War watt? Strom umsonst

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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12. November 2015
Energiewende aktuell

Wieder einmal Jeremy Rifkin. Wer sonst? Rifkin wies vor sechs Jahren als erster auf den Zukunftstrend einer Null-Grenzkosten-Ökonomie hin, im Interview mit der Zeit hat er im letzten Jahr seine Thesen in Bezug auf die Energie konkretisiert. Obgleich seine Visionen auf die Jahre 2050 folgende zielen, scheint ihm die Realität schon bald Recht geben zu wollen. Strom umsonst gibt es für alle Tesla-Fahrer an den Superchargern, die sich bald über ganz Europa verteilen werden. Strom umsonst gibt es jetzt auch im Mutterland der Ölbarone, in Texas. Zunächst kommt der Strom nur nachts umsonst, aber der erste Schritt Richtung kostenloser Energie ist damit gemacht. Was J.R. Ewing wohl dazu sagen würde? 

Großkraftwerke, egal ob auf Basis von Kohle, Gas oder Atom, sind technische Meisterleistungen, die gigantische Investitionssummen erfordern. Sind diese Investitionen nach 20 Jahren abgeschrieben, produzieren sie relativ günstig, für wenige Cent Energie (die gigantischen Folge- und Nebenkosten übergehen wir an dieser Stelle). Anlagen der Erneuerbaren Energien, die ihre Abschreibung noch verdienen müssen, stehen derzeit meist im Wettbewerb mit diesen zu Grenzkosten produzierenden Erzeugern. Neuere, fossil betriebene Großkraftwerke können in diesem Markt schon lange nicht mehr mithalten. Sie produzieren schneller Verluste in Form von Sonderabschreibungen als sie Strom liefern können.
Was passiert, wenn die Investitionen in die Erneuerbaren Erzeuger abgeschrieben sind? Weil weder Brennstoffe noch Personal für den laufenden Betrieb erforderlich sind und die Folgekosten (Rücklage für Rückbau, keine Bergschäden, keine Endlagerung) übersichtlich sind, gehen die Grenzkosten tendenziell gegen Null. Im Wettbewerb der abgeschriebenen Anlagen haben fossile Kraftwerke gegen die Erneuerbaren auch dann keine Chance, wenn die realen Kosten nicht internalisiert werden.

Wird es bald Strom umsonst geben?

Der Telekommunikationsmarkt weist viele Parallelen zum Energiemarkt auf. Hier gab es Strom umsonst, Energieflatrate, Stromzähler, noch vor zwei Jahrzehnten ein Monopol, jetzt gibt es Wettbewerb. Beide Märkte unterliegen einer sehr hohen durch den Staat und zunehmend die EU vorgeschriebenen Regelungsdichte. Beide Märkte zeichnen sich durch eine Kostenstruktur mit sehr hohen Investitionskosten (Technik, Netze) und einem eher kleinen Betriebskostenanteil aus. Viel früher aber als im Energiemarkt hat in der Telekommunikation die Digitalisierung Einzug gehalten und nicht nur unsere Art und Weise der Kommunikation, der Informationsbeschaffung, des beruflichen und privaten Alltags, sondern auch die Preise binnen eines recht kurzen Zeitraums grundlegend verändert. Den Unterschied, den die Digitalisierung ausmacht, kann erleben, wer mit seinem Smartphone in den Keller geht und es neben seinen Drehstromzähler hält. Zwischen diesen beiden Technologien liegen die Welten, die den Energiemarkt noch vom Telekommunikationsmarkt trennen.
Trotz des hohen Grades an Digitalisierung verursacht die Telekommunikation immer noch Kosten, umsonst gibt es sie nicht. Aber fast. Ein Telefonat in die USA kostete vor 20 Jahren ca. eine DM pro Minute, via Internet ist diese Kommunikation bei gleichzeitiger Bildübertragung heute umsonst zu haben. Ob via Festnetzanschluss oder mobil, für Sicherungskasten, Energie-Flatrate, Strom umsonstwenige Euro lässt sich heute mir der ganzen Welt kommunizieren. Mit wem ich kommuniziert habe, wen ich angerufen habe, von wem ich angerufen worden bin, welche Internetseite ich angeklickt habe: All diese Daten werden gespeichert und stehen mir und noch ein paar anderen, teilweise Trägern von Schlapphüten zur Verfügung.
Mein Drehstromzähler im Keller, der mehr Kosten als mein Smartphone im WLAN-Betrieb verursacht, weiß nichts. Ob der neue Staubsauger mehr Strom verbraucht als der alte? Ob die Investitionen in die LED-Beleuchtung etwas bringen? Fragen Sie doch mal ihren Stromzähler. Wahrscheinlich ist Ihrer genauso strohdoof wie meiner. Und der Sicherungskasten daneben ist auch nicht auskunftsfreudiger.
Die Kommunikation gehört zu den innovativsten Branchen überhaupt. Dagegen ist die Energiewelt träge. Aber auch die bewegt und beschleunigt sich. Und wie immer, wenn die Geschwindigkeit erhöht wird, werden einige Marktteilnehmer aus der Kurve fliegen. Kennen Sie noch die Handys von Siemens?
Das ganze wird begleitet von teilweise abstrus anmutenden Diskussionen. Sind Smart-Meter ein Eingriff in die informelle Selbstbestimmung? Google weiß schon heute mehr über Milliarden Menschen, als die von sich selbst wissen. Per Smart-Meter kommen da noch ein paar Daten hinzu, die sind aber weniger besorgniserregend als Bewegungs- und Kommunikationsprofile, die alle Smartphone-Besitzer Google oder Apple im Tausch zu den angebotenen Diensten liefern.

