Im Kern ist die Sache klar: Es gibt einen breiten politischen Konsens über die Energiewende in Deutschland. Sie wurde fast einstimmig vom Deutschen Bundestag beschlossen und regelmäßig bescheinigen Umfragen der Energiewende, dass die Bevölkerung mit großer Mehrheit den Atomausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren will. Geht man ins Detail der Umsetzung der Energiewende bekommt die Fassade einer mehrheitlich gewollten Entscheidung deutliche Risse.
Der Konsens bricht dort auf, wo die Energiewende konkret wird. Bei der Errichtung von Windparks ebenso wie beim Bau von Pumpspeicherwerken. Planung und der Bau von Stromtrassen erzeugt einen derartigen Widerstand in der Bevölkerung, dass ein Ministerpräsident zuvor gemachte Zusagen bricht und sich auf die Seite der Gegner des Netzausbaus schlägt.
Die Websuche nach „Bürgerinitiative+Stromtrasse“ bringt 28.200 Ergebnisse, eine kleine Volksbewegung. Doch die Trassengegner sind alles andere als Boykotteure der Energiewende. Die 2518 Mitglieder der Bürgerinitiative Warburger Land bekennen sich – wie viele andere auch – mit einem klaren JA zur Energiewende und sagen entschieden NEIN zur „Monstertrasse“. Was sie wollen, ist eine Erdverkabelung der Suedlink-Gleichstromtrasse anstatt der geplanten Freileitung.
Allein schon aus Gründen des Landschaftsschutzes ist die Erdverkabelung eine legitime Forderung. Professor Christian Rehtanz von der TU Dortmund schätzt, dass eine Erdverkabelung drei bis fünfmal so teuer käme wie die Verlegung von Freileitungen. Der Übertragungsnetzbetreiber 50hertz legt noch eine Schippe drauf und argumentiert mit zehnfach höheren Kosten. Aber auch diese Einschätzung trifft auf Widerspruch. Ebenfalls in Energie und Technik erläutert Ingo Rennert von der Firma Infranetz: „Die gesamten HGÜ-Trassen unter die Erde zu verlegen kommt billiger als Freileitungen.“
Die aktuellen Herausforderungen im Energiebereich beleben unsere Demokratie; ohne einen frühen, aktiven und ehrlichen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern geht nichts. Darauf weist auch der Deutsche Städte- und Gemeindetag hin. Die offensive Einbeziehung der Bürger, ihre Beteiligung bis hin zum Bürgerentscheid und die mannigfaltigen Dispute vor Ort, bei Fachgesprächen, Erörterungen und im Netz stärken als Ergänzung vor Ort die repräsentative Demokratie. Die Konflikte um die Gestaltung der Energiewende sind ein Zeichen einer gesunden Demokratie in Deutschland.
Vor eben dieser Demokratie warnt die aktuelle Studie „Perspektiven der Kohlenutzung in Deutschland“. Die mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Verbundprojektes Deutsches EnergieRohstoff-Zentrum (DER) als Teil der Initiative „Spitzenforschung und Innovation in den Neuen Ländern“ erstellte repräsentative Studie kommt unter anderem zu folgenden Ergebnissen:
- „Die wiederholte Forderung nach Einbeziehung der Bevölkerung in weitreichende energiepolitische Entscheidungen muss berücksichtigen, dass entscheidungsrelevantes Wissen in der deutschen Bevölkerung weiterhin nicht bzw. nur marginal vorhanden ist.
- …
- Wie stark die Einstellungen zu Energieträgern verankert sind, zeigt sich auch daran, dass die aktuellen geopolitischen Krisen nicht das Potenzial aufweisen, grundlegende Meinungsänderungen zu bewirken.“
Mit anderen Worten: Wir haben wissenschaftlich festgestellt, dass die Bevölkerung zu ungebildet ist, um bei der Energiepolitik mitzuwirken. Hinter der Studie steht der Bundesverband Braunkohle, DEBRIV. Die Klimaretter deckten jetzt auf, dass die Positionspapiere des Verbandes von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion übernommen und in einen Fragenkatalog umgearbeitet wurden, den die Fraktion an das Bundeswirtschaftsministerium sandte. Auf 65 Seiten geben die Fragen der Fraktion und die ausführlichen Antworten des Ministers einen guten Einblick in den Stand der Energiewende sowie die Herausforderungen. Und sie erlauben uns Rückschlüsse auf die ideologische Verbohrtheit der Fragesteller: „Zu wie viel Prozent kann der deutsche Strombedarf aktuell national über reguläre Bestandskapazitäten an Tagen gedeckt werden, an denen a. kein Wind weht? b. keine Sonne scheint? c. weder Wind- noch Sonnenstrom zur Verfügung stehen?“, wollen die Abgeordneten wissen. Die (längere) Antwort des Ministers kommt zu dem Schluss: „Auch im Jahr 2025 liegt die Lastausgleichswahrscheinlichkeit von Deutschland für das betrachtete ENTSO-E „best-guess“ Szenario bei (rechnerisch) 100%“.
Ob der Widerstand gegen die Klimaabgabe jetzt zusammenbricht, nach dem der Minister so viel Mühe auf die Beantwortung der Fragen verwandt hat? 40.000 Arbeitsplätze in der Braunkohle, meint der DEBRIV, seien gefährdet. Zu den Ritualen einer Demokratie gehört auch der Wettbewerb „Wer malt den größten und schwärzesten Teufel an die Wand?“ In diesem Fall gewann Verdi-Chef Frank Bsirske. Mit der Drohung, 100.000 Arbeitsplätze gingen verloren, wenn Gabriel sich durchsetzen würde, lag er am weitesten entfernt von der Wahrheit und bekam die fettesten Schlagzeilen. Aber auch das gehört wohl ebenso zur modernen Demokratie wie der im Bild dokumentierte Protest eines Verdi-Mitglieds via Twitter.
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