Vieles läuft nicht rund in der europäischen Landwirtschaft. Aus Umweltsicht häufen sich die Probleme. Sei es das Artensterben, der Klimawandel, zu hohe Nitratbelastung im Grundwasser, Luftverschmutzung etc. Die Intensivierung landwirtschaftlicher Praktiken ist dabei ein Haupttreiber, dazu ist die wissenschaftliche Faktenlage inzwischen eindeutig. Sie geht gleichzeitig zu Lasten der Landwirte, die unter dem Druck des Dogmas „wachse oder weiche“ jährlich aufgeben.
Die gute Nachricht: Lösungsansätze existieren und mit der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) und ihren jährlich fast 60 Mrd.€ an Fördergeldern verfügt die Politik über ein mächtiges Instrument, um diese umzusetzen. Die EU Agrarförderung trägt maßgeblich dazu bei, was auf europäischen Äckern und Wiesen passiert und könnte ein Hebel sein, um den Sektor natur- und sozialverträglich zu gestalten. Trotz mehrfacher Reformrunden, scheitert sie jedoch an ihren eigenen Zielen (siehe hier). Momentan läuft die Reform für die Förderperiode nach 2020 und es scheint, dass auch dieses Mal, u.a. Natur- und Klimaschutz auf der Strecke zu bleiben (siehe hier).
Evidenzbasierte Politik: Fehlanzeige
Komplett ausgeblendet wird, dass die bisherigen Instrumente der Agrarpolitik zur Problemlösung wenig geeignet sind.
In der Gesellschaft existiert ein klarer Wunsch zu Veränderungen in der Agrarpolitik und auch ein großer Teil der Landwirte sieht für das gegenwärtige System keine Zukunft mehr (siehe hier). Die Entscheidung über die Umsetzung liegt jedoch woanders, bei den Abgeordneten des Agrarausschusses des Europäischen Parlaments, der Generaldirektion für Landwirtschaft der Europäischen Kommission und vor allem bei den 27 Agrarminister der EU Mitgliedstaaten.
Mehrere Faktoren machen in diesem Umfeld tiefgreifende Veränderungen schwer. Dazu gehört eine gewisse Immunität der Entscheidungsträger gegenüber der wissenschaftlichen Faktenlage. Komplett ausgeblendet wird, dass die bisherigen Instrumente der Agrarpolitik zur Problemlösung wenig geeignet sind. Im Kern der Debatte stehen die Direktzahlungen an Landwirte, welche den überwiegenden Teil des Agrarbudgets in Anspruch nehmen. Diese werden entsprechend der Fläche eines Betriebes ausgeschüttet.. D.h., je größer ein Betrieb ist, desto größer ist die Förderung unabhängig davon, was auf diesen Flächen passiert. Dies gilt als wenig effizient und Wissenschaftler wie der Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums empfehlen, die Direktzahlungen schrittweise abzubauen (siehe hier).
Auch der europäische Rechnungshof kritisiert, dass der Bedarf für diese Subventionen nicht ausreichend belegt ist, anders als für zielgerichtete Umweltmaßnahmen. (siehe hier). Dass die konservative Mehrheit des EU Agrarausschusses trotz dieser Faktenlage vorschreiben möchte, dass ein Großteil der Agrargelder weiter in die pauschalen Direktzahlungen gehen muss, zeugt von Realitätsverweigerung. Um diesen dann doch ein grünes Mäntelchen überzuziehen, werden 40% dieser Zahlungen sowohl von der EU Kommission, den Agrarministern sowie dem Agrarausschuss einfach per Gesetz als Klimaschutzmaßnahme deklariert. Dass Experten dies diplomatisch ausgedrückt für groben Unsinn halten, spielt keine Rolle (siehe hier).
Falsches Politikverständnis der Verantwortlichen
Ohne intakte Ökosysteme und ohne entsprechende klimatische Bedingungen kann die Nahrungsmittelproduktion nicht funktionieren.
Diese Art der Entscheidungsfindung fußt auf einem falschen Politikverständnis der Verantwortlichen: Wenn Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft vor dem versammelten EU Agrarausschuss sagt „Landwirtschaftspolitik ist Wirtschaftspolitik für die Bauern“ hat sie zwar Recht aber gleichzeitig auch nicht. Landwirtschaftspolitik ist eben auch Umwelt-, Klima-, Sozial-, Tierschutzpolitik usw. All diese Interessen unter einen Hut zu bringen ist die Aufgabe der Politik. Sie muss berechtigte Interessen (und zu denen zählen natürlich auch die der Landwirte) auszubalancieren und den für die Gesamtgesellschaft besten Kompromiss zu finden. Eine Politik mit Tunnelblick, die sich ausschließlich auf die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen einer Wählergruppe konzentriert ist dafür ungeeignet. Letztendlich leistet diese falsch verstandene Klientelpolitik der Landwirtschaft einen Bärendienst und schadet gerade jenen, die sie vorgibt zu vertreten.
Geringe Umweltstandards und bedingungslose Subventionen scheinen zwar kurzfristig attraktiv. Sie gefährden aber zum einen das gesellschaftliche Ansehen des Sektors, der so wirkt als würde er Veränderungen blockieren. Langfristig wird der Landwirtschaft buchstäblich das Wasser abgegraben. Ohne intakte Ökosysteme und ohne entsprechende klimatische Bedingungen kann die Nahrungsmittelproduktion nicht funktionieren. Obwohl die Landwirtschaft das erste Opfer von Klimawandel und Artensterben ist, wird politisch fast nichts dafür getan, diese Entwicklungen zu stoppen, sondern vor allem kurzfristig gedacht.
Richtungsentscheidung im Herbst
Dass es anders geht, hat diese Reformrunde bereits gezeigt. Nach wochenlangem Hin und Her konnte der Umweltausschuss des EU Parlaments sich zum ersten Mal in der Geschichte ein formelles Mitspracherecht bei der GAP-Reform sichern. Am Ende stand ein Bericht als Alternative zu dem des Agrarausschusses, der, wenn auch nicht perfekt, umweltpolitisch richtungsweisend ist (siehe hier).
Voraussichtlich im Herbst muss das gesamte Parlament über die Richtung in der Agrarpolitik entscheiden. Dort kursiert nun der Wunsch mit allen Abgeordneten innerhalb der politischen Fraktionen eine Diskussion über deren Neuausrichtung zu führen, auf Basis der bereits verabschiedeten Ausschusspositionen. Die Abgeordneten haben dann die Chance zu beweisen, dass die EU Agrarpolitik doch nicht unreformierbar ist. Am Ende steht dann hoffentlich ein Kompromiss, der basierend auf der besten verfügbaren Faktenlage alle gesellschaftlichen Interessen zufriedenstellt.
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