Energiewende mit Akzeptanzverlust in der Wirtschaft

Gastautor Portrait

Jakob Flechtner

Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK)

Jakob Flechtner hat in Münster und Berlin Volkswirtschaftslehre und in Paris Internationale Beziehungen studiert. Anschließend hat er mehrere Jahre das Büro eines Europaabgeordneten in Brüssel geleitet. Seit 2011 ist er als Referatsleiter für den DIHK tätig, zunächst in Brüssel für europäisches Umweltrecht und seit 2013 in Berlin für Energiepolitik. Sein thematischer Schwerpunkt liegt im Bereich Strommarktgestaltung, Versorgungssicherheit und Stromnetze.

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10. Dezember 2018

Auch 2018 hat die IHK-Organisation Unternehmen zur Energiewende befragt. Knapp 2.200 Betriebe haben Fragen zu den Auswirkungen der Energiewende auf ihr Unternehmen, zu eigenen Maßnahmen und zu den wichtigsten Baustellen für die Politik beantwortet. Dabei zeigt sich: Die Wirtschaft schaut wieder kritischer auf die Energiewende.

Stimmung auf der Kippe

Grafik: DIHK

Über alle Branchen, Unternehmensgrößen und Regionen hinweg sehen die Unternehmen wieder mehr Risiken als Chancen. Auf einer Skala von -100 („sehr negativ“) bis +100 („sehr positiv“) bewerten die Unternehmen die Auswirkungen der Energiewende auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit durchschnittlich mit -2,1. Erstmals seit 2014 fällt die Bewertung damit schlechter aus als im Vorjahr. Mehr noch: In den Jahren 2016 und 2017 lag der Barometerwert sogar im positiven Bereich (2017: +1,0; 2016: +0,8).

Deutlich kritischer ist, wie bereits in den Vorumfragen, die Bewertung seitens der Industrie (Barometerwert -13,9). 38 Prozent der Industrieunternehmen sehen einen negativen Einfluss auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Lediglich 17 Prozent können von der Energiewende profitieren. Hier macht sich die höhere Energieintensität des produzierenden Gewerbes im Vergleich zu anderen Branchen bemerkbar. Unterschiede in der Bewertung bestehen auch zwischen Unternehmen verschiedener Größen. Während sehr kleine und sehr große Unternehmen die Chancen höher als die Risiken einschätzen, überwiegen im Mittelstand die Risiken. Dieser kann seltener Ausgleichsregelungen beim Strompreis in Anspruch nehmen und ist daher häufig direkt von Strompreissteigerungen betroffen.

Risiko Preisentwicklung

Auslöser für die kritischere Bewertung sind in erster Linie die steigenden Energiekosten, nicht nur bei Öl und Gas. Fast 40 Prozent der Unternehmen berichten 2018 von steigenden Stromkosten, mehr als die Hälfte von steigenden Energiekosten. Die Strompreise in Deutschland gehören zu den höchsten im internationalen Vergleich, insbesondere für den Mittelstand. 2019 werden die Strompreise für viele Unternehmen weiter steigen. Auch für die weitere Zukunft müssen sich Unternehmen auf Preissteigerungen einstellen. Netzentgelte und der aktuell diskutierte Ausstieg aus der Kohleverstromung könnten sich als Kostentreiber erweisen. Hinzu kommt der Anstieg der Strompreise in Folge gestiegener Emissionshandelspreise.

Entsprechend gehört eine Entlastung bei den Stromkosten zu den Top 3-Forderungen der Unternehmen an die Politik (63 Prozent). Eine für fast alle Unternehmen wirksame Entlastung könnte darin bestehen, einen Teil der Netzentgelte oder der EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren.

Versorgungssicherheit weiter auf hohem Niveau

Eine für fast alle Unternehmen wirksame Entlastung könnte darin bestehen, einen Teil der Netzentgelte oder der EEG-Umlage aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren

Deutsche Industrie- und Handelskammertag e.V.

Ausfälle in der Energieversorgung, aber auch kurze Unterbrechungen oder Spannungsschwankungen beim Strom, können den Betriebsablauf einschränken oder lahmlegen. Das gilt insbesondere bei digitalisierten Geschäfts- und Produktionsprozessen. Entsprechend hoch sind die Anforderungen der Unternehmen an eine sichere und stabile Energie- und Stromversorgung. Grundsätzlich ist das Niveau der Versorgungssicherheit in Deutschland sehr hoch – auch im internationalen Vergleich.

