Urban Energy Talks: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus?

Gastautor Portrait

Dr. Chirine Etezadzadeh

SmartCity.institute

Dr. Chirine Etezadzadeh (Volkswirtin) leitet das SmartCity.institute (Ludwigsburg, Stuttgart, Köln) sowie die Wissensplattform SmartCityNews.global und ist Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Smart City (BVSC) e.V. Während ihres Werdegangs arbeitete sie für einen deutschen Premium-Automobilhersteller, einen führenden amerikanischen Automobil-Zulieferer sowie als Unternehmensberaterin in der Energiewirtschaft. Seit dem Sommersemester 2014 hält Dr. Etezadzadeh Vorlesungen zum Thema „Produktentwicklung für Smart Cities“ an der Technischen Hochschule Köln. Ihr Essential „Smart City – Stadt der Zukunft?“ ist im Herbst 2015 in deutscher und englischer Sprache im Springer Verlag erschienen.

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13. Juni 2017

Stadtentwicklung und Energiewende gehen in Deutschland Hand in Hand, denn nicht zuletzt ist Energie die Grundlage unseres urbanen Lebensstils. Davon ist Dr. Chirine Etezadzadeh überzeugt. Die Gründerin und Leiterin des SmartCity.institute beschäftigt sich intensiv mit Fragen rund um die Stadt der Zukunft. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Energie, Mobilität und Stadtentwicklung sowie in den Querschnittsthemen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Resilienz.

Bei den Urban Energy Talks wird Chirine Etezadzadeh Ende des Monats die Keynote halten. Im Vorfeld der Veranstaltung hatten wir Gelegenheit, mit ihr über die Stadt von morgen zu sprechen.

Energiewendeblog: Stichwort Stadt der Zukunft: Was ist Ihre urbane Zukunftsvision, wie stellen Sie sich die Stadt von morgen vor?

Chirine Etezadzadeh: Eine europäische Stadt der Zukunft stelle ich mir deutlich leiser, sauberer, grüner und in bestimmten Dimensionen sicherer als ihr heutiges Pendant vor. Ausgestattet mit einem hohen Maß an kaum sichtbaren Infrastrukturen und belebt von Menschen, die neue Gadgets und die Automatisierung nutzen, um ihren Lebensalltag zu bewerkstelligen. Es ist davon auszugehen, dass sich die auffallendsten Veränderungen durch ein optimiertes Verkehrssystem ergeben werden, das auf vernetzter und automatisierter Mobilität fußt. Der tiefgreifende Wandel aber wird aus der Digitalisierung resultieren, die aufgrund noch zu realisierender Innovationen relativ schlagartig alle Lebensbereiche erlebbar penetrieren wird. Vor diesem Hintergrund ist das Attribut Sicherheit differenziert zu betrachten. Die Digitalisierung hat das Potenzial, Sicherheit zu schaffen und gleichzeitig zu konterkarieren. Urbane Sicherheit ist eine vielfältige und anspruchsvoller werdende Aufgabe. Sie basiert auf der Eignung von Prozessen, Systemen und Produkten, was eine entsprechende Herangehensweise erfordert.

Welche Trends beobachten Sie derzeit in Deutschland?

In Deutschland dominiert der Trend, insbesondere in ökologischer Hinsicht, nachhaltiger und effizienter zu werden. Dafür tun wir Deutschen einiges, wobei wir vorrangig auf die Nutzung neuer Technologien setzen. In diesem Umfeld sind wir nach wie vor führend. Was aber die beginnende Erschließung der Potenziale der Digitalisierung angeht, sind wir es nicht. In Deutschland werden Vorhaben dann in Gang gesetzt, wenn sichergestellt werden kann, dass sie wirtschaftlich erfolgreich werden. Beispielsweise bauen wir eine Straße, wenn klar ist, dass bezogen auf eine Strecke ein konkretes Verkehrsaufkommen existiert, also ein Bedarf herrscht. Die Relevanz der Digitalisierung wurde in Deutschland erkannt, der spezifische Nutzen und die Wertschöpfungsmöglichkeiten bleiben aber bislang diffus. In unserem Beispiel bleibend müssten wir also ohne hinreichende spezifische Bedarfe und demzufolge ohne ein Finanzierungskonzept eine Straße bauen. Die Beweggründe wären die Annahme, dass es ohne Straßen in Zukunft schlicht nicht gehen wird, und die mit Unsicherheit behaftete Hoffnung, dass die Dinge, die wir darauf aufbauen, zu einer Situation führen werden, die den heutigen Gegebenheiten überlegen ist. Derartige Investments werden in anderen Ländern und Regionen eher getätigt als hier. Der Handlungswille lässt sich aber erkennen.

Wie beeinflussen sich Stadtentwicklung und Energiewende-Ziele gegenseitig?

