Energiewende – sozial gerecht. Für einen sozialen und ökologischen Neuanfang!

Gastautor Portrait

Michael David

Referatsleiter Soziales, Diakonie Deutschland

Michael David ist Referatsleiter Soziales bei der Diakonie Deutschland. Das Referat umfasst die Themenbereiche Armut, Arbeitsmarkt, Wohnungslosenhilfe, Beteiligung, sozialökologische Transformation, Sozial- und Schuldnerberatung sowie Wohnungspolitik. Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirchen. Seit 2010 bei der Diakonie, ist Sozialpolitik gegen Armut und soziale Ausgrenzung sein Schwer-punktthema. Vorherige Stationen in seiner Berufstätigkeit waren u.a. Tätigkeiten in den Themenbereichen Ar-beit, Soziales, Wirtschaft und Umwelt im Deutschen Bundestag und Presse- und Öffentlichkeitsar-beit für den Kommunalen Arbeitgeberverband, in dem sich Unternehmen der öffentlichen Da-seinsvorsorge zusammengeschlossen haben. Mit seiner Frau und seinen drei Söhnen lebt er in Berlin-Kreuzberg mitten im sozialen Brennpunkt.

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03. November 2022

CO2-Ausstoß, Erderwärmung, Fossile Energien: Es ist klar, dass die Menschheit so nicht weiter wirtschaften kann. Die Leugner:innen der Klimaveränderungen erleben bei Waldbränden, Hitzewellen und Überschwemmungen selbst hautnah, dass etwas mit dem Wetter nicht stimmen kann. Zeit zu handeln.

Zur Hoch-Zeit von Fridays for Future kam Corona. Die jungen Menschen, die für eine Klimawende auf die Straße gegangen sind, fanden sich mit FFP-2-Masken im Homeschooling wieder. Was wäre ohne Corona passiert, wenn der Druck auf der Straße geblieben wäre?

Jetzt wird die Energie-Debatte vom Ukraine-Krieg eingeholt. Noch vor Kurzem von vielen Menschen als hypothetisch abgetane Fragen, ob wir Gas noch brauchen oder wie es um die Kohle steht, sind einer bitteren Notwendigkeit gewichen. Energie wird teuer, der Winter wird kalt, Gas geht nicht mehr.

Fossile Energien sind ein Sicherheitsrisiko. Auch, wenn es vielen politischen Akteur:innen schwer fiel, über das Wetter zu reden: Am zugedrehten Gashahn kommt keiner vorbei. Härten und Preissteigerungen, die in der Klimadebatte noch undenkbar schienen, sind jetzt Normalität.

Schon kommen die ersten Streikdrohungen wegen der hohen Energiepreise. Die Regierung schnürt immer wieder neue Entlastungspakete. Viele Menschen erleben die Energiepreissteigerungen als existentielle Notlage.

Zeit zu handeln also. Die Klimakrise drängt, die soziale Frage ist offen, die alte Sicherheitsarchitektur in völliger Zerstörung.

Zu klären bleibt: Wie gehen wir sozialpolitisch mit den jetzt tatsächlich erfolgten, aber an sich auch ökologisch notwendigen Kostensteigerungen um?

Das ist nicht der einzige Handlungsbedarf, der sowohl sozial wie ökologisch bearbeitet werden muss: Mobilität, Artensterben, globale Lieferketten, nachhaltige Arbeitsmarktpolitik –  das sind nur einige Stichworte, die aufzeigen, wie eng verwoben Umwelt und Soziales sind.

Zehn Thesen für einen sozialen und ökologischen Neustart

Mit einfachen Konsumappellen ist es nicht getan. Wer kaum das Existenzminimum finanzieren kann, kann auch bei Preissteigerungen nicht mitgehen.

