War watt? Die Spezialisten der Energiewende

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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02. Juni 2016
War watt? ist die energiepolitische Kolumne von Hubertus Grass. Hier geht es um die Energiewende. Wie bekommen wir die gut hin?

Amsel, Drossel, Fink und Star sind bekanntlich schlechte Ornithologen. Zeitzeugen eignen sich nicht als Historiker und Interessengruppen sollten nicht über das Gemeinwohl entscheiden.  Das ist ebenso simpel wie richtig, spielt aber in der Energiewende gegenwärtig keine Rolle. Hier sind Spezialisten der Energiewende am Werk, die für die Aufgaben – es geht um Klimaschutz, die Umsetzung der Beschlüsse des Pariser Klimagipfels, die Entwicklung neuer Technologien und deren Marktfähigkeit – keine Kompetenzen mit bringen.

Die Reform des EEG ist durch, nachdem sich gestern die Koalitionsrunde geeinigt hat. Windparks, Solaranlagen und Biomassekraftwerke bedürfen künftig verpflichtend der Ausschreibung, die feste Einspeisevergütung wird mit Ausnahme von kleineren Anlagen abgeschafft. Statt den Kohlestrom zu drosseln, soll der Ausbau der Erneuerbaren-Ausbau und die Netzinfrastruktur besser abgestimmt werden. In Norddeutschland werden zwei Netzengpassgebiete ausgewiesen, in denen der Neubau von Windkraftanlagen künftig bei 60 Prozent des durchschnittlichen Zubaus der letzten drei Jahre gedeckelt wird.
Mit dieser Reform oder Deformation des EEG hat sich Bundesregierung von den ursprünglichen Zielen des Gesetzes verabschiedet. Die Energiewende, ohnehin eher mit der Geschwindigkeit einer Schnecke unterwegs, wurde gestern von der Großen Koalition auf das Abstellgleis geschoben,  die Ergebnisse werden als „…mutloser Schritt in die falsche Richtung“ (Jürgen Döschner, WDR) oder als Zwischenergebnis zur Verhinderung von Schlimmerem (Franz Untersteller, Umweltminister Baden-Württemberg) eingestuft.

Was will das EEG?

Zweck dieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer Effekte zu verringern, fossile Energieressourcen zu schonen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu fördern.“

Die Spezialisten, die sich am Ende durchgesetzt haben, hatten ganz anderes als den Zweck des Gesetzes im Sinn, als sie das EEG reformierten. Ihnen ging es darum,

  • den wirtschaftlich angeschlagenen Kohlekonzernen beim Überleben zu helfen,
  • den fälligen Strukturwandel in den Kohlerevieren in NRW, Sachsen und Brandenburg zu bremsen,
  • Streit mit den Gewerkschaften von IGBCE und ÖTV zu vermeiden oder
  • den Bauern etwas Gutes zu tun.

Die Ziele der Spezialisten sind allesamt nicht ehrenrührig. Leider aber sind zu viele Spezialisten in und an der Bundesregierung unterwegs, die alles mögliche wollen. Und es fehlt ihnen ein mächtiger Gegenüber, der das große Ganze im Blick hat. Welcher Politiker von Format in der Hat die Braunkohle in Deutschland noch eine Zukunft? Eine Energiewende, die den Namen verdient, braucht einen Ausstiegsplan.Bundesregierung hat den Klimaschutz ganz vorne auf der To-Do-Liste?
Barbara Hendricks, die Bundesumweltministerin, war weder in der Runde mit den Ministerpräsidenten und noch gestern im Koalitionsausschuss zugegen. Sie scheint auch keinerlei Einfluss zu haben im (umweltpolitischen) Konflikt mit der Kfz-Industrie. Bei der Verkehrswende haben die Spezialisten der Energiewende wie der umtriebige Herr Wissmann vom Verband der Deutschen Automobilindustrie dafür gesorgt, dass diese bis heute nicht stattfindet. Warum ist eine Bundesumweltministerin im Vergleich zu Matthias Wissmann in Deutschland und in Europa eine vergleichsweise einflusslose Person?

Auch Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis war bei den Verhandlungsrunden über das EEG in den letzten Tagen nicht zugegen. Aber auch er gehört wie Wissmann zu jenen Spezialisten der Energiewende, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Mögen sich die Bundeskanzlerin, der Bundeswirtschaftsminister und die Bundesumweltministerin für die Klimabeschlüsse in Paris feiern lassen. Am Ende sind es Männer wie Vassiliadis, die über das Tempo der Energiewende entscheidend bestimmen. Dass die Mehrheit der Deutschen den Kohleausstieg will, ficht weder sie noch die Spitzen der Koalition an. Und bei der nächsten Umfrage, die einen Anstieg der Entfremdung zwischen Regierten und Regierenden konstatiert, suchen alle angestrengt nach den Ursachen.

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