Reallabore: Wer soll dort an Innovationen partizipieren und woran soll konkret partizipiert werden?

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Melanie Peschel

Tracemaker

Melanie Peschel schloss 2003 ihr Studium als M.A. in den Neueren deutschen Literaturwissenschaften sowie Kommunikationswissenschaften ab und absolvierte Weiterbildungen in den Bereichen Digital Leadership und Corporate Social Responsibility. Nach beruflichen Positionen als Etat Director, Strategic Planner sowie Niederlassungsleiterin in Multichannel-Agenturen gründete sie 2015 das Beratungsbüro Tracemaker, eine Strategie- und Kommunikationsberatung für die Themenfelder Energiewende, Wärmewende und Klimaschutz. Melanie Peschel setzt sich für die Bekanntmachung und Bildung im Kontext der UN-Nachhaltigkeitsziele ein und engagiert sich für Belange der digitalen Transformation mit Sinn. Mit ihrem Team ist sie für Ministerien, Kommunen, NGO und die Wirtschaft tätig. Darüber hinaus berät sie als Mentorin Frauen mit beruflichen Ambitionen im Bereich Nachhaltigkeit.

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08. Juni 2022
Bild: Adam Derewecki @ Pixabay

Reallabore sind Testräume für Innovation und Regulierung. Sie sind außerdem Leuchtturmprojekte, die gesellschaftliche Akzeptanz erzeugen, um die Energiewende, Verkehrswende und den Klimaschutz voranzubringen.

Sind Innovationen stets von Widerständen begleitet? Bestimmte Innovationen haben sich in einer immensen Geschwindigkeit verbreitet. Dort ist von Widerstand nicht wirklich viel zu spüren gewesen. Betrachten wir zum Beispiel das Smartphone oder die Nutzung von Facebook und anderen Social Networks: An diesen Innovationen zu partizipieren fiel vielen Menschen leicht. Zudem gab es konkrete, wachsende Angebote in den App-Stores oder des Funktionsumfanges bei den Geräten zur persönlichen Nutzung.

Skepsis bei Innovationen ohne individuellen Bezug

Es gibt aber auch eine Reihe von Innovationen, die weniger persönlichen Bezug ermöglichen, als das beim Smartphone der Fall ist. Bei solchen Innovationen, bei denen eine individuelle Erfahrung fehlt, die sich aber dennoch in die Lebensrealität von Menschen hineindrängen, ist die Situation durchaus oft von Widerständen geprägt. Stichworte sind: Der Windpark vor der eigenen Haustür statt freie Sicht auf den Berg. Das Solarfeld auf dem Acker statt des gewohnten Raps- oder Maisfeldes. Der Smart Meter im Keller anstelle des analogen, angestaubten Ferraris-Zählers.

Innovationen in den Bereichen Mobilität, Energie, Klimaschutz, Infrastruktur zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsvorsorge und -versorgung sind die Sektoren, mit denen sich seit wenigen Jahren sogenannte Reallabore in Deutschland auseinandersetzen. Die eher befremdlich wirkende Übersetzung ins Deutsche – in englischer Sprache Sandbox genannt – ist im Umfeld des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz im Einsatz. Das BMWK unterstützt mehrere Dutzend Reallabore in Deutschland als Testräume für Innovation und Regulierung, die je nach Verortung unterschiedliche der oben genannten Sektoren betreffen.

Reallabore für Innovationen in den Sektoren Energie, Mobilität, Gesundheit

Aus städtischer Perspektive müssen (erprobte) Innovationen – insbesondere im Verkehrs- und Mobilitätsbereich – immer der Frage standhalten: Helfen sie uns die Dinge nutzerfreundlicher, effizienter und klimaschonender zu machen? Diese Frage war mitunter Gegenstand der Diskussionen bei einer Fish-Bowl-Diskussion mit vier geladenen Expertinnen und Experten als initiale Inputgeber*innen.

Diese Fish-Bowl fand statt im Rahmen einer Fachtagung mit dem Titel “Auf dem Weg zu einem Reallabor Gesetz” Ende Mai in Berlin, veranstaltet vom BMWK. Oliver Ulrich, Referent Neue Mobilität bei der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, war einer der eingeladenen Experten. Er machte deutlich, dass die Reallabore in Deutschland zielorientierte Innovationsentwicklung betreiben, die direkt und indirekt auf Energieeffizienz und Klimaschutz einzahlen.

Zentrale Erkenntnisse über Partizipation und Akzeptanz in Reallaboren

Reallabore machen Veränderungen in der Gesellschaft erlebbar: Für die Akzeptanz und aktive Teilhabe an der Energiewende ist das ein immenser Mehrwert.

Melanie Peschel, Tracemaker

Die zentralen Erkenntnisse und Antworten aus der Fach-Diskussion am 31. Mai 2022 auf die Kern-Frage “Wie schaffen Reallabore mehr Akzeptanz für Innovationen?” lauten wie folgt:

In Reallaboren müssen Mehrwerte in Aussicht gestellt werden, damit Menschen Innovationen und den damit verbundenen Wandel gerne und aufrichtig akzeptieren. Diese Menschen sind unterschiedliche Personengruppen: Nicht nur die breite Öffentlichkeit, sondern auch institutionelle Zielgruppen wie Behörden-Mitarbeiter*innen, Politiker*innen, aber auch Schlüsselpersonen bei wichtigen Infrastruktur-Organisationen, Unternehmen und NGOs. Diese Mehrwerte müssen auf das Gemeinwohl einzahlen: Energiewende, Verkehrswende, Nachhaltigkeit im Sinne der Sustainable Development Goals, sowie dem Gesundheitssektor.