Stadtentwicklung und die Energiewende gehen in Deutschland Hand in Hand. In Städten wird das Ziel verfolgt, nachhaltiger zu werden, Klimaschutz zu betreiben und den auch zu diesem Zweck erforderlichen Umbau der Infrastrukturen einzuleiten. Die Energiewende schafft hierfür die notwendige Grundlage. Mit der Energiewende einhergehende Ziele, wie z.B. die Sicherstellung einer stadtindividuellen optimalen Energieversorgung, Quartiere energieautark zu machen, Abwärme zu nutzen, Gebäude energetisch zu sanieren usf., müssen gleichsam Bestrebungen der Stadtentwicklung sein, sofern in unsere Städte eine zukunftsgerechte Energieversorgung koordiniert Einzug halten soll. Zudem sollten alle energetischen Maßnahmen durch stadtplanerische Aktivitäten begleitet werden, wie die Schaffung einer Stadtstruktur, die für eine adäquate Durchlüftung der Stadt sorgt, oder die Förderung von Grün- und Wasserflächen zur Vermeidung von Hitzeinseln. Schließlich ermöglicht die Energiewende auch die Erreichung sozialer Ziele der Stadtentwicklung. So wird beispielsweise die Erzeugung von Arbeitsplätzen in der Stadt durch die urbane Energieproduktion begünstigt und die Einzug haltende Digitalisierung und ihre wünschenswerten sozialen Folgen ermöglicht. Energie ist die Grundlage unseres urbanen Lebensstils, daher gibt es noch viele weitere Zusammenhänge.

Um die Stadt der Zukunft geht es bei den Urban Energy Talks
Wie gelingt die Energiewende in der Stadt? Um diese Frage geht es bei den Urban Energy Talks, bei denen Chirine Etezadzadeh die Keynote halten wird.

Welche Potenziale und Chancen birgt dabei der urbane Raum gegenüber anderen Regionen?

Die hohe Dichte des urbanen Raums erlaubt es, Synergie zu realisieren, Skaleneffekte und Dichtevorteile zu nutzen. Andererseits ist es im Hinblick auf die Energieversorgung auch anspruchsvoll auf der z.B. für Photovoltaik zur Verfügung stehenden Fläche in ausreichenden Mengen Strom zu produzieren und zu speichern. Hier muss man neue Wege gehen und beispielsweise die vielfältigen Möglichkeiten energieerzeugender Gebäude stärker nutzen und weiterentwickeln. Vorgaben aus dem Bereich der Stadtentwicklung können hierbei wegweisend sein.

Welche Entwicklungen könnten denn aus Ihrer Sicht die Stadt von Morgen am stärksten prägen und verändern?

Wie gesagt halte ich die Digitalisierung für den stärksten vorhersehbaren Veränderungsfaktor. Die damit einhergehende Transparenz und zunehmende Automatisierung wird unser Leben maßgeblich verändern. Ebenso wie die sich u.a. durch die Industrie 4.0 zunehmend autonomisierende Wirtschaft. Bei allem Fortschritt sollten wir nicht vergessen, wofür wir uns weiterentwickeln. Meines Erachtens geht es nicht darum, den Menschen zu ersetzen.

Warum sollten sich junge Menschen mit dem Gelingen der Energiewende in der Stadt beschäftigen und wie können sie die Stadt der Zukunft mitgestalten?

Der Erhalt unserer natürlichen Umwelt sowie eine ausreichende und zuverlässige Energieversorgung sind Grundlagen für unser zukünftiges Leben. Wer sollte also ein größeres Interesse an einem erfolgreichen Transformationsprozess haben als junge Menschen? Zu Ihrer zweiten Frage: Abgesehen davon, dass wir mit jeder Konsumentscheidung unmittelbar auf unsere Zukunft einwirken, sind insbesondere junge Menschen aus den Ingenieurberufen aufgefordert, sich die Wirksamkeit ihrer Arbeit und die Bedeutung der Produktentwicklung vor Augen zu führen. Viele junge Unternehmer gestalten die Zukunft bereits aktiv mit. Und in Partizipationsprojekten oder Initiativen bringen sich Menschen in die Stadtentwicklung ein. Grundsätzlich gilt, dass wir gesamtgesellschaftlich dazu gelangen sollten, uns die Konsequenzen unseres Handelns bewusst zu machen und unser Verhalten unseren Zukunftswünschen anzupassen.

Welche Karrierechancen bietet die urbane Energiewende für junge Berufseinsteiger und Startups?

Die urbane Energiewende bietet beiden Gruppen vielfältige Möglichkeiten. Social Energy-Plattformen, soziale Stromnetze, der Energiemengenhandel, Smart Markets im Allgemeinen und das daraus resultierende Wertschöpfungspotenzial begründen vielfältige Beschäftigungsfelder. Außerdem gilt es, unsere Versorgungsunternehmen und Stadtwerke zu reformieren und in die Zukunft zu führen. Es gibt also eine Menge zu tun und zu bewirken.


Wer Dr.Chirine Etezadzadeh und viele weitere interessante Referenten live erleben möchte, ist herzlich zu den Urban Energy Talks – Wie gelingt die Energiewende in der Stadt? eingeladen. Die Veranstaltung, die wir gemeinsam mit der Stiftung Energie und Klimaschutz Baden-Württemberg veranstalten, findet am 29. Juni 2017 in Stuttgart statt. Mehr Infos und Anmeldung: https://www.energieundklimaschutzbw.de/uet2017

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