Bürgerenergiegenossenschaften sind wichtige Akteure der Energiewende

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Elisabeth Strobel

Vorsitzende Verband der Bürgerenergiegenossenschaften Baden-Württemberg

Elisabeth Strobel ist seit 2009 ehrenamtliche Vorsitzende des Verbands BürgerEnergiegenossenschaft in Baden-Württemberg (VBBW). Der Verband zählt 72 Bürgerenergiegenossenschaften und über 19.500 Mitglieder. Für ihre über 30-jährigen Verdienste um das Gemeinwohl wurde ihr Anfang 2022 die Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg

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11. Mai 2022

Die Energiewende muss dringend umgesetzt werden – Lösungen hierfür stehen und fallen oft mit dem aktiven Engagement der Menschen vor Ort. In Bürgerenergiegenossenschaften (BEGs) wird die lokale Energieversorgung von den Bürgerinnen und Bürgern, sowie Kommunen, Unternehmen und Institutionen selbst gestaltet und umgesetzt. Auf diesem Weg tragen die BEGs wirksam zum Umbau des Energiesystems in eine fossilfreie Zukunft bei. Mit der aktuellen politischen Entwicklung könnte es wieder heißen “volle Kraft voraus” für die Energiewende und die Bürgerbeteiligung. Das Osterpaket macht teils Hoffnungen.

Neue Chancen für die Bürgerenergie mit dem Osterpaket

Bürgerenergiegenossenschaften ermöglichen, dass regional viele Menschen teilhaben können und mit eingebunden werden.

Elisabeth Strobel

Im Anfang April veröffentlichten Überblickspapier der Osterpakets gibt unter der Überschrift Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 13 Punkte mit Änderungen, die anstehen. Unter Punkt acht heißt es: „Im Interesse der Akteursvielfalt, der Akzeptanz vor Ort und des Bürokratieabbaus werden Wind- und Solarprojekte von Bürgerenergiegesellschaften von den Ausschreibungen ausgenommen. Bürgerenergieprojekte können demnach künftig auch realisiert werden, ohne dass sie zuvor an einer Ausschreibung teilnehmen müssen. Dies ist aufgrund der Vorgaben der Klima-, Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien der Europäischen Kommission auf Windprojekte bis 18 MW und Solarprojekte bis 6 MW begrenzt.“

Das klingt im ersten Moment positiv, da gerade die Ausschreibungen in den vergangenen Jahren mit ein Grund dafür waren, dass Bürgerenergiegenossenschaften deutlich seltener zum Zuge kamen, wenn es um Erneuerbare-Energien-Anlagen aus Bürgerhand ging. Aber eine Sache ist an dieser Stelle dennoch mit einem Alarmzeichen zu betrachten: Bürgerenergiegesellschaften und Bürgerenergiegenossenschaften sind zwei paar Stiefel. Über diesen Begriffs-Unterschied sollte man sich bewusst sein (siehe Video-Interview „Nicht das Gleiche: Bürgerenergie-Gesellschaften und Bürgerenergie-Genossenschaften“), denn in der Praxis hat in der Vergangenheit leider diese kleine Verschiebung der Begrifflichkeit dazu geführt, dass eingetragene Genossenschaften gegenüber anderen Rechtsformen, die sich als Bürgerenergiegesellschaften gegründet haben, das Nachsehen hatten. Das darf in 2022 und Folgejahren nicht mehr passieren – andernfalls wäre das Osterpaket erneut kein Booster für die Bürgerenergie aus der Mitte der Gesellschaft, sondern lediglich eine kleine Brise. Damit könnte die Energiewende nicht immens beschleunigt werden, schon gar nicht im Tesla-Tempo, wie von Vizekanzler Robert Habeck gefördert.

Bürgerenergiegenossenschaften ermöglichen, dass regional viele Menschen teilhaben können und mit eingebunden werden. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde deutlich, welchen Beitrag die Zivilgesellschaft und das Ehrenamt in Deutschland für die Energieversorgung leisten kann. BEGs betreiben einen relevanten Anteil an Kraftwerken in den Bereichen Wind, Solarenergie, Biomasse, Wasser und Blockheizkraftwerken. Außerdem werden inzwischen auch Wärmenetze und zuletzt vermehrt die Ladesäulen-Infrastruktur für die Elektromobilität von BEGs gebaut und betrieben.

Das Konzept, Kapital für Energieprojekte in der Heimat zu binden hat sich bewährt und weiterhin Zukunft. Das zeigt die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in zahlreichen Genossenschaften und auch die Bandbreite des Engagements, mit dem die Wirtschaft ökologisch gestärkt wird. So zählt unser Verband in Baden-Württemberg 72 Mitglieds-Bürgerenergiegenossenschaften mit über 19.000 Mitgliedern.

Ausbau der Erneuerbaren Energien im Tesla-Tempo

Auch die wichtige Rolle der Bürgerenergie fand nun endlich Eingang in das Regierungsprogramm.

