BirdLife Report 2021, S. 9

Unter dem Begriff Bioökonomie versteht man im Allgemeinen ein auf nachwachsenden Rohstoffen basierendes Wirtschaftssystem, das darauf abzielt, einen Großteil der weltweit verwendeten fossilen Rohstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas zu ersetzen. Als alternative Ausgangsstoffe können dabei nicht nur Pflanzen und Holz eingesetzt werden – sondern auch organische Reststoffe, Mikroorganismen, Algen oder Insekten. Mit diesem Substitionsansatz wird suggeriert, dass die mit dem Verbrauch fossiler Rohstoffe einhergehenden ökologischen Probleme reduziert werden können. Doch der weltweite Druck auf die Flächen, der zwangsläufig mit der Ausweitung der Bioökonomie einhergeht, wird die bereits bestehenden sozialen wie ökologischen Probleme einer nicht nachhaltigen Landnutzung weiter verstärken. Ein neuer Bericht der Naturschutzorganisation BirdLife Europe, dem Dachverband des NABU, stellt die negativen Auswirkungen der vielfältigen Anforderungen an die Landnutzung dar. Abb. 1 verdeutlicht eindringlich, wie viel Landfläche durch die Futter- und Nahrungsmittelproduktion global beansprucht wird.

Das Ergebnis: Schon heute wirtschaften wir auf bis zu 60 % der fruchtbaren Flächen der Erde und setzen diese gleichzeitig einem stetig steigenden Nutzungsdruck aus. Wenn zukünftig immer mehr Agrarflächen in Anspruch genommen werden, um neben Lebens- und Futtermitteln auch Rohstoffe für bioökonomische Anwendungen zu produzieren, sind nicht nur unsere natürlichen Lebensräume und Ökosysteme bedroht – es entstehen auch zusätzliche CO2-Emissionen. Diese Entwicklung muss umkehrt werden, natürliche Kohlenstoffsenken wie Wälder, Moore und Grasland gesichert und ausgeweitet werden, um den voranschreitenden Klimawandel und das Artensterben zu bremsen

Die Möglichkeiten der Bioökonomie für eine sozial-ökologische Transformation nutzen

Tabelle 1: Heutige Biomassenutzung und nachhaltiges Potenzial in Deutschland (farbliche Markierung: rot für zu reduzierenden Verbrauch, grün für verfügbare Potenziale) (Fritsche et al. 2021, S. 24)

Die Bioökonomie bietet auch eine Reihe von Chancen. So ist sie das einzige Wirtschaftssystem, welches einerseits die Produktion von gesunden Futter- und Lebensmitteln, Gebrauchsgegenständen oder Baumaterialien ermöglicht und andererseits lebensnotendige Ökosystemleistungen, wie Bestäubung, Kohlenstoffspeicherung, Luftfiltration und Mikroklimaregulierung bereitstellen und fördern kann.

Die Kurzstudie des Internationalen Institut für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien (IINAS) stellt im Auftrag des NABU ein Konzept für die Umsetzung einer zukunftsfähigen Bioökonomie im europäischen und globalen Kontext vor. Grundvoraussetzung ist dabei die Einhaltung der planetaren Grenzen und die strenge Berücksichtigung der UN-Nachhaltigkeitsziele.

Ein genauerer Blick auf die Studie lohnt sich, denn es wird deutlich, dass zwar nachhaltige Potenziale für bioökonomische Konzepte vorhanden sind, aber nur wenn unser Umgang mit biogenen Ressourcen grundlegend verändert wird.

Der Studie zufolge übernutzen wir derzeit unsere natürlichen Ressourcen um mehr als 16 %, sodass wir zunächst unseren Verbrauch drastisch reduzieren müssen. Dies betrifft insbesondere landwirtschaftlich angebaute Biomasse sowie die Holzernte (siehe Tabelle 1). Zukünftig zu erschließende Rohstoffpotenziale liegen dahingegen in der verstärkten Nutzbarmachung von biogenen Reststoffen aus Kommunen, der verarbeitenden Industrie sowie aus der Land- und Forstwirtschaft (Fritsche et al. 2021, S. 24).

Der Transformationsprozess hin zu weniger Verbrauch und mehr Nachhaltigkeit erfordert dabei auf der technischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Ebene ganzheitliche Innovationen. Ein grundlegender gesellschaftlicher Wertewandel und eine Transformation unserer Produktions- und Konsummuster sind dafür unabdingbar.

