Wie reagieren Verbraucher auf variable Stromtarife? Erkenntnisse aus Feldstudien der letzten 25 Jahre

Gastautor Portrait

Dr. Sebastian Gölz

Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE

Dr. Sebastian Gölz ist Diplom-Psychologe, Systemischer Berater und Teamleiter "Nutzerhalten und Feldtests" am Fraunhofer ISE. Er studierte an der Universität Heidelberg und beschäftigt sich seit 14 Jahren mit Smart Metering und innovativen Tarifsystemen sowie deren Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten. Er führte zahlreiche Forschungsprojekte und Studien in diesem Bereich durch (DISPOWER, Waschen mit der Sonne, Intelliekon, EDeMA, ORIGIN, iUrban) und kooperierte mit zahlreichen namhaften Energieversorgungsunternehmen in Deutschland und Europa. Aktuell leitet er im SINTEG Projekt C/sells das Teilprojekt 2 "Umfeldgestaltung".

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27. September 2018
Das Bild zeigt eine größere Anzahl an Stoppuhren, welche das Thema variable Tarife symbolisch repräsentieren. Quelle: Pixabay

Erkenntnisse aus Feldstudien der letzten 25 Jahre

Immer wenn es um die Beteiligungsmöglichkeiten in der Energiewende geht, werden neben den formellen Beteiligungsformaten bei der Planung und Genehmigung von erneuerbaren Energieerzeugern früher oder später auch die Verhaltensoptionen beim Verbrauch elektrischer Energie erwähnt – sprich das Angebot variabler Stromtarife. Insbesondere im Kontext von Smart Grid Projekten kommt die Diskussion bei der Nutzerbeteiligung schnell auf variable Lasttarife oder andere variable Tarif-Anreizstrukturen.

Variable Stromtarife als Anreize zum Stromsparen funktionieren

Ein Blick in die jüngere Energieforschungsgeschichte zeigt, dass es bereits in den neunziger Jahren ein Pilotprojekt zu diesem Thema in Deutschland gab:  Der Pilot „Eckernförder Tarif“ ist als Meilenstein in der frühen Smart Grids Forschung den älteren Semestern noch bekannt. Die damalige Idee beruhte auf der Annahme, dass die tatsächlichen Stromgestehungskosten – wenn sie dem Endverbraucher denn bekannt gemacht werden – sein Konsumverhalten verändern wird. Man nahm damals an, dass die Verbraucher sich an den Strompreisen orientieren würden und die Zeiten mit geringen Kosten verstärkt nutzen würden, um ihre Haushaltsgeräte zu benutzen. Die Energie Stiftung Schleswig Holstein hat damals einen aufwändigen Pilot Test durchgeführt: möglichst wirklichkeitsgetreu wurden die Stromgestehungskosten für die verschiedenen Versorgungssituation berechnet und mittels einer dreifarbigen Ampel den Verbrauchern in ihrem Haus beziehungsweise ihrer Wohnung visualisiert. Umfangreiche sozialwissenschaftliche Befragungen der teilnehmenden Haushalte zeigten, dass es insgesamt eine positive Haltung zu den variablen Tarifen gab und auch das Verhalten daran angepasst wurde, d.h. tatsächlich wurde vor allem dann die Waschmaschine angeschaltet, als die Strom-Ampel grün oder maximal gelb zeigte.

Waschen mit der Sonne – erkenntnisreiche Feldstudie

Solarpark und Strommasten
In einem Pilotversuch wurden teilnehmende Haushalte vorab über einen günstigen Zeitraum informiert, innerhalb dessen der Energieverbrauch durch Spülen oder Waschen mit Solarstrom abgedeckt wird.