Michael David

Diese Erkenntnis bringt Umwelt- und Sozialverbände, kirchliche Akteur:innen und Selbstorganisationen von Menschen mit Armutserfahrung zusammen. Mit „Zehn Thesen für einen sozialen und ökologischen Neustart“ beschreiben Organisationen von Diakonie und Caritas über Greenpeace, WWF und NABU bis hin zu Armutskonferenz, Armutsnetzwerk und Fridays for Future die gemeinsamen Anliegen (siehe u.a.: https://www.diakonie.de/journal/zehn-thesen-fuer-einen-sozialen-und-oekologischen-neustart ; die Liste der Mitzeichnenden erweitert sich ständig)

Die Grundeinsicht: Mit einfachen Konsumappellen ist es nicht getan. Wer kaum das Existenzminimum finanzieren kann, kann auch bei Preissteigerungen nicht mitgehen. Dann fehlt das unbedingt Notwendige. Der CO2-Fußabdruck der Haushalte mit den oberen 20 Prozent der Einkommen ist um das Mehrfache größer als bei den Ärmsten. Der einfache Grund: Wer mehrere energiesparende Großgeräte hat, in der Familie zwei CO2-arme Autos fährt und auf einer großen Wohnfläche lebt, verbraucht trotzdem erheblich mehr CO2. Wer arm ist, in einer kleinen, energetisch schlechten Wohnung lebt, einen alten Kühlschrank hat und verkehrstechnisch nicht weg kann, kommt bei der CO2-Bilanz besser weg. Mitmachen müssen aber alle: Einkommensstarke Haushalte mit großem Verbrauch können über Verteuerungen und klare Regelungen zum Energiesparen angehalten werden. Haushalte mit geringen Einkommen müssen trotzdem lernen, ihr CO2-Potential zu heben, etwa mit dem Projekt „Energiesparcheck“, mit dem die energetischen Sparpotentiale im Haushalt gehoben werden. Aber auch das energetische und ökologische Existenzminimum muss verwirklicht werden. Energiesparende Geräte und Wärmedämmung müssen auch in Haushalten am Existenzminimum Standard sein.

Was nicht passieren darf: eine Lenkungswirkung allein am einzelnen Konsumgegenstand. Das belohnt die Käufer:innen von Energiespargeräten, unabhängig davon, ob sie dann in der Summe übers ökologische Limit gehen.

Soziale und ökologische Krisen sind eng verbunden

Das Beispiel zeigt, wie einerseits Umverteilungsprobleme auch im ökologischen Kontext adressiert werden müssen, andererseits aber ökologische Fragen nicht ohne Ressourcen-Umverteilung zu bewältigen sind.

Das Bündnis ist aber nicht allein auf Energie fokussiert. Die zehn Thesen beschreiben, wie soziale und ökologische Effekte in vielen Themenbereichen ineinanderwirken. Etwa:

  • Wenn das Existenzminimum zu niedrig angesetzt wird, werden die Ärmsten zu einer Dumping-Marktmacht für schlechte Billigprodukte und -nahrungsmittel, die selbst unerwünschte soziale und ökologische Folgen haben.
  • Wenn sich die Verkehrspolitik auf große Autos konzentriert, fehlen Möglichkeiten und Finanzierung für die Mobilität all derjenigen, die auf ÖPNV und Rad angewiesen sind.
  • Wenn die Landwirtschaftsförderung allein große Flächen und Produktionsanlagen im Blick hat, entstehen deutliche Fehlanreize, ökologisch schlecht zu produzieren. Es macht wenig Sinn, dass Produkte mit negativer Umweltbilanz billig sind und dass Folgekosten der Allgemeinheit aufgebürdet werden.

Die Unterzeichnenden haben den Anspruch, ein Augenmerk darauf zu legen, dass soziale und ökologische Krisen eng verbunden sind. Öko muss nicht sozial garniert werden oder Soziales noch so grade ökologisch ausgeglichen. Öko und Soziales steigern sich gegenseitig, wenn sie richtig gedacht sind. Darum ist die Vernetzung und Zusammenarbeit von Akteur:innen beider Seiten so wichtig. Wenn sie fehlt und soziale Argumente scheinbar gegen Umweltfragen helfen, geht für beide Bereiche die Reise in den Abgrund. Eine Bewegung nach vorne geht nur zusammen. Das ist deutlicher denn je.

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