Elisabeth Strobel

Die aktuelle Bundesregierung hat ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm in den Koalitionsvertrag aufgenommen – das ließ Ende letzten Jahres aufhorchen. Auch die wichtige Rolle der Bürgerenergie fand nun endlich Eingang in das Regierungsprogramm. Unter anderem wurden folgende Ziele beschlossen: Zwei Prozent der Landesfläche werden für den Ausbau der Erneuerbarer Energien mit Windkraft und Freiflächenphotovoltaik bereitgestellt. Hinzu kommen zahlreiche verfügbare Dachflächen, die in Zukunft auch für die Solarenergie genutzt werden sollen. Für gewerbliche Bauten soll diese Nutzung der Dachflächen laut dem Koalitionsvertrag verpflichtend, für private Bauten zum Standard werden. Die Solarenergie-Kapazität soll bis 2030 auf 200 Gigawatt ausgebaut werden. Zum Vergleich: Bis Herbst 2021 waren zirka 59 GW Solarleistung in Deutschland installiert. Um die Umsetzung des Ziels effektiver zu gestalten, heißt es im Koalitionsvertrag, müssen administrative Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden: Netzanschlüsse und die Zertifizierung werden beschleunigt, Vergütungssätze angepasst, die Ausschreibungspflicht für große Dachanlagen und die Deckel geprüft. Aus dem Koalitionsvertrag heißt es hierzu passend: „Wo bereits Windparks stehen, muss es ohne großen Genehmigungsaufwand möglich sein, alte Windenergieanlagen durch neue zu ersetzen.“ Zudem sollen innovative Konzepte wie Agri- und Floating-PV mehr unterstützt werden.

Kommunale Wärmeplanung und Ausbau der Wärmenetze

Auch Wärme soll mit der Ampel-Regierung in Zukunft im Rahmen einer Biomasse-Strategie nachhaltiger erzeugt werden. So lautet das Ziel, bis 2030 fünfzig Prozent der Energieumwandlung für Wärme klimaneutral stattfinden zu lassen. Zudem müssen ab Anfang 2025 neu installierte Heizungen auf Basis von mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden. Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. sagt hierzu, dass dies wichtige Signale für die Verdichtung bestehender genossenschaftlicher Nahwärmenetze seien. Auch in diesem attraktiven Bereich der Bürgerenergie steigen bereits die Mitgliederzahlen und Einlagen.

Besonders geeignet für die Organisation in Bürgerhand ist der Aufbau und Betrieb von Ladesäuleninfrastruktur sowie Carsharing-Angeboten. Auch hier sind in der aktuellen Legislaturperiode weniger Hemmnisse bei Genehmigungsprozessen und bessere Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen zu erwarten. Deutschland soll laut der Bundesregierung ein sogenannter Leitmarkt für Elektromobilität werden – hierbei unterstützen auch BEGs mit Infrastruktur als Vorreiter der Energiewende-Umsetzung. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Akzeptanz-schaffende Beitrag der BEGs: Durch lokales Engagement vieler Einzelner wird die Energiezukunft greifbar. Die Gemeinden und Kommunen profitieren darüber hinaus natürlich auch durch eine aktivere Bevölkerung und attraktive Infrastruktur. Die Kommune einer unserer BEGs hat in 2021 den European Energy Award erhalten, ein Zeichen für das Engagement in der Kommune, welches in dieser Form ohne die Unterstützung der Bürger nicht ohne weiteres möglich wäre.

Aktuelle Herausforderung für Bürgerenergiegenossenschaften

Selbstverständlich gehen mit dem Engagement auch Herausforderungen einher. Aktuell problematisch ist das Auslaufen der staatlichen Förderung für die Einspeisung in das öffentliche Stromnetz. Klassische Geschäftsmodelle, die primär auf der Einspeisung von Strom aus Photovoltaik-Anlagen basieren, sind wirtschaftlich oft nicht mehr tragfähig. Seit 2021 endete für erste Anlagen die garantierte Einspeisevergütung und erfordert damit neue Geschäftsmodelle. Um in Zukunft neue wirtschaftlich tragfähige Ideen zu etablieren und nachhaltig zu sichern, unterstützt das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg sehr praxisnah die BEGs.

„Bürger voller Energie“: nachhaltigen Erfolg sichern

Die zunehmenden Anforderungen des Energiemarktes lassen uns als Genossenschaften immer öfter an unsere Grenzen stoßen.

Elisabeth Strobel

Das Projekt “Bürger voller Energie” des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft soll die Neuausrichtung der BEGs begleiten. In Kooperation mit dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband e.V. (BWGV) und dem Verband der BürgerEnergiegenossenschaften in Baden-Württemberg (VBBW e.V.) werden die Genossenschaften mit Workshops, Coachings, Materialien und Leitfäden zur Neugründung in ihrer Weiterentwicklung gefördert.