Foto: pixabay

Ab 2006 spätestens gewann die Möglichkeit der Laststeuerung durch intelligenten Stromzähler eine neue technische Möglichkeit, da durch die detaillierte Erfassung des Verbrauchs – bei Bedarf im Minutentakt – die technische Voraussetzung für jegliche Form variabler Stromtarife gegeben ist. Ungefähr zur gleichen Zeit führten das Fraunhofer ISE und MVV Energie in Stutensee bei Karlsruhe einen Lastmanagement Pilotversuch durch, in dem bereits die Steuerung der Last an der Erzeugung von Solarstrom vor Ort orientiert war. Dieses Projekt mit dem simplen Titel „Waschen mit der Sonne“ vermittelt den teilnehmenden Haushalten, dass es aus Netzgründen sinnvoll sein kann, Lastverlagerung in Haushalt aus Gründen der „Übererzeugung“ von PV-Strom vorzunehmen. Damals waren keine intelligenten Stromzähler im Einsatz, kommuniziert wurde mit einfachen Mitteln (per Pager oder SMS) und die Prognose zur PV Erzeugung des Folgetages beruhte auf einem detaillierten Wetterbericht des DWDs. Auch so alle verstanden teilnehmenden Haushalte ohne große Informationskampagne, warum sie Last von den Mittagstunden in den Morgen oder Abend verlegen sollten. Bewusst wurde damals auf die beiden Haushaltsanwendungen Waschen und Spülen (mit der Spülmaschine) abgezielt, doch gleichzeitig wurde bereits in diesem Projekt deutlich, worin Grenzen dieses Haushaltslastmanagement lagen: Ein wesentliches Problem war der Verhaltensaufwand, den die Verbraucherinnen und Verbraucher hatten, um aus den eingehenden Informationen abzuleiten, mit welchen konkreten Handlungen sie diese nun umsetzen könnten. Dabei war gleichzeitig auch zu prüfen, ob das in ihrer Alltagsplanung überhaupt möglich wäre und dann  – bei positiver Entscheidung – tatsächlich die Verhaltensänderung umzusetzen. Für die Dauer eines Monats im Pilotversuch ein durchaus verschmerzbarer Aufwand. Es gab  auch eine kleine Vergütung für die Verlagerung. Aber langfristig war der Aufwand zu hoch, um zu einer Routine im Alltag zu werden.

Wem mehr vertrauen: der eigenen Entscheidung oder der künstlichen Intelligenz?

Dieses Problem versuchten weiter ausgereifte Smart Grids Projekte wie beispielsweise mit EDeMa von RWE und Stadtwerke Krefeld zu lösen, indem sie tatsächlich eine Automatisierung implementierten, die die Geräte letztendlich an und ausgestellt. Für die Endverbraucher bestand nun mehr die Aufgabe „nur noch“ darin, das Gerät bereitzustellen. Alles andere übernahm die Automatik. Auch hier zeigte die sozialwissenschaftliche Begleitforschung, dass es grundsätzlich Akzeptanz und Zustimmung für diese Variante gab. Doch hatten die teilnehmenden Haushalte bei aller Aufgeschlossenheit gewisse Skrupel, die Entscheidung für diese Haushaltstätigkeiten irgendeiner nicht identifizierbaren Intelligenz zu überlassen. Deshalb entschied sich ein Teil der Haushalte lieber für die Option, sich an den variablen Tarifstrukturen selber zu orientieren und alles selber zu entscheiden. Damit war hier keine Verringerung des Verhaltensaufwandes erreicht. Und auch bei der Automatisierung war der kognitive Aufwand durch die antizipierte Planung beträchtlich.

Für den Konsumenten nachvollziehbare Automatismen wichtig

In einem Projekt der LEW wurde ein ähnlicher Versuchsaufbau implementiert. Allerdings wurde in diesem Setting den Haushalten zusätzlich als Ziel der Laststeuerung das Ausgleichen von Netzengpässen mitgeteilt. Zu diesem Zweck erfasste des Optimierungs- und Steuerungssystem detailliert die Verbrauchsgewohnheiten der Haushalte, um daraus zu lernen und die Prognosen kontinuierlich zu verbessern. Auch dieser technisch hoch anspruchsvolle Pilot stieß bei den Bewohnern und Teilnehmern nicht auf unumschränkte Begeisterung, auch wenn dadurch der Umstieg auf noch mehr erneuerbare Energieerzeuger ohne Netzausbau intendiert war. Die Teilnehmenden entwickelten Zweifel, was mit den Daten passierte – auch weil es immer wieder irritierende Entscheidungen des Optimierungssystems gab. Als sich Haushaltsgeräte recht irrational verhielten, bröckelte das Vertrauen in diese Innovation doch deutlich.

