War watt? Die Energiewende in Deutschland und der EU

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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11. Dezember 2014
Energiewende aktuell

Die Energiewende läuft in Deutschland anders ab als in der EU. Diese Binsenwahrheit sorgt dort, wo sie konkret wird, für Aufregung. So hatte die scheidende EU-Kommission staatliche Subventionen für das britische AKW Hinkley Point C genehmigt. Die sonst so sparsamen Briten garantieren mit dem Segen der EU-Wettbewerbskommission dem französischen Betreiber einen festen Einspeisetarif in Höhe von 10,9 ct pro kWh Atomstrom – über 35 Jahre plus Inflationsausgleich. Nun macht sich die Atomwirtschaft Hoffnung, am europäischen Investitionsprogramm zu partizipieren; mit 80 Milliarden Euro sollen Bau und Modernisierung von Atomkraftwerken in sechs europäischen Ländern gefördert werden.

Das tut weh! Die deutsche Politik hat fast im Konsens den Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie beschlossen und nun soll – finanziert auch aus deutschen Steuermitteln – in Europa der nukleare Sektor mit öffentlichen Mitteln gepäppelt werden? Noch ist nichts beschlossen. Dass die Energiewende in Deutschland und der EU unterschiedlich interpretiert wird, ist gewöhnungsbedürftig.  

Severin Fischer, Gastautor hier im Blog, von der Stiftung Wissenschaft und Politik geht in seiner Interpretation europäischer Energiepolitik noch einen Schritt weiter. Im Blog der Phasenprüfer fordert er eine Aufgabe der deutschen Klimaziele; in einer weitgehend europäisierten Energie- und Umweltpolitik seien nationale Klimaziele Muster ohne Wert, weil die Möglichkeiten einer nationalen Steuerung fehlten.  

Mit dem Hinweis auf den nicht funktionierenden europäischen Emissionshandel hatte sich auch Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel ein wenig aus der politischen Verantwortung zu verabschieden versuchtIn Kombination mit den steigenden Kosten, die ein Teilausstieg aus der Kohle nach sich ziehen würde, sieht er die wirtschafts- und klimapolitischen Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung beschränkt. Sind wir, wie Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie es formuliert, „gefangen im europäischen Emissionshandel“?   

Heute (Do., 11. Dez. 2014) verweist Gabriels Staatssekretär, Rainer Baake, in der gedruckten Ausgabe der Zeit, ebenfalls auf die europäischen Dimensionen, die eine Erreichung nationaler Klimaschutzziele erschwerten. Vor Mitte des nächsten Jahrzehnts sieht er keine Chance, die Krankheiten im europäischen Emissionshandel zu kurieren. Daher werde die Bundesregierung hilfsweise für den deutschen Stromsektor ein CO2-Emissionsbudget einführen und den Unternehmen bei den Mechanismen freie Hand lassen, wie sie die Kappungsgrenze mit einem Minderungsvolumen von 22 Mio. Tonnen CO2 einhalten.  

Baake verbindet die Verteidigung der aktuellen Energiepolitik mit einem Plädoyer für den Ausbau der europäischen Stromnetze. Gerade eine sehr dezentral funktionierende Stromerzeugung brauche eine europäische Vernetzung, denn der Stromtransport mache die Energiewende in Deutschland einfacher und kostengünstiger.  

Eex

Die Ereignisse der letzten Monate um die von der EU genehmigten Subventionen der britischen Atomwirtschaft, die Debatten um die europäischen und die deutschen Klimaziele sowie die Anmeldungen zum europäischen Investitionsfond lassen folgende Schlussfolgerungen zu: 

  1. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Europa (nicht nur in der Energiepolitik) anders tickt als wir. Wenn Briten, Franzosen und andere Nationen weiterhin in der Nutzung der Atomkraft eine Option sehen, werden wir das nur schwerlich verhindern können.
  2. Auch in einer weitgehend europäisierten Energie- und Klimapolitik bleibt hineichend Raum für nationale Gestaltung. Weder beim Ausbau der Erneuerbaren, noch beim Ausstieg der Atomkraft und schon gar nicht bei ambitionierten Anstrengungen im Klimaschutz müssen wir uns an das europäische Durchschnittstempo halten. 
  3. Ohne Europa ist alles nichts. Die europäischen Nationen allein haben auf der Weltbühne – wie jetzt beim Klimagipfel in Lima – keinen nennenswerten Einfluss. Nur in der Kooperation innerhalb der EU bekommen wir politisches Gewicht, nur als EU können wir die Energiewende gestalten.   

Und was meinen Sie?

Sollten wir bei der Energiewende in Deutschland noch stärker den nationalen Alleingang wagen? Oder plädieren Sie für eine Vertiefung der europäischen Energiepolitik? Wir freuen uns auf Ihre Meinung. 
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Update v. 13. 12.14:
Der oben erwähnte Artikel von Rainer Baake in der Zeit steht jetzt online.
Staatssekretär Baake antwortet auf einen Beitrag von Frank Drieschner, ebenfalls erschienen in der Zeit:  „Schmutziger Irrtum“.
Deutschland wird seine Klimaziele deutlich verfehlen – trotz vieler neuer Windräder und Solaranlagen. Wie konnte das geschehen?
Die Debatte – nebst den umfangreichen Kommentaren dort – sei ausdrücklich zur Lektüre empfohlen.

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  1. Thorsten Zoerner

    vor 9 Jahren

    Die Energiewende ist in 2 von 3 Punkten nicht Deutsch.

    1. Physik = S.h. Denkgrafik bei mir im Blog => Google: "Stapellauf Norwegian Pearl Stromausfall"
    2. Ökonomie => Google: "Karussellgeschäfte stromhandel"
    3. Regulatorisch => Da sind wir noch auf Deutschland beschränkt, was den zweiten Teil der Frage bestätigt "Energiepolitik".

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