Die zunehmenden Anforderungen des Energiemarktes lassen uns als Genossenschaften immer öfter an unsere Grenzen stoßen. In den letzten zehn Jahren meiner ehrenamtlichen Tätigkeit für den VBBW e.V. habe ich bemerkt, dass große Herausforderungen häufig in der Organisationsstruktur der BEGs liegen. Für ehrenamtlich geführte BEGs ist es nur sehr schwer zu bewältigen, alternative, wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln, so die Rückmeldung, die uns erreichen. Häufig besteht die Notwendigkeit einer strategischen Neuausrichtung. Hierfür müssen interne Strukturen und Organisationsabläufe verändert werden. Die meist kostenfreien “Zukunftsworkshops” aus dem Projekt „Bürger voller Energie“ thematisieren die Etablierung eines neuen Geschäftszweiges bis hin zur vollständigen Umstrukturierung der Organisationsabläufe. Zusätzlich unterstützen Veranstaltungen, Dialogformate und Workshops die Bildung von Netzwerken und Kooperationen. Auf diese Weise entstehen neue Projektideen und die Umsetzung kann von Erfolgsbeispielen inspiriert werden.

Lokal erzeugen und verbrauchen – BEGs als lokaler Stromanbieter

Ziel der BEGs ist es, gemeinschaftlich Projekte in die Tat umzusetzen. “Was einer alleine nicht schafft, schaffen viele gemeinsam.”, war von Beginn an das Motto bei den Gründungsmitgliedern in Baden-Württemberg. So wurden Kooperationen und Vernetzung unter Gleichgesinnten sofort zu einem Effizienzvorteil gemacht, Wissen geteilt, Risiken minimiert und die gemeinsame Wirkung maximiert. Ein Beispiel für aktive Kooperation ist die regionale Strommarke BiberEnergie, die aus dem Zusammenschluss von fünf Genossenschaften aus der Region und einem regionalen Stromanbieter entstand. Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender der BürgerEnergiegenossenschaft Riss in Oberschwaben im Südwesten Deutschlands erzählte in der Phase der Gründung: „Es machte wenig Sinn, dass jeder für sich alleine arbeitete. Vor vier Jahren haben wir uns zusammengetan, um unseren eigenen Regionalstrom anzubieten“. So entstand ein neuartiger regionaler Marktplatz für Strom, getragen von der Motivation der Menschen, regionale Produkte zu produzieren und zu nutzen. Das Konzept lässt sich im Prinzip mit dem Hofladen auf dem Bauernhof nebenan vergleichen. Allerdings ist uns wichtig zu betonen, dass es sich bei BEGs meist nicht um Konkurrenz zu den lokalen Stadtwerken handelt, sondern mehr um Kooperationspartner. Oftmals wickeln die Stadtwerke die komplexen energiewirtschaftlichen Prozesse für die BEGs ab, denen somit ermöglicht wird, wie ein virtuelles Kraftwerk zu funktionieren. Die fünf Genossenschaften und der Stromanbieter rückten auch vertraglich in Form eines juristischen Kooperationsvertrags zusammen. In ihm wurde der finanzielle Rahmen festgelegt und geregelt, wer welche Aufgaben und Pflichten hat.

Gleichgesinnte suchen, Nachwuchs finden und neue Projekte vor Ort starten

Um auch in Zukunft ein solides Netz an regional erzeugter Energie zu ermöglichen, braucht es tatkräftigen Nachwuchs.

Elisabeth Strobel

In Baden-Württemberg gibt es die höchste Dichte an Energiegenossenschaften. Um gemeinsam die Energiewende zu stemmen und das Klima zu schützen, braucht es engagierte Bürgerinnen und Bürger – und davon gibt es im Südwesten zum Glück eine ganze Menge. Um auch in Zukunft ein solides Netz an regional erzeugter Energie zu ermöglichen, braucht es tatkräftigen Nachwuchs. An Projektideen und Finanzierung fehlt es nicht – an Nachwuchs durchaus schon. Wer sich früh auch im Rahmen einer BEG engagiert, kann einen einfachen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele erreichen. Dass wir uns auf neue junge Köpfe mit neuen Ideen freuen, darin sind sich vermutlich alle, teilweise seit mehr als zwanzig Jahren aktiven Ehrenamtlichen einig. Mit der “jungen Generation” sind aber nicht nur die Aktivisten aus der Fridays-for-Future-Generation gemeint, sondern auch die Menschen, die bereits über eine fundierte Ausbildung und Berufserfahrung verfügen und rasch neue Projekte rund um Solarenergie und Windkraft, Nahwärmenetze, Energieeffizienz-Projekte und vieles Mehr umsetzen können. Die Energiewende ist komplex und vielschichtig und braucht nicht nur Pioniere, sondern auch erfahrene Profis mit Lust auf neue Perspektiven der kooperativen Gestaltung des Energiesystems.

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