War Watt? Frust und Deeskalation

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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04. Oktober 2018

Ein unerfüllter Weihnachtswunsch

Ende letzten Jahres hatte ich an dieser Stelle einen Weihnachtswunsch geäußert. Meine Adressaten waren die Parteien CDU, CSU und SPD, die damals ihren Koalitionsvertrag aushandelten. Der Inhalt meines Wunsches war simpel: eine Bepreisung von CO2. Ob meine Kolumne von den Spitzen der Parteien nicht gelesen wird, ob die damaligen Verhandler die zahlreichen anderen Ratgeber nicht zur Kenntnis nehmen wollten oder konnten – wie wir wissen, nahm der Koalitionsvertrag auf meinen Weihnachtswunsch keine Rücksicht. Das allein verursacht noch keinen Frust.

Umfragen zeigen seit langem, dass die Bevölkerung zutiefst unzufrieden ist, wie die Energiewende gemanagt wird. Eine große Mehrheit will die Energiewende, lehnt aber die Art und Weise der Umsetzung bzw. der Untätigkeit ab. Bei der Arbeit, die der Bundesrechnungshof verrichtet, spielt die Demoskopie keine Rolle. Seine Aufgabe ist die Überprüfung, ob die öffentlichen Finanzmittel sachgerecht eingesetzt und die Vorschriften eingehalten wurden. Umso erstaunlicher, dass das Sondergutachten des Bundesrechnungshofes zur Energiewende mit den Ergebnissen der Befragung übereinstimmt. 74 Prozent der Deutschen meinen, die Energiewende müsse besser organisiert werden. Das sagt auch der Bundesrechnungshof. Und auch in Bezug auf eine Lösung des Problems stimmt die Mehrheit der Bevölkerung mit dem Bundesrechnungshof überein. Der fordert, „dass…das BMWi prüft, inwieweit es effektivere Steuerungsmechanismen, wie insbesondere die CO2-Bepreisung, als weiteres Instrument zur Umsetzung der Energiewende nutzen kann.“ Den CO2-Preis als zentralen Lenkungsmechanismus der Energiewende befürworten 70 Prozent der Bevölkerung.

Politische Arroganz gibt dem Frust die Nahrung

Und hier beginnt mein Frust zu keimen. Ich bin ganz und gar nicht der Auffassung, dass eine Bundesregierung sich in Sachfragen so zu verhalten hat, wie es die Mehrheit der Bevölkerung wünscht. Wir sind eine repräsentative Demokratie und ich bin von dieser Form der Demokratie überzeugt. Es wäre ein ganz schlechte Idee, den Bundestag durch Demoskopen ersetzen zu wollen.

Was meinen Frust beflügelt, ist die Arroganz, mit der die Regierenden diesen Vorschlag, der von unzähligen Fachleuten unterstützt wird, in den Wind schlagen. Und das, obwohl es offenkundig ist, dass bei der Energiewende seit Jahren einiges schief läuft. Der Gesetzgeber doktert mit unzähligen kleinen Korrekturen, die die Gesetzes- und Vorschriftenlage immer länger und undurchschaubarer machen, an der Energiewende herum. Die Kosten steigen, die Bürokratie sowieso und das Ziel, die Senkung des CO2-Ausstoßes, wird verfehlt. Sowohl in der Wirtschaft als auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern wächst die Unzufriedenheit. Die Bundesregierung aber gibt sich unbeeindruckt.

Der Protest gegen die Rodung des Hambacher Waldes ist vielfältig und bunt. Er erfährt eine breite gesellschaftliche Unterstützung.

Frust. Der Protest gegen die Rodung des Hambacher Waldes ist vielfältig und bunt.

Nicht nur die Akzeptanz der Energiewende leidet. Längst geht es um das Recht selbst.

Ähnlich beim Diesel-Skandal. Dass hier die großen Firmen die Behörden, die Verbraucherinnen und Verbraucher im ganz großen Stil betrogen haben, pfeifen die Spatzen von allen deutschen Dächern. Wenn die deutschen Pkw-Hersteller, die allesamt trotz Skandals weltweit nach wie vor gute Geschäfte machen, nicht dazu verdonnert werden, den entstandenen Schaden wieder gut zu machen, wird das nicht ohne Auswirkungen auf das allgemeine Rechtsempfinden bleiben. Wenn die Bosse der Konzerne betrügen dürfen, warum soll sich der gemeine Bürger dann an die Gesetze halten? Mir scheint, in Berlin hat man noch nicht so richtig wahrgenommen, dass die Grundsätze in unserem Gemeinwesen durch eine Politik ins Wanken gebracht werden, die das Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger ein ums andere Mal verletzt. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat in einem aufrüttelnden Beitrag u.a. mit Verweis auf den Diesel-Skandal darauf hingewiesen, dass das Recht selbst durch penetrante politische Arroganz einen Verlust an Akzeptanz erleidet.

Es geht beim Umgang mit dem Dieselskandal um  mehr als die Energiewende. In einer Zeit, in der populistische, anti-demokratische Strömungen nicht nur in Deutschland immer stärkeren Zulauf  haben, täte die politische Klasse einmal gut daran, mit der Selbstbeschäftigung inne zu halten, die Lage zu analysieren und zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch die eigenen Fehler sind, dem Populismus Nahrung geben. Eine aktuelle Studie bringt es auf den Punkt: „Anschwellender Populismus ist in Demokratien immer ein Symptom. Er ist nie ohne Grund erfolgreich. Er hat Ursachen. Auch in Deutschland! Ebenso klar ist aber auch: Feuer bekämpft man nicht mit Brandbeschleunigern. Populismus mit Populismus zu bekämpfen birgt zumindest die Gefahr, das Problem zu vergrößern anstatt es zu lösen.“

In der aufgeladenen Symbolik des Hambacher Forstes liegt Sprengkraft

Feuer bekämpft man nicht mit Brandbeschleunigern. Populismus mit Populismus zu bekämpfen birgt zumindest die Gefahr, das Problem zu vergrößern anstatt es zu lösen.

