War watt? Der Preis der CO2-Minderung

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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24. November 2016
Dezentralisierung, Solarfoto von Hubertus Grass

Erinnern Sie sich an die „größte Reform des Strommarkts seit der Liberalisierung der Energiemärkte in den 90er Jahren“? So kommentierte Sigmar Gabriel, nicht ganz frei von Eigenlob, vor fast genau einem Jahr die Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Weiterentwicklung des Strommarkts. Teil des Strommarktgesetzes ist die Überführung von Erzeugungskapazitäten in die sogenannte Sicherheitsreserve. Braunkohleblöcke der Unternehmen Mibrag, RWE und Vattenfall mit einer Gesamtleistung von 2,7 Gigawatt gingen vom Netz. Dafür erhielten die Unternehmen einen Ausgleich von 1,6 Milliarden Euro. Ca. zwölf Millionen CO2 sollten durch diese Maßnahme weniger emittiert werden. Die Kosten pro Tonne CO2–Minderung betragen 133 Euro. Dass das auch preiswerter geht, zeigte jetzt das Öko-Institut.

Merit-Order bevorteilt einseitig die Braunkohle

Je mehr Öko-Strom im Netz ist, desto flexibler müssen Erzeugung und Verbrauch an die fluktuierende Einspeisung angepasst werden. Bei der Einspeisung gehen die Kraftwerke in der Reihenfolge der Merit-Order ans Netz. Das heißt: Je niedriger die Grenzkosten sind, desto mehr speisen die Kraftwerke ein. In Deutschland haben die Braunkohlekraftwerke die niedrigsten Grenzkosten. So sorgt der Merit-Order-Effekt bei uns dafür, dass die Kraftwerke mit den höchsten CO2-Emissionen am längsten und die relativ sauberen Gaskraftwerke am wenigsten am Netz sind.

Im Auftrag von Greenpeace Energy hat das Öko-Institut jetzt untersucht, wie man die nötige Flexibilität im Strommarkt ökologischer bereit stellen kann. Die Studie hat ermittelt, dass auf einen Schlag ca. zehn Prozent der energiebedingten Emissionen eingespart werden können.

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CO2-Minderung durch neue Einsatzreihenfolge

Was würde passieren, wenn man die Reihenfolge, in der die Kraftwerke ans Netz gehen, künftig neu sortiert? Wenn nicht der billigste, sondern der sauberste zu erst ans Netz kommt? Die Wissenschaftler vom Öko-Institut haben diesen Fall mit den realen Zahlen des Jahres 2015 einmal durchgespielt und kamen zu einem überraschenden Ergebnis: Die CO2-Minderung hätte im letzten Jahr 79 Millionen Tonnen betragen. Die Bundesregierung wäre all ihrer Sorgen ledig gewesen. Das Klimaziel für 2020 wäre wieder zu erreichen. Und das zu einem akzeptablen Preis: Die Veränderung der Einsatzreihenfolge hätte Mehrkosten in Höhe von 1,1 Milliarden Euro verursacht, 14 Euro pro Tonne CO2. Das ist günstig.

Die Schwäche im bestehenden Marktdesign ist das Fehlen von echten Anreizen, ökologische Flexibilitätsoptionen zu entwickeln. Am Strommarkt herrscht ein Überangebot. Und so lange die Eigentümer der fossilen Kraftwerke noch darauf hoffen, einen Euro am Mark zu verdienen oder – wie im letzten Jahr geschehen – eine Entschädigung für die Stilllegung zu erhalten, bleibt es bei Dumpingpreisen und hohen CO2-Emissionen.

CO2-Minderung 1990 bis 2015Erklärtes Ziel der deutschen Politik ist es, konventionelle Kraftwerke durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Damit steht auch die Frage, wie die nötige Flexibilität möglichst CO2 –arm bereitgestellt werden kann. Die Palette der Flexibilitätsoptionen ist breit. Neben dem Einsatz der vorhandenen fossilen Kraftwerke treten zunehmend neue Flexibilitätsoptionen: größere und kleinere Speicher, Lastmanagement, Erzeugungsmanagement, der Bau neuer Kraftwerke oder der Stromaustausch mit unseren europäischen Nachbarn gehören dazu.
Derzeitige Szenarien sehen für das Jahr 2030 einen Anteil von Öko-Strom in Höhe von 60 Prozent vor. Eine Merit-Order nach ökologischen Kriterien würde beim Einsatz der Flexibilitäten auch dann noch 43 Mio. Tonnen CO2 sparen. Selbst 2050, bei einem Erneuerbaren-Anteil von 80 Prozent, wären es noch 13 Mio. Tonnen.

Eine Merit-Order, die ökonomische durch ökologische Kriterien ersetzt, würde die Braunkohle aus dem Markt drängen und die Gaskraftwerke wieder in den Markt holen. Was das Öko-Institut in seiner Studie vorschlägt, ist nicht anderes als der schnelle Ausstieg aus der Kohle. Dass der kommen muss, wissen ohnehin alle Beteiligten. Zu klären sind noch der Preis und die Mechanismen.

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