Die „zweite Phase“ der Energiewende
Im Jahr 2011, nach einer wechselhaften Geschichte politischer Atomausstiegs-, -wiedereinstiegs- und ‑wiederausstiegsbeschlüsse, kam die deutsche Energiewende. Der damalige Umweltminister Altmaier zeigte ein Jahr später im Interview mit der „Welt“ Aufbruchsstimmung. Jedes Land brauche alle paar Jahrzehnte ein Projekt, das fasziniere und banne: „Das war die Mondlandung der Amerikaner. (…) Und jetzt kommt die Energiewende.“ In der Tat haben wir in unerwartet kurzer Zeit ein technologisch sehr fern scheinendes Ziel erreicht – rund ein Drittel des deutschen Strommixes stammt inzwischen aus Erneuerbaren, in Ostdeutschland ist es sogar mehr als die Hälfte. Im Inland ist man sich unsicher, ob das angesichts offener Fragen über Kosten, Netzausbau und Windkraftstandorte als Erfolg zu erachten sei; im Ausland jedenfalls zollt man uns viel Anerkennung für diese Etappe der Energiewende.
Verfehlt haben wir hingegen unsere ambitionierten Ziele zur Senkung des CO2-Ausstoßes, was maßgeblich an den Mobilitäts- und Wärmesektoren liegt. Wenn nun über den Eintritt in die „zweite Phase der Energiewende“ gesprochen wird, fällt fast immer der Begriff der „Sektorkopplung“, welche im engeren Sinne die Elektrifizierung des Mobilitäts- und Wärmesektors sowie die elektrochemische Synthese von (Kohlen-)Wasserstoff meint. Nur mittels Sektorkopplung scheinen jetzt Lösungen greifbar, um erstens die Dekarbonisierung (also den Ersatz fossiler Brennstoffe) der nichtelektrischen Energiesektoren voranzutreiben und zweitens ausreichende Flexibilitätspotenziale zu schaffen, mit deren Hilfe auch große Mengen volatiler Erneuerbarer aus Wind und Sonne effizient ins Energiesystem integriert werden können.
Damit aus der Energiewende eine „deutsche Mondlandung“ wird, braucht es noch mehr. „Risiken ernst nehmen, aber noch stärker die Chancen umarmen“, sagte Minister Altmaier. Hier kündigt sich die Suche nach einer Energiewende-Erzählung an, welche über die unbestrittene Notwendigkeit des Klimaschutzes hinausgeht und den Fokus auf die Chancen legt, die aus Technologieführerschaft, innovativen Arbeitsplätzen, sauberer Luft und nicht zuletzt auch einem gewissen sportlichen Ehrgeiz entspringen.
WindNODE als Modellregion für intelligente Energie
Am Eingang zur „zweiten Phase der Energiewende“ steht WindNODE als eines der fünf „Reallabore“, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) als „Schaufenster für intelligente Energie“ (SINTEG) fördert. Ziel ist es, große Mengen erneuerbaren Stroms effizient ins Energiesystem zu integrieren und zugleich die Stromnetze stabil zu halten. Über 70 WindNODE-Partner – 50Hertz und mehrere Verteilungsnetzbetreiber, Stromerzeuger, industrielle und gewerbliche Nutzer, Technologieunternehmen und Forschungseinrichtungen – arbeiten gemeinsam an übertragbaren Musterlösungen, die auch außerhalb der WindNODE-Region die Energiewende voranbringen können. WindNODE umfasst alle ostdeutschen Bundesländer inklusive Berlin. Dünn besiedelte Gegenden mit üppigen Windkraftkapazitäten sind mit urbanen Lastzentren und rund 11 Millionen Stromnetzanschlüssen verbunden. Schon heute kommt der hiesige Strommix zu mehr als 50% aus Erneuerbaren. Bei WindNODE arbeiten wir an vier großen Handlungsfeldern.
Sektorübergreifende Nutzung von Daten
- Flexibilitäten auffinden. Wir identifizieren mustertypische Nutzer in der Industrie (z.B. BMW und Siemens), im Gewerbe (z.B. Lidl und Kaufland, aber auch die städtischen Infrastrukturunternehmen in Berlin) und in großen Wohnquartieren, die ihren Energiebedarf flexibel an die schwankende Einspeisung aus Wind- und Solarkraftwerken anpassen können. Eine zentrale Rolle spielen Anwendungen der Sektorkopplung, die bei uns insbesondere durch Power-to-Heat (von dezentralen, kleinteiligen Elektroheizungen im Projektgebiet der WEMAG bis hin zu Europas größter PtH-Anlage mit 120 MW bei Vattenfall in Berlin) und in der Kombination von Wärme- und Kälte-Anlagen (GASAG Solution Plus in Berlin und beim ILK Dresden), sowie mit gesteuertem Laden von Elektrofahrzeugen abgebildet sind.
- Flexibilitäten nutzen. Auf unserer Flexibilitätsplattform können verfügbare Flexibilitätspotenziale angeboten werden und der Entlastung von Netzengpässen dienen. Mit dieser Netzengpassbewirtschaftung erproben wir neue Marktmechanismen, die helfen können, Netze noch effizienter zu nutzen.
- Nutzen von Daten klären. Wir beschäftigen uns mit der sektorübergreifenden Nutzung von Daten und suchen nach neuen, datengetriebenen Geschäftsmodellen. Die Open-Data-Plattform stellt hierzu anonymisierte und aggregierte Daten transparent zur Verfügung. Community-Veranstaltungen (z. B. „Hack-days“) und die „WindNODE Challenge“ binden gezielt Kreative und Start-ups ein. Die Aufbereitung und Visualisierung großer, komplexer Datenmengen unterstützt Entscheidungsträger und informiert die interessierte Öffentlichkeit. Wir beschäftigen uns mit der sektorübergreifenden Nutzung von Daten und suchen nach neuen, datengetriebenen Geschäftsmodellen.
- Schaufenster sein. WindNODE lädt zum Anfassen und Mitmachen ein. Über 20 „besuchbare Orte“ machen unsere Lösungen für das intelligente Energiesystem in Demonstratoren und Showrooms erlebbar. Mit Formaten wie „Energie und Kunst“, „Strom zum Begreifen“ oder der „WindNODE Challenge“ erproben wir, wie kreative und partizipative Zugänge zur Energiewende gelingen können.
Übergang von der Strom- zur Energiewende
Wird Deutschland den Übergang von der Strom- zur Energiewende schaffen? Den Rückstand in der Erreichung unseres 40-%-Reduktionsziels für den Treibhausgasausstoß werden wir wohl kaum mehr bis 2020 aufholen. Erfreulich ist aber, dass die neue Bundesregierung die Bedeutung der Sektorkopplung erkannt und im Koalitionsvertrag verankert hat – übrigens ebenso wie die Rolle der „Reallabore“ als eine neue Säule der Energieforschung. Weniger klar ist hingegen, wie der erforderliche regulatorische Rahmen hergestellt werden soll, damit die Sektorkopplung außerhalb von F&E-Vorhaben zum Durchbruch kommt. Der designierte Wirtschafts- und Energieminister hat bereits in frühen Phasen der Energiewende viel Leidenschaft gezeigt. Es bleibt ihm und uns zu wünschen, dass er die Energiewende in der neuen Legislaturperiode tatsächlich erfolgreich zur „deutschen Mondlandung“ macht.
Zum Weiterlesen geht es hier zum Web-Auftritt von Windnode.
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