Regionalstrom: Wie Digitalisierung Nähe zum Stromkunden schaffen kann

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Dr. Christian Chudoba

Gastautor

Dr. Christian Chudoba ist Geschäftsführer und Co-Gründer der Lumenaza GmbH. Nach einem Forschungsaufenthalt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) beschäftigte sich der promovierte Physiker bei Siemens intensiv mit hochskalierbarer Software für Telekommunikations- und Versorgungsunternehmen. Er leitete dort das Lösungsgeschäft im Abrechnungs- und Kundenbetreuungsbereich. Um die Energiewende aktiv voranzutreiben, gründete er zusammen mit Dr. Bernhard Böhmer 2013 die Lumenaza GmbH.

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22. Juli 2016
Weinberg Weisenheim am Sand Pfalz
Foto: stock.adobe.com/Christian

Strom ist nicht wirklich sichtbar. Es ist ein Produkt, das man weder richtig anfassen noch fühlen kann. Hauptsache Strom ist da und nicht so teuer – für viele Menschen ist er ein sehr indifferentes Produkt. Und das, obwohl die meisten Bürger sich klar für erneuerbare Energien und gegen Kohle- und Atomstrom aussprechen. 93 Prozent der deutschen Bevölkerung halten den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien für wichtig bis außerordentlich wichtig. Kunde bei einem Ökostromanbieter sind bisher allerdings nur 12 Prozent. Der Schritt zum Stromanbieterwechsel ist für viele nach wie vor ein schwerfälliger. Es fehlt der emotionale und greifbare Bezug zum Produkt. Und sicherlich hat das in den Medien breit geschlagene Thema Strompreis auch dazu geführt, dass Ökostrom als teuer gilt.

Ökostrom direkt aus der Region

Praxisbeispiele der Regionalstrom-Vermarktung zeigen, dass das nicht so sein muss. Das Berliner Startup Lumenaza stellt eine Softwarelösung zur Verfügung, die Ökostrom ein Gesicht gibt. So können beispielsweise im Fichtelgebirge Stromkunden seit April ihren Strom direkt von der Solar-, Wind- oder Biogasanlage aus der Nachbarschaft beziehen. Über die Website FichtelgebirgsStrom können sie nachvollziehen, wo genau aus der Region ihr Strom herkommt, wer ihn produziert und welchen Umweltbeitrag sie damit leisten. Ein neuer Regionalstrom-Tarif der örtlichen Stadtwerke macht’s möglich. Mithilfe des von Lumenaza entwickelten Marktplatzes bringen die Stadtwerke Konsumenten und Produzenten von erneuerbaren Energien vor Ort zusammen. Auch kleine private Stromerzeuger dürften mitmachen und ihren Strom direkt an die Nachbarn verkaufen. Und das alles zu attraktiven Preisen – sowohl für Hersteller als auch für Verbraucher.

Regionalstrom
Strom aus der Region: Mithilfe einer Softwarelösung bringt Lumenaza Produzenten und Verbraucher zusammen.

 

Zukunftsmodell für andere Stadtwerke und regionale Energieversorger

Dass FichtelgebirgsStrom kein Einzelfall bleibt, zeigen weitere Regionalstromprojekte, die Lumenaza mit Energieversorgern und auch der EnBW ODR bisher umgesetzt hat (IPFenergie, jurenergie strom, Regiostrom Altbayern Schwaben). In den einzelnen Regionen wird eine Vielzahl an dezentralen Anlagen zu einem regionalen virtuellen Kraftwerk gebündelt und über einen regionalen Bilanzkreis direktvermarktet. Intelligente Algorithmen steuern Erzeugung und Verbrauch, sodass eine weitestgehend ausgeglichene Strombilanz entsteht. Unter den aktuellen gesetzlichen Bedingungen erlaubt dieses Vorgehen den höchsten Grad an Regionalität und schließt die Angebotslücke, die durch den Wegfall des Grünstromprivilegs entstanden ist. Ein Konzept mit großem Zukunftspotenzial, denn neben der größeren Nähe zum Kunden, fördert es die regionale Wertschöpfung und reduziert die Abhängigkeit vom internationalen Energiemarkt.

Transparenz als Schlüssel zum Erfolg

Regionalstrom
Ein Online-Marktplatz für Strom: Was für regionale Lebensmittel funktioniert, sollte auch für Strom funktionieren.

Ausschlaggebend für Lumenazas Idee des Regionalstrommodells war der Besuch einer Familienfeier in einem kleinen fränkischen Dorf. Praktisch jeder erzeugte hier Ökostrom. Eigenartigerweise konnte man diesen Strom aber nirgends kaufen, sondern war häufig auf intransparente Angebote angewiesen. Was für regionale Lebensmittel funktioniert, sollte auch für regionalen Strom funktionieren. So entstand der regionale Online-Marktplatz, auf dem jeder Produzent mit seiner Anlage persönlich vorgestellt wird. Verbraucher können den Standort, die Stromproduktion, Informationen zu den Besitzern, den Beweggründen und dem daraus abgeleiteten Beitrag zum Klimaschutz einsehen. Ihren eigenen Verbrauch und ihre persönlichen Stromkosten können sie ebenso tagesaktuell verfolgen wie Werte für die gesamte regionale Gemeinschaft.

So bekommt Strom nicht nur ein Gesicht. Er wird emotionaler und greifbarer. Die Schwelle zum Umstieg auf Ökostrom kann dadurch deutlich schrumpfen. Eine große Mission, denn der Weg zwischen den 12 Prozent, die tatsächlich Ökostrom beziehen, und den 93 Prozent, die ihn wollen, ist noch weit…

Über Lumenaza

Lumenaza ist der Softwareanbieter und Dienstleister für die neue dezentrale und erneuerbare Energiewelt. Lumenaza wurde 2013 von Dr. Christian Chudoba (CEO) und Dr. Bernhard Böhmer (CTO) gegründet. Oliver March (CFO) komplettierte das Gründerteam im Jahr 2014. Anfang 2016 investierten die EnBW New Ventures und der von der IBB Beteiligungsgesellschaft mbH gemanagte VC Fonds Technologie Berlin einen niedrigen siebenstelligen Betrag in Lumenaza. Dabei ergänzt das energiewirtschaftliche Know-How und die Kundenbasis der EnBW ideal die innovativen Softwarelösungen von Lumenaza.

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