Es ist zudem wichtig, den richtigen Zeitpunkt für die Beteiligung an Reallaboren zu finden. Der Zeitpunkt kann zu früh aber auch zu spät gewählt werden. Optimal ist ein Zeitpunkt, zu dem eine umfassende und auch wirksame Beteiligung erreicht werden kann. Die Art der Beteiligung ist hierbei, wie oben beschrieben abhängig von den einzelnen Zielgruppen.

Damit Reallabore und die dort getesteten Innovationen auf positive Resonanz stoßen, ist eine starke Rückendeckung seitens der Politik wichtig. Deswegen braucht es Unterstützer*innen auf politischer sowie auch behördlicher Ebene im jeweiligen Landkreis, der Kommune oder der entsprechenden Gebietsstruktur.

Die Frage der Partizipation und Akzeptanz von Innovationen

In den meisten Reallaboren gibt es auch Teams, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen: Wie schaffen Reallabore mehr Akzeptanz für Innovationen? Dazu sagte Simone Kaiser, Fraunhofer IAO als eine weitere der vier Expertinnen: „Reallabore machen Zukunft heute schon (mit-)gestaltbar! Sie sind damit wichtige Voraussetzung für Akzeptanz und Erfolg der Energiewende.“

Dabei sind Windparks weniger der Gegenstand von Reallaboren, da diese nicht mehr wirklich als Innovation zu bezeichnen sind. Die Elektrolyse von biogenen Abfallstoffen und alternative Wärmegewinnung ist dagegen durchaus als Beispiel zu betrachten, wo Innovationen auf gewohnte Strukturen prallen. Ebenso die Nutzung von KI-gestützten Straßenbeleuchtungen, neuartigen Solarpanelen für Fassaden u.v.m. Hier verlinkt sind die Projektvideos, die nach der Fachtagung im Rahmen der zugehörigen Siegerprämierung des Innovationspreises Reallabore vorgestellt wurden.

Beispiele für Reallabore in Deutschland

Anna Schieben vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum – auch als Expertin eingeladen – sagte dazu: „Ein Reallabor lebt von dem Willen verschiedener Akteure, gemeinsam neue Technologien in den Städten und Kommunen erlebbar zu machen und zu erforschen.“ Sie ist Konsortialleiterin des 5G-Reallabor in der Region Braunschweig-Wolfsburg und Geschäftsfeldentwicklerin Kooperative Systeme am DLR Braunschweig und hat sehr positive Erfahrungen im Kontext der Einführung von 5G-Technologie-basierten Anwendungen gemacht. Mehr zum 5G-Reallabor gibt es im folgenden Video.

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In der Diskussion ergänzte Jens-Peter Seick, Projektleiter des Reallabors “Lemgo Digital” und Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA zudem: „Offene Innovationen unter realen Bedingungen erproben, direktes Feedback im Reallabor bekommen: Das erzeugt optimale Passgenauigkeit für technische, organisatorische und regulative Anforderungen.“

Insgesamt waren sich die Teilnehmenden sowohl auf dem Fish-Bowl-Podium als auch unter den Zuhörerinnen und Zuhörern einig: Reallabore sind eine wertvolle Möglichkeit, Innovationen im realen Umfeld zu erproben. Dass diese Innovationen relevant für die Energiewende und den Klimaschutz sind, liegt dabei auf der Hand.

„Das BMWK sieht Reallabore als ein wichtiges neues innovationspolitisches Instrument zur Bewältigung der digitalen und nachhaltigen Transformation. Daher unterstützen wir Reallabore sehr breit mit Vernetzung, Informationen sowie dem Innovationspreis Reallabore und schaffen neue rechtliche Möglichkeiten für die Erprobung von Innovationen“, sagt Dr. Kai Hielscher Leiter der Geschäftsstelle Reallabore im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auf Nachfrage, welche Rolle die Reallabore für das BMWK spielen.

Die Teilnehmenden haben sich dafür ausgesprochen, dass Länder und Bund ihre Ressourcen noch stärker bündeln, um Reallabore weiterhin zu unterstützen und damit den Innovationsgrad in Deutschland zu erhöhen. Das anstehende Reallabore-Gesetz soll dazu seinen Beitrag leisten. Auch Wirtschafts- und Klimaschutz-Minister Robert Habeck bekräftigte im Rahmen der abschließenden Prämierung der Sieger des Innovationspreises Reallabore: „Besonders wichtig war es mir, dass wir die Nachhaltigkeit in Reallaboren durch einen Extra-Preis auszeichnen. Denn die Reallabore sind immer wichtiger als Testräume für klima- und umweltschonende Technologien.“

Illustratorin: Susanne Asheuer, "Akzeptanz von Innovationen"

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