Wie wird die Energiewende sozial(er)?

Gastautor Portrait

Andreas Jahn

Senior Associate, The Regulatory Assistance Project

Andreas Jahn ist seit April 2012 als Senior Associate bei der unabhängigen, globalen Denkfabrik Regulatory Assistance Project (RAP) in Berlin tätig. Als Teil des RAP EU Teams arbeite er zu deutschen und europäischen Regulierungsthemen der Stromgroßhandels- und Endkundenmärkte. Dazu gehören Studien und Politikempfehlungen für das Marktdesign, die Stromnetzentgelte, wie auch die Integration der Elektromobilität oder die Wärmenutzung unter volkswirtschaftlichen und sozialen Aspekten. Vorher hat er fünf Jahre das Regulierungsmanagement und die Energiepolitik bei lekker Energie, der vormaligen Nuon Deutschland verantwortet und die Anfänge der Netzregulierung zusammen Bundesverband neuer Energiewirtschaft (bne) über 3 Jahre mitgestaltet. Als studierter Diplomingenieur für Umweltschutz nahm Andreas Jahn ab 2000 mit der Liberalisierung des Energiemarktes energiewirtschaftliche Aufgaben als Manager des Netzzugangs beim Grünstromversorger Lichtblick wahr, bevor er für ein Jahr einer Arbeitsgruppe zur Verbesserung des Wettbewerbs im Bundeswirtschaftsministerium angehörte.

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17. Oktober 2022
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Ein Haushalt gilt zumeist dann als von Energiearmut betroffen, wenn von dem verfügbaren Einkommen mehr als zehn Prozent für eine angemessene Energieversorgung aufgewendet wird – eine allgemeingültige Definition gibt es dafür jedoch nicht. In Deutschland hat man es bisher abgelehnt, einen direkten Bezug zwischen Energieversorgung und sozialen Belangen herzustellen. Ersteres ist wettbewerblich organisiert, soziale Aspekte sollen über die davon separierte Sozialpolitik aufgefangen werden. So werden die Heizkosten für Bezieher:innen von Grundsicherungen übernommen. Sozialtarife in der Energieversorgung gab und gibt es hingegen nicht. Das Gegenteil war sogar der Fall: 2021 mussten durch Insolvenzen von Wettbewerbern Grundversorgungstarife stark angehoben werden. Diese erhöhten Tarife mussten auch von solchen Kund:innen getragen werden, die infolge von Bonitätsproblemen nicht aus der Grundversorgung wechseln konnten. Letztendlich schob das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz dieser Unausgewogenheit mit einer gesplitteten Grund- und Ersatzversorgung einen Riegel vor. Schon im Oktober 2021 zahlten die Verbraucher:innen in NRW für die Grundversorgung mit Strom 42 Cent pro Kilowattstunde, für die Grundversorgung mit Gas 15 Cent pro Kilowattstunde.

Bezüglich der sozialen Aspekte der Energiewende beziehungsweise Energieversorgung ist zu differenzieren: Im Stromsektor ist die Höhe des Verbrauchs mehr durch das verfügbare Einkommen und den Energieträger für das Heizen (Wärmepumpe, Nachtspeicherheizung) bestimmt. Im Wärmebereich hat der energetische Zustand des Gebäudes hingegen einen signifikanten Einfluss. Da Haushalte mit niedrigen Einkommen jedoch meist zur Miete wohnen, haben sie auf die Dämmung und Heiztechnik des Gebäudes keinen Einfluss. Sowohl aus Perspektive des Energieverbrauchs als auch aus sozialen Aspekten ist es daher geboten, die energetisch schlechtesten Gebäude vordringlich zu sanieren. Dafür braucht es neben der Förderung jedoch auch eine langfristige Planungspflicht bei den Eigentümer:innen. In Frankreich wird diese beispielsweise über energetische Mindeststandards erreicht.

Energiearmut bis weit in die Mittelschicht

Somit werden Mieter:innen frühesten 2023 mit der 2022er-Abrechnung die Kostenexplosion erfahren, wenn nicht sogar erst im Jahr 2024.

