Grenzwerte für Emissionen werden fest gesetzt, um unsere Umwelt und unsere Gesundheit vor gefährlichen Stoffen zu schützen. Davon konnten wir Bürgerinnen und Bürger ausgehen. Seit gestern ist das vorbei. Wir müssen umdenken. Grenzwerte für Emissionen orientieren sich erst in zweiter Linie an den Gefährdungen für Mensch und Natur, in erster Linie sollen sie vermeintlich die Industrie schützen. Vermeintlich, denn real gefährdet die politische Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen aus der Industrie Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Werfen wir einen Blick auf den Zusammenhang von Energiewende und Dieselgate.
80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer dürfen neue Dieselfahrzeuge nach der Euro-6-Norm ausstoßen. Wir alle wussten, dass bei den Tests auf dem Prüfstand ein bisschen geschummelt wird, denn schließlich verbrauchen alle unsere Pkws mehr Treibstoff als die Hersteller angeben. Der Betrug von VW, Dieselgate, brachte nun ans Licht, dass das Schummeln andere Dimensionen hat als ein bisschen: 3400 Prozent über dem gesetzten Grenzwert liegen die realen Emissionen beim VW Jetta VI.
VW hat den Betrug gestanden, die Führung wurde ausgetauscht, der Konzern wird umgebaut. Nachdem beim Dieselgate so viel vom kostbaren Porzellan des Vertrauens zerschlagen wurde, dachten die Leichtgläubigen wie der Autor des Beitrages, würde sich nun die unheilige Allianz zwischen Autolobby und Politik auflösen und ab sofort als reuiger Sünder auf dem tugendhaften Pfad der Ehrlichkeit wandeln. Und wahrlich: Jetzt wird eine neue Testmethode eingeführt, die sich am realen Fahrverhalten orientiert, die „Real Drive Emissions“ (RDE). Das dauert zwar noch bis 2017, aber immerhin.
Die Maßgabe von 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer aber, die schadet unserer Gesundheit und der Umwelt. 80 Milligramm sind zu viel des Guten. Deshalb wird der Grenzwert kurzer Hand mehr als verdoppelt. Und selbst 2021 darf der Ausstoß an NOX dann noch 50% über dem heutigen Wert liegen. Offenkundiger als gestern sind Politiker selten vor einer Lobby eingeknickt. Es ist übrigens die gleiche Autolobby, die dafür verantwortlich ist, dass der Verkehr von 1990 bis heute keinen, auch keinen winzigen Beitrag zum Klimaschutz geleistet hat. Die gleiche Autolobby, die verhindert, dass das Ziel von einer Million Elektro-Pkw auf Deutschlands Straßen bis 2020 auch nur annähernd erreicht wird.
Energiewende und Dieselgate aus gleichem Muster gewebt
Bloß keine Ziele setzen, die die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Das Muster, mit dem die Industrie und ihre Verbände gegen Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz vorgehen, ist seit 40 Jahren das gleiche. An die Wand gemalt werden die Verluste von hunderttausenden Arbeitsplätze, das Wegbrechen ganzer Industriezweige und am Ende die De-Industrialisierung Deutschlands. Die hat der BDI schon in den 70-ziger Jahren beschworen, als die ersten Filter auf die Abgasanlagen gesetzt werden mussten. (Lesenswert dazu die Chronik des Umweltbundesamtes, Seite 112ff).
Die Geschichte der Umweltpolitik in Deutschland und in der EU widerlegt die Befürchtungen der Wirtschaft: Dort, wo frühzeitig die Weichen Richtung Umweltschutz und Vorsorge gestellt wurden, entstanden mehr Arbeitsplätze als verloren gingen. Dort, wo die Standards des Umweltschutzes auch international Maßstäbe setzten, wurden Wirtschaft und Industrie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. In der Automobilindustrie passiert derzeit das Gegenteil. Weil den Umwelt- und Gesundheitspolitikern der Einfluss fehlt, bei den Grenzwerten der Fahrzeug-Emissionen mit zu reden, laufen die Standards den technischen Möglichkeiten hinter her – mit fatalen Folgen für den Wirtschaftsstandort.