Probleme mit der Versorgung sind bei Unternehmen dennoch verbreiteter als es Kennzahlen wie der SAIDI-Wert erwarten lassen. Fast ein Viertel der Unternehmen hatten in den zwölf Monaten vor der Befragung Probleme mit der Versorgung. Über alle Branchen hinweg waren 17 Prozent von Stromausfällen unter drei Minuten betroffen, in der Industrie 26 Prozent. Solche Kurzzeitunterbrechungen werden statistisch nicht erfasst. In fast jedem zehnten Unternehmen führten Ausfälle zu einer Einschränkung der Geschäftstätigkeit, in der Industrie sogar in jedem fünften Unternehmen. Insgesamt fällt damit die Bewertung der Versorgungssicherheit leicht schlechter als in den Vorjahren aus.

Unternehmen als Mitgestalter der Energiewende

Für die ganz überwiegende Mehrheit der Unternehmen gehört die Energiewende nicht zum eigenen Kerngeschäft. Es wäre aber zu kurz gesprungen, diese Unternehmen auf die Rolle der Umlagen- und Abgabenzahler zu reduzieren. Viele Betriebe nehmen Maßnahmen im Sinne der Energiewende vor oder planen dies. Dazu gehören die Steigerung der Energieeffizienz (78 Prozent), die Installation von Anlagen zur Eigenerzeugung (43 Prozent), die Nutzung von E-Fahrzeugen (43 Prozent), der Bezug von Ökostrom (37 Prozent) und die Anschaffung von Stromspeichern (19 Prozent). Eine echte Hürde stellt bei solchen Vorhaben allerdings die damit einhergehende Bürokratiebelastung dar, insbesondere für die Messung und Abgrenzung von Stromverbräuchen. Klare und einfach handhabbare Regelungen würden Unternehmen sehr helfen, die Energiewende noch aktiver mitzugestalten.

Die zentralen Ergebnisse des DIHK Energiewende-Barometers 2018
Die zentralen Ergebnisse des DIHK Energiewende-Barometers 2018

Grafik: DIHK

Schwerpunkt Energieeffizienz

Der Anteil der Unternehmen, die Energieeffizienzmaßnahmen umsetzen oder umsetzen wollen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Dabei stehen Investitionen in effiziente Technologien (78 Prozent) an erster Stelle. Unternehmen setzen zudem in den ersten Schritten auf niederschwellige Angebote wie Information und Qualifizierung von Mitarbeitern (73 Prozent). Aber auch andere Maßnahmen, wie die Einbindung externer Dienstleister (40 Prozent), die energetische Gebäudesanierung (35 Prozent) sowie die Einrichtung eines Energie- (28 Prozent) oder Umweltmanagements (26 Prozent) gewinnen an Bedeutung.

Klar ist aber auch, dass sich mit fortschreitender Aktivität die Grenzkosten weiterer Maßnahmen und Amortisationszeiten verlängern. Es wird schwieriger, wirtschaftlich zu realisierende Potenziale zu identifizieren und zu heben. Um bei der Energieeffizienz echte Fortschritte zu verzeichnen, bedarf es nicht nur effizienter Anlagen. Ziel muss vielmehr sein, ein effizientes Gesamtsystem der Energieversorgung über Sektorengrenzen hinweg zu entwickeln. Dafür ist die Operationalisierung des im Koalitionsvertrag verankerten Prinzips „Efficiency First“ u.a. über einen Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE) 2.0 erforderlich.

Erwartungen an die Politik

Zwischen den Jahren 2014 und 2017 ist der Wert des IHK-Energiewendebarometers kontinuierlich angestiegen und konnte in den positiven Bereich vorstoßen. Die Energiewende schien aus Sicht der Unternehmen auf einem akzeptablen Weg zu sein. Diese positive Entwicklung hat zumindest vorläufig ein Ende gefunden. Handlungsbedarf sehen die Unternehmen vor allem beim Netzausbau (78 Prozent), der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren (66 Prozent) und der Senkung von Steuern und Abgaben auf den Strompreis (63 Prozent).

Eine Mehrheit der Unternehmen (59 Prozent) fordert aber auch eine bessere Abstimmung der politischen Maßnahmen. Hier zeigt sich: Die Politik steht vor der Herausforderung, der zunehmenden Komplexität der energiewirtschaftlichen Regulierung zu begegnen. Nach Einschätzung des DIHK kann dies nur gelingen, wenn die Politik konsequenter auf Wettbewerb, Technologieoffenheit, Digitalisierung und Abbau bürokratischer Lasten setzt.

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