Andreas Jahn

Durch den Angriffskrieg auf die Ukraine und die in dessen Folge wesentlich teureren Gasimporte verschärft sich die soziale Situation zusehends. Schon im Mai 2022 fielen 25 Prozent der Haushalte hierzulande unter die oben genannte Definition der Energiearmut. Mit den weiter gestiegenen Großhandelspreisen ist dies kein Problem, das eine Minderheit am unteren gesellschaftlichen Rand betrifft – Energiearmut ist oder wird zu einem Problem bis weit in die Mittelschicht. Die Gas- und Strompreise im Großhandel werden für 2023 und auch für 2024 bei einem Mehrfachen der vergangenen Jahre liegen. Im Moment spiegeln die Endkund:innenpreise noch nicht wider, dass sie auf eine Verdopplung der vormaligen durchschnittlichen Stromtarife von bisher 30 Cent pro Kilowattstunde für die Endkund:innen hinauslaufen könnten. Beim Gas ist die prozentuale Steigerung sowohl im Großhandel als auch im Endkund:innentarif wesentlich größer, da der Anteil der Abgaben und Umlagen geringer ist als im Stromsektor. Bei Bewohner:innen von Eigenheimen sowie Stromkund:innen kommen die Preissteigerungen in der Regel innerhalb eines Jahres an. Bei vermietetem Wohnraum erfolgt die Nebenkostenabrechnung jedoch wesentlich später. Die aktuellen Preise werden sich erst bis Ende des Winters in den Bestandstarifen niederschlagen. Somit werden Mieter:innen frühesten 2023 mit der 2022er-Abrechnung die Kostenexplosion erfahren, wenn nicht sogar erst im Jahr 2024.

Dadurch wird das Problem nicht geringer, es verschafft uns aber etwas Zeit, um effiziente und zielgenaue Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Diese Krise verdeutlicht grundsätzlich, dass wir zu viel Gas und fossil erzeugten Strom verbrauchen, weil wir uns die Kosten durch günstige russische Importe schöngerechnet haben. Die dringend notwendigen sozialen und Sparmaßnahmen sollten daher weder Preise noch Kosten überdecken, da diese fundamental sind, um die Verbräuche dauerhaft zu senken. Klar ist, eine umfängliche staatliche Kompensation ist schon wegen des enormen Umfangs nicht möglich. Entsprechend werden drei maßgebliche Ansätze diskutiert:

  • In einigen EU-Mitgliedsstaaten und auch in Deutschland wurde der Preisbildungsmechanismus des Stromgroßhandels als Ursache der Preise identifiziert. Dieser hat sich jedoch über 20 Jahre als sehr effektiver Mechanismus für den Einsatz der günstigsten Kraftwerke bewährt. Eingriffe sollten deshalb nur temporär und an klare Kriterien gebunden sein und EU-weit erfolgen, um Verwerfungen und Risiken zu minimieren, wie RAP hier vorschlägt. Tatsache ist in dieser Debatte jedoch, dass einige Erzeuger erhebliche Zusatzgewinne erzielen. Diese hoheitlich abzuschöpfen, beispielsweise über eine Übergewinnsteuer oder bei Neuanlagen über Contracts for Difference (CfD) von Vornherein zu vermeiden, ist ein Ansatz, der in Betracht gezogen werden sollte. Insbesondere, wenn diese Einnahmen direkt wieder den Verbraucher:innen zugutekommen, wie in Spanien über den kostenlosen ÖPNV
  • Entlastungen bei der Einkommensteuer sind ebenfalls ungeeignet, um die sozialen Probleme zu bekämpfen, da die vulnerablen Verbraucher:innen ohnehin nur eine unterdurchschnittliche Einkommenssteuer entrichten; Rentner:innen, Studierende oder Arbeitslose sind komplett befreit.
  • Ein vergünstigter Grundbedarf/-sockel für alle Verbraucher:innen soll nun eingeführt werden. Dabei soll pauschal, nach Haushaltsgröße oder Letztjahresverbrauch, ein prozentualer Anteil bezuschusst werden, sodass die Kosten hierfür gering beziehungsweise auf dem Vorkrisenniveau bleiben würden. Oberhalb des Sockels bliebe durch hohe Marktpreise ein starker Sparanreiz erhalten. Da vulnerable Verbraucher:innen oft in energetisch ungünstigen Gebäuden mit hohen Verbräuchen leben, könnten diese nur über den Bezug zum Letztjahresverbrauch entlastet werden. Sofern aber schon damals aus Kostengründen kaum geheizt wurde, würde ein Zuschuss für diese Verbraucher:innen die Lage nicht entspannen. Je nach Ausgestaltungsansatz könnten Verbraucher:innen, die bisher mehr geheizt haben oder in besseren Gebäuden wohnen, überproportional profitieren. Je mehr Mitnahmeeffekte vermieden werden sollen, desto komplexer wird das System jedoch. Beispielsweise haben Versorger keine Daten über den Wärmeverbrauch einzelner Parteien in Mietshäusern mit Zentralheizungen, diese sind nur den Vermietenden über die Nebenkostenabrechnung bekannt.