Kalifornien ist der Trendsetter beim Umweltschutz. 2009 setzt der US-Staat höhere Abgasstandards durch, als sie die amerikanische Umweltbehörde EPA vorsah. Eine nennenswerte Autoindustrie gab es damals in Kalifornien nicht. Das hat sich zuletzt Dank der weltweit strengstens Abgasnormen grundlegend geändert. Die deutschen Autobosse lachten am Anfang Tesla-Gründer Elon Musk aus, nun müssen sie ihn und Apple sowie Google fürchten. Die Welt, eine Tageszeitung, die unverdächtig ist, die deutschen Industrieprodukte schlecht zu reden, titelte dieser Tage: „Das Auto der Zukunft kommt aus dem Silicon Valley.“
Chef der IG-Metall redet Klartext
Einer, der den Ernst der Lage erkannt hat, ist der Chef der IG-Metall, Jörg Hoffmann: „Wenn die Fahrzeugindustrie nicht das Schicksal der Unterhaltungsindustrie erleiden soll, dann muss jetzt gehandelt werden“, sagte er dem Handelsblatt.
Hoffmann verweist auf eine bedrohliche Entwicklung. Alle (!) deutschen Autohersteller, so berichtet das Manager Magazin, kaufen die Batteriezellen für ihre Elektroautos ausschließlich bei asiatischen Zulieferern. Daimler wird bei Li-tec in Kamenz (Sachsen) in der letzten deutschen Fabrik, die Lithium-Ionen-Zellen für Autos im industriellen Maßstab herstellt, zum Ende des Jahres das Licht ausknipsen. Die asiatischen Zulieferer Panasonic (Tesla), Samsung (BMW) und LG Chem (Renault-Lieferant) liegen technologisch vorne, Tesla geht mit der Giga-Fab den Weg einer eigenen Produktionslinie und baut in der Wüste von Nevada die größte Batteriefabrik der Welt. Und die deutschen Hersteller? Daimler schraubt in Kamenz mit seiner Tochter Deutsche Accumotive importierte Zellen zu Batteriemodulen zusammen.
Die deutschen Automobilindustrie, wenn sie denn den Schwenk zu Elektromobilität hin bekommt, bei einer zentralen Einheit in Abhängigkeit von Zulieferern Asien oder den USA? Ein großer Teil der automobilen Wertschöpfung, Forschung und Entwicklung würde dann außer Landes stattfinden. Für den Gewerkschafter Hofmann ist das eine Horrorvorstellung. Für ihn und die Betriebsräte Michael Brecht von Daimler und Manfred Schoch von BMW ist es allerhöchste Eisenbahn, dass die deutsche Autoindustrie Tesla nacheifert und eine große, gemeinsame Batteriefabrik der deutschen Hersteller in Angriff genommen wird.
Energiewende und Dieselgate: Endlich die richtigen Schlüsse ziehen
Die europäische Kommission hat mir ihrer gestrigen Entscheidung, die Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden ab 2017 zu verdoppeln, der Autoindustrie und damit der deutschen Wirtschaft einen Bärendienst erwiesen. Diese Entscheidung sichert keine Arbeitsplätze, sondern gefährdet sie. Wenn die RED-Tests für die Diesel in 2017 anlaufen und die Grenze auf 160 Milligramm Stickoxid pro Kilometer angehoben wird, werden die neuen Teslas mit einer Ladung Ökostrom betankt Null-Emissionen ausstoßen und 1.000 Kilometer weit fahren. So geht die Energiewende auf der Straße made in California.
Made in Germany setzt die Politik weder bei der Mobilität noch bei der Energiewende die richtigen Standards, sondern lässt sie sich von der Industrie diktieren. Ebenso erfolgreich wie die Autolobby bei den Abgasemissionen auf der Bremse des Fortschritts steht, ist die Braunkohleindustrie im Verbund mit Landespolitikern und dem IGBCE beim Ausbremsen des Klimaschutzes. Wie Energiewende nicht funktionieren kann, zeigen die Verordnung aus Brüssel und der Plan aus Berlin, ausgerechnet Braunkohlekraftwerke in die Reserve zu schicken und das teuer zu vergüten. Das ist Politik von gestern, für die wir morgen die Rechnung bekommen werden.
Windmüller
vor 9 JahrenRespekt - und Hut ab !! Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen.