Das Unglück von Fukushima jährt sich nun zum zehnten Mal. Aus diesem Anlass haben wir als Blog-Redaktion Expertinnen und Experten als Gastautor*innen eingeladen, ihre Themen rund um den Ausstieg aus der Kernenergie vorzustellen: Wie können Fachkräfte qualifiziert werden? Wie erfolgt die Nachwuchssicherung in Fragen des Rückbaus? Welche Herausforderungen gilt es beim Thema Rückbau zu lösen und welche Fortschritte und Erfolge wurden erzielt? Antworten auf diese und weitere Fragen finden sich in diesem und weiteren Gastbeiträgen unter dem Hashtag #Kernenergie. In unserem heutigen Beitrag publiziert Dr. Nadine Gabor vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Bisher
Der Rückbau von Kernkraftwerken scheint auf den ersten Blick ein „erledigtes“ Thema zu sein: abgeschaltet, rückgebaut, fertig. Kann und muss man für dieses Thema also noch Studierende gewinnen? Benötigt unsere Gesellschaft auch in Zukunft noch junge Ingenieure in diesem Bereich?
In Deutschland sollen die letzten Kernkraftwerke in 2022 abgeschaltet werden. Weltweit werden jedoch noch über 440 Kernkraftwerke betrieben, und weitere sind bereits in der Planung. Aber eins ist sicher: Jedes Kernkraftwerk muss irgendwann einmal stillgelegt werden. Die Thematik birgt also ein großes Potential in sich – nicht nur in Deutschland.
Genau hier setzt bereits seit über 12 Jahren die Professur Rückbau konventioneller und kerntechnischer Bauwerke am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) an. Sie widmet sich ausschließlich dem letzten Lebenszyklus eines Bauwerks, dem Rückbau.
Aktuell
Im Folgenden werden kurz zwei spannende Projekte vorgestellt, die deutlich machen, warum wir noch immer junge Menschen für die Thematik Rückbau gewinnen können.
Das Projekt DefAhS (Definierter Abtrag hochbewehrter Stahlbetonstrukturen), ein Kooperationsprojekt der Kraftanlagen Heidelberg GmbH, der Herrenknecht AG und dem KIT, hatte das Ziel, hochbewehrte Stahlbetone mit einem Arbeitswerkzeug und in einem Arbeitsgang tiefgehend abzutragen. Hierbei wurden Schneidwerkzeuge für Beton und Stahl innovativ in einer Frästrommel kombiniert, was zwischenzeitlich in vielen Ländern patentiert ist. Somit können z. B. Risse erstmals automatisiert tiefgehend ausgefräst werden. In 2019 belegte das Projekt beim Innovationswettbewerb der weltgrößten Baumaschinenmesse Bauma den 2. Platz. Zwischenzeitlich ist hier bereits das Folgeprojekt angelaufen, in dem unter anderem die Absaugung direkt an der Abtragseinheit und eine Automatisierung für den Einsatz in einer kerntechnischen Anlage entwickelt werden soll.
Auch die Robotik hält immer mehr Einzug in den Bereich Rückbau. Daher wurde das Projekt ROBDEKON (Robotersysteme für die Dekontamination in menschenfeindlichen Umgebungen) ins Leben gerufen – ein Kompetenzzentrum, welches der Erforschung von autonomen und teilautonomen Robotersystemen gewidmet ist. Diese sollen künftig eigenständig Dekontaminationsarbeiten ausführen, damit Menschen der Gefahrenzone fernbleiben können. Seit 2018 wird ROBDEKON vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms »Forschung für die Zivile Sicherheit« mit zwölf Millionen Euro gefördert. Ziel ist, dass das Kompetenzzentrum langfristig weiterbesteht.
Als Forschungsinstitutionen sind neben dem KIT auch das Fraunhofer IOSB, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und das FZI Forschungszentrum Informatik beteiligt. Industriepartner im Konsortium sind die Götting KG, die Kraftanlagen Heidelberg GmbH, die ICP Ingenieurgesellschaft Prof. Czurda und Partner mbH und die KHG Kerntechnische Hilfsdienst GmbH.
Ziel von ROBDEKON ist die Erforschung und Entwicklung neuartiger Robotersysteme für Dekontaminationsaufgaben. Forschungsthemen sind hierbei mobile Roboter für unwegsames Gelände, autonome Baumaschinen, Robotermanipulatoren sowie Dekontaminationskonzepte, Planungsalgorithmen, multisensorielle 3D-Umgebungskartierung und Teleoperation mittels Virtual Reality.
Seitens der Professur Rückbau konventioneller und kerntechnischer Bauwerke wird in diesem Projekt ein Lösungsansatz für die automatisierte Dekontamination und Freimessung von Gebäudestrukturen mit Robotersystemen in kerntechnischen Anlagen erforscht und entwickelt. Bei der automatisierten Dekontamination liegt der Fokus auf der Bearbeitung von Betonwänden und Innenräumen mit einer mobilen Arbeitsplattform, wobei sich Kontaminationen, wie z. B. radioaktive Quellen, auf diesen Wandflächen befinden können. Dementsprechend wird ein automatisiertes Erkundungssystem zur Umgebungsexploration mit moderner Messtechnik entwickelt und aufgebaut. Dadurch werden die kontaminierten Stellen je nach Strahlungsniveau in einer 3D-Umgebungskartierung dargestellt und die anschließenden Dekontaminationsarbeiten können mit erhöhter Effizienz durchgeführt werden.
Zukünftig
Heute und zukünftig gibt es also noch notwendige F&E-Aufgaben im Bereich des Rückbaus.
Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle auch der konventionelle Rückbau. Denn über 200 Millionen Tonnen Abfall fallen in Deutschland jährlich auf die Abfallart „Bau- und Abbruchabfälle“ an. Dies entspricht einem Anteil am gesamten Abfallaufkommen von über 50 Prozent. Wichtige Themen sind daher die maschinelle Trennung der Abfallarten, Optimierungen im Bereich der Umwelteinträge & Belastungen beim Abbruch oder auch die Automatisierung und Fernhantierung. Dies gilt insbesondere beim Umgang mit „gefährlichen Abfällen“ wie beispielsweise Asbest.
Rückbauexperten werden also immer gebraucht werden – sowohl im kerntechnischen als auch im konventionellen Bereich. Daher bilden wir am KIT interessierte Studierende in diesen Themengebieten mit Vorlesungen aus. Dieses Wissen garantiert den Absolventen einen sicheren und anspruchsvollen Arbeitsplatz – aktuell und auch in der Zukunft.
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