Prototypische Ergebnisse bei Akzeptanz-Feldstudie in Schottland

Sobald der Tarifanreiz wegfiel, verbrauchten die Bewohner Strom wie immer

Selbst in einem ganz besonderen Setting mussten Wissenschaftler eine ähnliche Erfahrung machen: im Projekt ORIGIN entwickelten europäische Forscher und Entwickler ein Optimierungssystem mit und für die Bewohner der Öko-Kommune Findhorn in Schottland. Ziel war es, dass die Findhorner Bewohner ihren selbst erzeugten Ökostrom möglichst umfassend nutzen konnten. Über ein umfänglich entwickeltes Dashboard erhielten die Bewohner Informationen, Prognosen und Feedback zu Erzeugung und Lastsituation. Und es signalisierte den Teilnehmern, wie sie sich am besten verhalten sollten.

Das Nutzungsverhalten der Findhorn Bewohner ließ sich in drei Varianten aufteilen: die einen verstanden den Sinn und fanden offensichtlich Gefallen daran, auch beim Stromverbrauch ihren Umweltvorstellungen zu folgen und sich an dem neuen System zu orientieren. Eine zweite Gruppe machte mit, da es einen finanziellen Vorteil mit sich brachte, wenn Strom „made in Findhorn“ verbraucht wurde. Sobald der Tarifanreiz wegfiel, verbrauchten die Bewohner Strom wie immer. Und eine nicht unbeträchtliche Zahl von Öko-Dorfbewohnern lehnte die Verhaltenssteuerung durch das Optimierungsprogramm rundweg ab – trotz aller ökologischen Motivation zum Klimaschutz.

Die Findhornergebnisse sind prototypisch dafür, wie sich in Kürze die sozialwissenschaftlichen Ergebnisse zu Verbraucherverhalten bei variablen Stromtarifen zusammenfassen lassen. Letztlich ließen sich über detaillierte Zielgruppenausrichtung vermutlich auch geeignete Tarife für den Teil der Verbraucher am Markt etablieren, die bisher mit Begeisterung in den Piloten mitgemacht haben; allein die Kosten für die notwendige Kommunikationsinfrastruktur, Mess- und Datengateway sowie vertrieblichen Aufwände sind mit den aktuell am Markt erzielbaren Preisunterschieden und daraus entstehenden Margen nicht als profitables Geschäftsmodell im bundesdeutschen Strommarkt zu verwirklichen.

Netzengpassmanagement durch variable Tarife in Frankreich

Spannend an dieser Stelle ist ein Blick nach Westen über den Rhein. In Frankreich bietet die EDF ihren Kunden mit erhöhtem Stromverbrauch (d.h. mit elektrischer Heizung) einen Tarif „tempo“ an, bei dem die Kunden an 300 Tagen günstiger als zum regulären Tarif Strom beziehen können. Und an 43 Tagen mit äquivalenten Kosten sowie an 22 Tagen mit deutlich höheren Preisen. Die teuren Stromtarif-Tage sind nicht an Sonn- und Feiertagen, und die Tariffarbe wird immer am Vortag über verschiedenen Medien kommuniziert. Auch hier ist das Ziel, Netzengpassmanagement zu betreiben. Vom Verhaltensaufwand her gedacht, könnte es für Verbraucher einfacher sein, ihr Verhalten anzupassen, wenn ganze Tage statt einzelne Stunden unterschiedlich bepreist werden. Zumindest beim „Waschen mit der Sonne“ war es für die Haushalte kein Problem, noch einen Tag mit der Wäsche zu warten. Vielleicht wäre es einen (Pilot-) Versuch wert, es auch in Deutschland bei variablen Stromtarifen simpler anzugehen und sich von dem Stundendenken bei variablen Tarifen – das ja noch aus der Zeit der Atomkraftwerke und Nachtspeicheröfen stammt – zu verabschieden?

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