War watt? Energiepolitik ist nicht wichtig

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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28. Januar 2016
War watt? ist die energiepolitische Kolumne von Hubertus Grass. Hier geht es um die Energiewende. Wie bekommen wir die gut hin?

Wird die Provokation funktionieren? Sind Sie beim Lesen bis an diese Stelle gelangt, weil die Überschrift ihren Widerspruch anregte? Das war Absicht. Aber, lieber Leser, liebe Leserin, Ihre Einschätzung trügt. Energiepolitik ist wirklich völlig unwichtig geworden. Woher ich meine Weisheit nehme? Objektiv aus den Verschiebungen im Parteiensystem, subjektiv fällt in jeder zweiten energiepolitischen Debatte der Satz: „Das interessiert zur Zeit niemand.“ Heute schreibe ich gegen dieses Desinteresse an.

Energiepolitik bei den Landtagswahlen

In sechs Wochen, am 13. März, werden in den Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt neue Landtage gewählt. Die Umfrageergebnisse in allen BaWüBundesländern variieren in den letzten Monaten sehr stark. Die monokausale Ursache für diese heftigen Veränderungen ist bekannt.
Weniger bekannt ist, dass die Bundesländer kaum Einfluss auf die Flüchtlingspolitik haben. Grenzen zu, Grenzen auf – das ist nicht die Sache der Länderparlamente. Ganz anders in der Energiepolitik. Auch hier ist in erster Linie der Bund zuständig. Weil die Auswirkungen der Energiepolitik zahlreiche Politikbereiche betreffen, läuft in diesem Bereich wenig bis nichts ohne den Einfluss der Länder. Mehr Windkraftanlagen oder weniger? Darüber entscheidet die Landespolitik ebenso wie über die Zulässigkeit von Bergbauprojekten. Selbst beim Atomrecht, das beim Bund liegt, sind die Länder als Aufsichtsbehörden im Bundesauftrag Herren der Verfahren und damit alles andere als einflusslos.

Man unterschätze auch nicht den Einfluss der Landespolitik auf die Energie-Effizienz und den Einsatz von Energieträgern in Industrie, Gewerbe und Privathäusern. Über das Baurecht bis hin zu den B-Plänen der Städte und Gemeinden können Land und Kommunen Vorschriften erlassen und im Detail regeln, welche Feuerstätten erlaubt und welche verboten sind.
Ähnlich einflussreich sind Länder und Kommunen im Verkehrsbereich, der ja auch Teil der Energiewende ist (oder zumindest sein sollte). Großstädte, die EU-Recht konsequent anwenden, können den Autofahrern das Leben schwer und den Nutzern des ÖPNV das Leben leicht machen. Und last but not least hat jedes Bundesland einen eigenen Strauß an Förderprogrammen auch im Energiebereich aufgelegt, wo die Bundesprogramme nach eigenen Vorstellung der Länder ergänzt werden.

Energiepolitik: Was die Parteien sagen…

Wer Einfluss anstrebt, sollte vor der Wahl sagen, wie man diesen im Falle des Wahlerfolgs zu nutzen gedenkt. Das machen auch mittlerweile alle Parteien in einer gebotenen Gründlichkeit. Es gibt also keinen Grund, der Energiepolitik so wenig aufmerksam zu schenken, wie dies gegenwärtig geschieht. Niemand muss mehr sagen: Das haben wir nicht gewusst.
Noch nie war es so einfach, die Pläne der Parteien in der Energiepolitik zu recherchieren und zu vergleichen. Alle Landtagswahlprogramme sind im Internet zu finden. Kurzinformationen finden Sie auf den Seiten der jeweiligen Landeszentralen für politische Bildung in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.

SAnhalt

Eine Bresche für die Rationalität

Energiepolitik bestimmt unser Leben. Von der ersten Tasse Kaffee am Morgen bis zum Bus, der RLPuns abends nach dem Kino nach hause bringt, ob Wirtschafts- oder Gesundheitspolitik, ob Naturschutz, Lärmschutz oder Klimaschutz: Die Energiepolitik hat fast immer ihre Hände im Spiel. Darum sollte in einem Wahlkampf in einer funktionierenden Demokratie über die Energiepolitik gestritten werden. Alles andere wäre nicht rational.
Augenblicklich sieht es aber so aus, dass – ganz anders als vor fünf Jahren nach dem Erdbeben in Fukushima – die Energiepolitik keinerlei Einfluss auf das Ergebnis der Landtagswahlen haben wird. Gibt es für die Vernunft keinen Platz mehr im Wahlkampf? Weht der leichte Hauch einer Bananenrepublik über dem Wahltag am 13.März?
Die Energiepolitik ist viel zu wichtig, als dass wir dieses Thema übergehen können. Lesen Sie in den Landtagswahl-Programmen nach, was die Parteien wollen (das kann mitunter sogar amüsant sein), sprechen Sie die Kandidatinnen und Kandidaten auf die Energiepolitik an. Sorgen Sie dafür, Landtagswahlen nicht nach dem Gefühl entschieden werden. Dafür sind sie viel zu wichtig.

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  1. Windmüller

    vor 8 Jahren

    Kompliment für den gut geschriebenen Artikel ! Es ist leider so, dass die Politik nicht in der Lage ist, sachlich Politik zu machen, oft wird auf Stimmungmache gesetzt. Wie oft hat man Ökostrom als Kostentreiber diffamiert. Nun erleben wir in diesen Tagen, dass EdF aus Frankreich die Investitionsentscheidung für Hinkley Point C zum 9. mal verschoben hat. ( in Worten Neun ). Komisch - wenn man bedenkt, dass Atomstrom der billigste Strom ist.

  2. David Bruchmann

    vor 8 Jahren

    Zum Satz "Komisch – wenn man bedenkt, dass Atomstrom der billigste Strom ist.":

    - Nun ob er das ist, oder sein soll sind zwei unterschiedliche Dinge.
    - Komisch ist die Verschiebung aber besonders unter dem Hintergrund, daß Hinkley Point C quasi die genehmigte Lösung zum Geldscheffeln ist, da es enorm und langfristig subventioniert werden soll.

    Interessant wäre es, die konkreten Gründe für die Verschiebungen zu wissen.

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