Wir müssen unserer etablierten Biomasseproduktions- und -verarbeitungsweisen grundlegend ändern und:

  1. die Planetaren Grenzen in maximale Biomassemengen übersetzen
  2. konventionelle Ernährungs- und Konsumgewohnheiten umstellen
  3. effiziente Nutzungsstrategien etablieren (bspw. stufenweise Mehrfachnutzung bereits entnommener Rohstoffe, etwa von Neben- und Abfallprodukten (Kaskaden) und Recycling)
  4. Anbausysteme, die die Artenvielfalt fördern, vorantreiben
  5. marginaler Standorte für den Anbau mehrjähriger Kulturen nutzen

Unser Rechtsrahmen hängt allerdings noch im letzten Jahrhundert fest.

Dr. Steffi Ober und Vivienne Huwe

Darüber hinaus müssen wir das bioökonomische Wissensverständnis erweitern. Neben den technologischen Fertigkeiten muss gemeinsam mit der Gesellschaft ein gemeinsames Verständnis entwickelt werden, wie wir nicht-nachhaltige Verfahren und Verhaltensweisen verändern können. Soziale Innovationen wie Sharing-Konzepte, Unverpackt-Läden, Netzwerke der solidarischen Landwirtschaft, frei-zugängliche Räume für Urban Gardening oder nachbarschaftliche Repair-Cafés können Ansatzpunkte für ein gelingendes Miteinander sein. Nur gemeinsam werden wir eine „BioWEconomy“ entwickeln, eine Bioökonomie, die von uns allen mitgestaltet und gelebt wird. Hierzu gehören Kunst und Kultur ebenso wie Wissenschaft und Wirtschaft.

Unser Rechtsrahmen hängt allerdings noch im letzten Jahrhundert fest. Die Umsetzung von wichtigen Nachhaltigkeitsmaßnahmen, wie etwa bei der Reststoffnutzung, der Realisierung von Bauvorhaben, oder dem Biodiversitätsschutz in der Forst- und Landwirtschaft, müssen integrierend gesteuert werden. Deshalb wird erst ein neuer Rechtsrahmen eine nachhaltige Bioökonomie ermöglichen – eine wichtige Herausforderung für die nächste Legislaturperiode.

Anmerkung der Redaktion: Die vollständige Studie und weitere Informationen finden Sie auf der Website des NABU.

Literatur

BirdLife Report (2021): Burn or Restore: Meeting competing demands for land in the best way for nature, the climate and human needs. https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/biooekonomie/210525-nabu-birdlife-land_use_report.pdf

Rockström et al. (2009): Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating Space for Humanity. In: Ecology and Society 14 (2) (32).

Fritsche, U., Eppler, U., Ribak, S. (2021): NABU-Studie: Zukunftsfähige Bioökonomie
https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/biooekonomie/210505_nabu-iinas_biooekonomie-studie.pdf

Über die Autor*innen

Dr. Steffi Ober

Teamleiterin für den Bereich Ökonomie und Forschungspolitik, NABU

Dr. Steffi Ober ist als Teamleiterin für den Bereich Ökonomie und Forschungspolitik im NABU tätig, dem ältesten und mitgliederstärksten Naturschutzverbands Deutschlands. Sie ist die Initiatorin und Co-Sprecherin der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende, die das Wissen und den Austausch zivilgesellschaftlicher Organisationen zu Forschung und Innovation vorantreibt. Dr. Steffi Ober ist promovierte Tierärztin mit einem Master in Public Policy der Humboldt-Viadrina School of Governance. Von 1998 bis 2002 war sie die Landes­vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Rheinland-Pfalz. Sie ist Gastdozentin an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.

Foto: Daniel Flaschar

Vivienne Huwe

Referentin für Bioökonomie, NABU

Vivienne Huwe ist als Referentin für Bioökonomie im NABU tätig. Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie tätig, wo sie regionale Wertschöpfungspotentiale der Bioökonomie erforschte und die Netzwerkbildung hierfür relevanter Unternehmen vorantrieb. Sie hat einen Master in Biotechnologie und Angewandter Ökologie von der TU Dresden.

Foto: Sevens & Maltry

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