Energie-Flatrate wird Dienstleistungsflatrate

Kommunikation wird immer Kosten verursachen und daher einen Beitrag des Nutzers verlangen. Ob der monetär oder durch Offenlegung von monetär verwertbaren Daten Smart_Meter9991[1]erfolgt, ist dabei sekundär. Die Branche braucht Gewinne, um das hohe Innovationstempo zu halten. Wer nicht zahlt, finanziert keinen Fortschritt. Wo kein Geld fließt, versiegt außerhalb spiritueller Gemeinschaften der Wissenszuwachs.
Strom oder andere Formen der Energie, das lässt sich aus den Erfahrungen in der Telekommunikation lernen, wird es niemals ganz umsonst geben. Aber Energie wird billig. Und Energie kommt in naher Zukunft nicht mehr als Strom, Gas oder Pellets ins Haus, sondern als Dienstleistung. Wer kann schon eine Heizung korrekt bedienen? Das lässt sich ebenso digitalisieren wie die Beleuchtung und die Belüftung.
„Bitte 5.000 Liter Öl nachfüllen.“ Bestellungen wie diese und der Gang zum Ablesen des Stromzählers werden bald der Vergangenheit angehören. Den Anruf der Zukunft macht das Smartphone oder das Tablett (oder wie die Dinger dann auch heißen mögen): „21 Grad im Arbeitszimmer, 20 in der Küche und 55% Luftfeuchtigkeit im Bad um 6h morgens.“ Und wie das dann geregelt wird, ist mir als Kunde völlig gleichgültig. Ich verstehe ja auch nicht, wie mein Bild via Skype nach Asien kommt. Irgendwie funktioniert es. Ist beim Preis des DSL-Anschlusses als Flatrate inklusive. Wird bei der Energie-Flatrate der Zukunft nicht anders sein. 

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  1. Windmüller

    vor 8 Jahren

    Herr Grass - mit Verlaub - jetzt gehen aber die Pferde mit Ihnen durch. Die Energiewende deindustrialisiert Deutschland. Nach Fukushima und der Abschaltung von sieben KKW drohte uns ewige Dunkelheit. Die FDP warnte vor dem Stromkostentsunamie und vor dem Ökosozialismus. Die Energiewende sollte laut damaligen Umweltminister Peter Altmeier eine Billion € kosten
    Und sie reden von Strom zum Nulltarif.

    Mit Humor
    der Windmüller

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