Aus der Studie "Populismusbarometer 2018" von WZB und Bertelsmann Stiftung, Seite 18

Das OVG Münster hat die weitere Rodung des Hambacher Forstes nun gestoppt.  Das verschafft allen Handelnden Zeit für eine Atem- und Denkpause.

Denn auch die Verteidiger des Waldes und Befürworter eines schnellen Kohleausstiegs haben gute Argumente auf ihrer Seite. Die energiewirtschaftlichen Voraussetzungen haben sich gegenüber dem Zeitpunkt, als die Erlaubnis zur Erweiterung des Betriebes von Garzweiler II erteilt wurde, verändert. Für die Versorgungssicherheit braucht es die Kohle unter dem Hambacher Wald nicht mehr. Zudem hat Deutschland mit dem Pariser Klimaschutzabkommen eine internationale Vereinbarung unterschrieben und ratifiziert, die mit einem Weiter-So bei der Verfeuerung der Braunkohle nicht kompatibel ist. Auch das Pariser Abkommen ist gültiges Recht. Und dass das Recht, die Legalität, in einer Demokratie sich stets immer an der Legitimität, der Akzeptanz des Rechts, messen lassen muss, steht auf der Habenseite der Aktivisten.

In der aufgeladenen Symbolik des Hambacher Waldes liegt eine Sprengkraft, die zu einem zunehmend militanter werdenden Konflikt um die Energiewende führen könnte. Ausgetragen würde er auf dem Rücken einer Polizei, die bereits jetzt überlastet ist. Personell unterbesetzt häufen die Beamtinnen und Beamten auch durch die Auseinandersetzungen mit den militanten Rechtsextremen immer mehr Überstunden an. Zudem wachsen auch in den Reihen der Belegschaft, den Gewerkschaften und nicht zuletzt bei den Polizisten Unbehagen und Frust über einen Konflikt, der in der Sache völlig unnötig ist.

Das Urteil des OVG eröffnet die gleichen Chancen wie ein Moratorium

Frust

Wenn im Zusammenhang mit dem Hambacher Forst die Gewalttaten zunehmen, werden zahlreiche Unterstützer versuchen, diese Gewalt zu legitimieren als Maßnahme für einen höheren Zweck – dem Schutz des Klimas. Eine solche Debatte kann niemand wollen. Am allerwenigsten jene Menschen wie ich, die sich für die Energiewende und einen beschleunigten Klimaschutz einsetzen. Gewalt, um das einmal klar zu stellen hat keine Berechtigung.

Immer wieder wurde in den letzten Wochen nach einem Moratorium gerufen. Die Politik hat es nicht hinbekommen. Das Urteil des OVG ist etwas völlig anderes, faktisch eröffnet es die gleichen Chancen wie ein Moratorium.

RWE kann jetzt einlenken. Die Landesregierung kann dem Unternehmen noch einmal erklären, warum und wie sich die Lage verändert hat, nachdem die Genehmigungen erteilt wurden. RWE hat bei den (nun hoffentlich wieder einsetzenden) Gesprächen gute Karten in der Hand: Die Zusagen von SPD, Grünen und der jetzigen Landesregierung. Die Genehmigungen für den Betrieb und die Rodung liegen vor.

Doch Obacht: Auch ein gutes Blatt kann man überreizen. In diese Richtung scheint RWE CEO Schmitz zu tendieren. Im ZDF gab er eine Schätzung zum Besten, („Ein Stillstand des Hambacher Forstes ad hoc würde etwa vier bis fünf Milliarden Euro bedeuten.“) die seine Mitspieler sogleich als schlechten Bluff enttarnt haben.

Zur Kenntnis nehmen sollte der Unternehmenschef, der sich bisher – wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten – nicht bewegte, dass Beharrung keine Punkte bringt. Im Gegensatz zu ihm haben die Gewerkschaften, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter längst begriffen, dass die Stunde des politischen Kompromisses gekommen ist. 79 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, eine überwältigen Mehrheit, wollen nicht, dass der „Hambi“ gerodet wird.

Das Urteil des OVG schafft Raum, um aus der Eskalationsspirale auszusteigen. Mit einer friedlichen Lösung des Konfliktes könnten Politik und Wirtschaft beweisen, dass sie auch in schwierigen Situationen handlungsfähig bleiben. Das Signal aus dem Hambacher Wald könnte bei einem guten Management sein: Diese Republik funktioniert. Es gibt keinerlei Bedarf an populistischen Eskalationen. Weder bei der Energiewende noch bei anderen Themen.

Eine Deeskalation beim „Hambi“ wäre ein guter Beitrag für die Demokratie. Die Rechtspopulisten würde eine Lösung des Konfliktes ärgern. Wenn das keine Motivation ist.

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Diese Kolumne erschien am 4. Oktober 2018. Sie wurde – nach dem Urteil des OVG Münster – am 7. Oktober überarbeitet.

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  1. Windmüller

    vor 6 Jahren

    Was im Hambacher Forst abgeht, ist ein Trauerspiel. Man kann Strom mit hocheffizienten Gasturbinen erzeugen, und die Abwärme als Fernwärme nutzen. Unzählige Stadtwerke beweisen es täglich. Aber Strom aus Braunkohle erzeugen, das ist so was von Retro, das tut nur noch weh.

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