Kombinierte Maßnahmen gegen die sozialen Folgen

Um die enormen sozialen Folgen, die mit der Gaskrise auf uns zu rollen, effizient und effektiv anzugehen, sind mehrere Aspekte und Komponenten zu betrachten. Obwohl Kombinationen nicht immer widerspruchsfrei sind, lassen sich durch Kombinationen größere Wirkungen erzielen:

  • Einsparanreize möglichst erhalten. Das heißt, Preisgrenzen sollten vermieden werden und Direktzahlungen sind gegenüber Rabatten auf Energiemengen zu priorisieren.
  • Die schwächsten Kund:innen sollten trotzdem über subventionierte Tarife und/oder ein Grunddeputat wie die volle Heizkostenübernahme bei Bezug der Grundsicherung aufgefangen werden.
  • Deutschland liegt in der EU beim Smart Meter Rollout inzwischen auf dem letzten Platz. Um Verbraucher:innen Preise kurzfristig zu mitzuteilen und zeitvariable Tarife zügig verfügbar zu machen und die Kosten für alle zu verringern, braucht es (endlich) eine finale Definition der Smart Meter sowie eine breit angelegte Markteinführung dieser intelligenten Messsysteme.
  • Neuausrichtung der Grundversorgung: Um die Mitnahmeeffekte der heutigen Regelung als auch eine aufwendige Preiskontrolle zu vermeiden, sollten (regionale) Ausschreibungen eingeführt werden.
  • Um der Kopplung von sozialen Aspekten in der Energieversorgung gerecht werden zu können, sollte der Begriff Energiearmut rechtlich definiert werden. Zukünftig können Maßnahmen oder Zahlungen daran geknüpft und damit sehr zielgenau ausgestaltet werden.
  • Für die Beschleunigung der energetischen Renovierung im Wohnungsbestand braucht es neben der Förderung auch eine Pflicht bei Vermietung und starke Anreize beim Eigentumsübergang über eine progressive Grunderwerbsteuer.
  • Die Gegenfinanzierung sollte primär durch Steuern auf Zufallsgewinne und gegebenenfalls höhere Preise bei hohem Verbrauch erfolgen.

Die zeitliche Verzögerung der Betroffenheit der Endverbraucher:innen hatte uns etwas Luft verschafft. Inzwischen sind sukzessiv immer mehr Bürger:innen betroffen, sodass die Maßnahmen sehr bald greifen müssen. Allein die Diskussion über (geeignete) Maßnahmen verschlingt viel Zeit. Beschluss und Einführung werden noch hinzukommen. Die schwierigen Fragen dahinter sind: Wie weit geht die Bereitschaft, Kosten umzuverteilen? Und was verstehen wir unter einer gerechten Energiewende beziehungsweise gerechten Gesellschaft? Sich dabei auf den eigenen Besitzstand zu fokussieren, führt nicht aus der Sackgasse. Wenn wir die unausweichlichen Einschränkungen gemeinsam tragen, müssen diese für Einzelne nicht mehr existenzgefährdend sein. Andernfalls drohen soziale Verwerfungen mit kaum vorhersehbaren Folgen. Entsprechend liegt es an uns allen, das beizutragen, was möglich ist – sowohl in der Debatte als auch im Alltag gegenüber unseren Mitmenschen.

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