Innovative Technologien könn(t)en einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der UN – Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung leisten. Während die Informations- und Kommunikationstechnologien in den meisten der 17 Nachhaltigkeitsziele vor allem als „Werkzeug“ zur Erreichung der Ziele gesehen werden, widmet sich Ziel 9 explizit dem Thema Infrastruktur: „Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen.“ Das Unterziel 9.c fordert ausdrücklich, den Zugang zur Informations- und Kommunikationstechnologie zu erweitern und in den am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries, LDC) bis 2020 einen allgemeinen und erschwinglichen Zugang zum Internet bereitzustellen.
Die Realität
Entwicklungsländer und Randgruppen müssen eine Stimme bei der Entscheidung haben, wie diese Technologien eingesetzt werden
In der Realität sind wir weit davon entfernt: mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung hat keinen, nur eingeschränkten und/oder kaum bezahlbaren Zugang zum Internet – vor allem in den LDC in Afrika. Daher fordert die Breitband-Kommission für Nachhaltige Entwicklung einen ‘digital moonshot’; es sollten „außergewöhnliche und koordinierte Anstrengungen unternommen werden, um ein scheinbar unmögliches Ziel zu erreichen, nämlich sicherzustellen, dass alle Afrikaner bis spätestens 2030 einen allgemeinen und erschwinglichen Zugang zu IKT haben.“
Auch die im Juli 2018 von UN-Generalsekretär António Guterres eingesetzte Kommission für digitale Zusammenarbeit der Vereinten Nationen kommt in ihrem Report „The Age of Digital Interdepence“ zu dem Schluss: “Digitale Technologien können den ärmsten Menschen der Welt helfen, ihr Leben zu verändern, aber nur, wenn wir bereit sind, die Ungleichheiten anzugehen, die sie davon abhalten, uneingeschränkt am wirtschaftlichen und sozialen Leben ihres Landes teilzunehmen” so Melinda Gates, Vorsitzende der Kommission. “Entwicklungsländer und Randgruppen müssen eine Stimme bei der Entscheidung haben, wie diese Technologien eingesetzt werden. So können wir garantieren, dass digitale Technologien nicht nur alte Probleme verschärfen, sondern auch neue Lösungen hervorbringen.“
Weltweite Kooperation notwendig
Der Aufbau der notwendigen Infrastruktur erfordert – so einhelliger Tenor der o.g. Komissionen – eine große gemeinsame Anstrengung mit Beteiligung aller Stakeholder – also nicht nur eine Beteiligung von Regierungen und Wirtschaftsunternehmen, sondern auch der Zivilgesellschaft, insbesondere von Entwicklungsorganisationen. Der o.g. Digital Interdepence-Report geht intensiv auf den Aspekt der „Global digital cooperation“ ein und schlägt sowohl vor bewährte Strukturen zu nutzen als auch neue Formate zu entwickeln.
Digitale Infrastruktur = schöne neue Welt?
In vielen Ländern des globalen Südens fehlt also die digitale Infrastruktur, aber was wäre, wenn tatsächlich alle Menschen in den LDC bis 2030 einen freien und erschwinglichen Zugang zum Internet hätten? Wären damit automatisch alle Probleme beseitigt? Was ist mit den zahlreichen gesellschaftlichen Auswirkungen, die wir noch nicht einmal für uns selbst realistisch abschätzen können?
Arbeitsplätze
Werden tatsächlich neue Arbeitsplätze entstehen? Welche Geschäftsmodelle sind denkbar? Und wer wird davon profitieren? Und was ist mit den Arbeitsplätzen, die durch Rückverlagerung in Industrienationen ersatzlos gestrichen werden? Beispiel Textilindustrie: was wird aus den – oft miserabel bezahlten – Frauen in den Textilfabriken, wenn die Visionen von Bekleidung aus dem 3D-Drucker Realität wird?
Energie und Rohstoffe
Keine Digitalisierung ohne Energie. Damit sind gleich mehrere strukturelle Probleme verbunden: fehlende, zuverlässige Energieversorgung in den LDC einerseits und weltweit steigender Energie- und Rohstoffbedarf andererseits. Da bei der Gewinnung von Rohstoffen (wie z.B. Kobalt und Lithium) Menschenrechte und Nachhaltigkeitskriterien meistens keine Rolle spielen, werden hier die globalen Nachhaltigkeitsziele regelrecht konterkariert.
Globale Player
Die größten Unternehmen weltweit sind Hightech-Unternehmen, die die Bereiche Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Welthandel dominieren. Die Ankündigung von Facebook im Juni 2019 mit dem neuen Kryptogeld Libra ein neues grenzüberschreitendes Zahlungsmittel zu schaffen, wird den beteiligten Unternehmen der Libra Association eine weitere (Macht-) Dimension eröffnen, sofern Libra Realität werden sollte. Die Reaktionen auf die Ankündigung fallen sehr unterschiedlich aus – auch in der Finanzwelt. Hier zwei (von vielen) interessanten Artikeln zu LIBRA mit unterschiedlichen Einschätzungen. Während der eine (IT-Finanzmagazin) mehr die Risiken betont, werden im anderen (Philip Sandner vom Blockchain Center der Frankfurt School of Finance & Management) die Chancen hervorgehoben:
https://www.it-finanzmagazin.de/facebook-libra-alle-details-zu-zuckerbergs-digitaler-waehrung-90797/
Fazit
Den Ländern des globalen Südens keinen allgemeinen und erschwinglichen Zugang zum Internet zu ermöglichen, ist natürlich keine Option – aber der schnellstmögliche Aufbau einer digitalen Infrastruktur ist längst keine Garantie dafür, dass die globalen Nachhaltigkeitsziele dann „automatisch“ erreicht würden. Die derzeitigen Machtverhältnisse lassen eher befürchten, dass wenige Unternehmen immer mehr Kontrolle über Knowhow und (Zahlungs-) Daten verfügen werden. Doch unabhängig davon, ob man diesen Big Playern ihre Bekenntnisse zu den Nachhaltigkeitszielen glaubt oder nicht, es geht kein Weg an ihnen vorbei. National und international agierende Organisationen in der entwicklungspolitischen Arbeit müssen sich diesen Themen und Herausforderungen stellen.
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