Fokus Kernenergie: Zehn Jahre Kernkraftausstieg bei der EnBW – eine Zwischenbilanz

Gastautor Portrait

Jörg Michels

Vorsitzender der Geschäftsführung der EnBW Kernkraft GmbH

Jörg Michels ist seit dem Jahr 2012 Vorsitzender der Geschäftsführung der EnBW Kernkraft GmbH und leitet dort das Ressort Rückbau. Die EnBW ist in Baden-Württemberg für Betrieb, Nachbetrieb, Stilllegung und Abbau der fünf Kernkraftwerke in Philippsburg, Neckarwestheim und Obrigheim verantwortlich. Nach Abschluss seines Studiums der Elektrotechnik an der Technischen Universität Karlsruhe arbeitet er seit über 25 Jahren im kerntechnischen Bereich und hatte dort verschiedene Führungsfunktionen inne. Darüber hinaus ist er Mitglied im Vorstand des Branchenverbandes VGB Power Tech und Governor im Paris Center der World Association of Nuclear Operators (WANO).

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10. März 2021

Jörg Michels ist Geschäftsführer der EnBW Kernkraft GmbH und zusammen mit rund 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an drei Standorten verantwortlich für den sicheren und zügigen Rückbau der Kernkraftwerke des Unternehmens. Im Interview, welches wir anlässlich unserer Beitrags-Serie zum Thema Kernkraftausstieg zehn Jahre nach Fukushima veröffentlichen, gibt er Rück- und Ausblicke.

Redaktion: Herr Michels, wie ist die EnBW mit dem plötzlichen Kernkraftausstieg umgegangen?

Michels: Die Kernenergie wurde in Deutschland schon immer kontrovers diskutiert – auch vor Fukushima. Als dann die Ereignisse von Fukushima eintraten, war für uns vollkommen klar, dass sich das Thema Kernenergie in Deutschland erledigt hat. Wir haben sehr schnell eine Vision entwickelt und unsere klare Strategie „direkter, sicherer Rückbau“ für unsere fünf Blöcke. Ebenso galt es, Pläne für den Aufbau der zusätzlichen Infrastruktur, die dafür notwendig ist, zu entwickeln – und diese Pläne rasch in die Tat umzusetzen. Bei den anschließenden Genehmigungsverfahren haben wir diese Strategie dann sehr konsequent umgesetzt. Dabei haben wir von Anfang an auf unser erfahrenes Personal mit seinem ausgeprägten Wissen über unsere Anlagen gesetzt. Das war auch einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren, der bis heute eine wichtige Rolle für den schnellen und sicheren Rückbau spielt.

Redaktion: Was hat die EnBW in den zehn Jahren, die seither vergangen sind, gemacht?

Michels: Entsprechend unserer Strategie sind wir direkt in die Planung und Vorbereitung für die Genehmigungsverfahren für den Rückbau unserer Einserblöcke eingestiegen. So ein Genehmigungsverfahren erfordert enormen Aufwand auf unserer Seite. Es braucht ein bis zwei Jahre, um alle Unterlagen zusammenzustellen und dann einen Antrag zu stellen. Und danach schließen sich noch mal erfahrungsgemäß drei bis vier Jahre Begutachtung und Prüfung durch die Aufsichtsbehörde und ihre unabhängigen Gutachter an.

Wir erhielten 2017 die ersten Abbau-Genehmigungen zur Stilllegung für unsere beiden Einserblöcke. Also nach sechs Jahren Vorbereitungszeit durften wir dann endlich mit dem Rückbau loslegen.

Unser Rückbau-Pionier ist allerdings Obrigheim: Dort befanden wir uns bereits seit 2008 im Rückbau. In 2017 waren wir dort mit der Zerlegung des Reaktordruckbehälters – dem ehemaligen Herzen der Anlage – fertig. Also neun Jahre, nachdem wir mit dem Rückbau dort gestartet hatten.

In Philippsburg 1 und Neckarwestheim I – obwohl das größere Anlagen sind – sind wir bereits nach vier Jahren dabei, die Reaktordruckbehälter zu zerlegen. Daran kann man sehen, dass wir viel gelernt und auch Synergien zwischen den Anlagen genutzt haben. Und dass unser Personal auch zusätzliche Erfahrungen gesammelt hat, die jetzt den Rückbau jetzt – bei gleicher Sicherheit – effizienter und schneller ermöglichen.

Redaktion: Wo steht die EnBW heute – welche Zwischenbilanz ziehen Sie?

Michels: Wir sind heute mit vier unserer fünf Blöcke im Rückbau und dabei teilweise weit fortgeschritten. Und auch die fünfte Anlage ist in diesem Rückbauprozess schon dahingehend einbezogen, dass wir die Stilllegungs- und Abbaugenehmigung für diese Anlage bereits 2016 beantragt haben und der Genehmigungsprozess weit gediehen ist.

Wenn man Bilanz zieht, waren wir bundesweit mit vielen Themen Erster und haben damit Meilensteine gesetzt. Neckarwestheim I war die Erste der Anlagen, die nach Fukushima bundesweit vom Netz gingen, in der mit dem Rückbau gestartet wurde. Wir waren die Ersten, die Castor-Transporte auf einem deutschen Binnengewässer durchgeführt haben. Wir waren die Ersten, die eine Komplettgenehmigung erhalten haben, nämlich für den Abbau der Anlage Philippsburg 2. Gleichzeitig war das das erste Mal, dass in Deutschland die Rückbaugenehmigung noch vor Abschaltung der Anlage vorlag. Und – auch wenn das kein Rückbau-Vorhaben im engeren Sinne war – wir waren die Ersten, die an einem Kernkraftstandort zwei Kühltürme gesprengt haben. Man kann also sagen: Wir sind bei vielen Themen in Fragen des Rückbaus sehr zukunftsorientiert unterwegs und unser Team kann stolz darauf sein, was sie da in den letzten zehn Jahren geleistet hat

Redaktion: Welche Herausforderungen liegen noch vor Ihnen?

Michels: Eine große Herausforderung wird es sein, für unsere Anlage in Obrigheim, in der der Rückbau schon sehr weit fortgeschritten ist, bis Mitte der 2020er Jahre die Entlassung aus dem Atomgesetz zu erwirken. Das wird dann wieder unser Pionier sein. In Obrigheim diskutieren wir gerade diese gesamten Verfahrensweisen mit Gutachtern und Behörde und werden diese Verfahrensweise dann auch auf unsere anderen vier Blöcke in Philippsburg und Neckarwestheim übertragen.

Eine große Herausforderung beim Rückbau ist übrigens auch die gesamte Logistik. Das ganze Material, das dort im Rahmen des Abbaus bewegt wird, zu beherrschen, bedeutet, dass wir mittlerweile in Teilen auch ein Logistikunternehmen geworden sind. Das ist eine hochinteressante Herausforderung, neben dem Projektmanagement und der Rückbau-Abwicklung auch diese Materialflüsse zu steuern und zu beherrschen. Wir freuen uns darauf, in den nächsten Jahren weiterhin in all diesen Bereich erfolgreich unterwegs zu sein.

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